Ein britischer Experte sieht Vorschläge von Innenministerin Faeser kritisch. „Die Probleme liegen woanders“, so der Psychologe.
Blick nach EnglandWarum ein Messerverbot kaum viel bewirken dürfte
Erst vor wenigen Wochen ereignete sich eine der verheerendsten und folgenschwersten Messerattacken seit Jahrzehnten in Großbritannien. Ende Juli wurden in der nordwestenglischen Stadt Southport drei Mädchen getötet und zehn weitere Menschen zum Teil schwer verletzt. Der mutmaßliche Täter war selbst erst 17 Jahre alt und ein in Großbritannien geborener Sohn von Einwanderern aus Ruanda, einem christlich geprägten Land. In Folge von gezielt verbreiteten Fehlinformationen in den sozialen Medien, dort hieß er sei ein illegal eingereister islamischer Flüchtling, kam es in englischen Städten wie Hull, Liverpool, aber auch in London zu Ausschreitungen.
Messerstechereien: Viel Erfahrung in Großbritannien
Messerstechereien sind in Großbritannien seit Jahren an der Tagesordnung. Offizielle Statistiken zeigen, dass die Zahl solcher Delikte in England und Wales von 46.000 im Jahr 2022 auf rund 49.500 im Jahr 2023 gestiegen ist. Raubüberfälle mit Messern oder Schwertern haben im gleichen Zeitraum um 20 Prozent zugenommen. Der gemeinnützigen Organisation „Action on Armed Violence“ zufolge werden nicht nur mehr Messer mitgeführt, sondern Menschen sind auch zunehmend bereit, sie bei Straftaten einzusetzen.
Dass die Zahlen weiter steigen, ist für Kevin Browne, forensischer Psychologe an der University of Nottingham, ein Hinweis darauf, dass die Maßnahmen der Regierung nur unzureichend greifen. Viele hätten nur „kurzfristige Effekte“, seien aber keine langfristige Lösung, sagt er dieser Zeitung. In diesem Zusammenhang kritisierte er auch den Vorstoß der Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Der Plan der deutschen Regierung, das Tragen langer Messer in der Öffentlichkeit zu verbieten, sei ein „Pflaster“, das nach den Erfahrungen in Großbritannien nicht die Ursachen beseitige.
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Denn während Faeser erst vor wenigen Tagen neue Pläne zur Bekämpfung der Messerkriminalität vorgestellt hat, versucht die britische Regierung, das Problem bereits seit Jahren mit vergleichbaren Maßnahmen in den Griff zu bekommen. So ist das Mitführen von Messern mit einer Klingenlänge von mehr als drei Zoll (etwa 7,6 Zentimeter) oder von Automatikmessern verboten. Außerdem gibt es sogenannte Amnestien, bei denen Stichwaffen straffrei abgegeben werden können. Überdies wendet die Polizei sogenannte Anhalte- und Durchsuchungstaktiken an, um Messergewalt einzudämmen. Es wird also verstärkt kontrolliert.
Studien zeigten jedoch, dass dies die Probleme nur teilweise löst. „Der Gebrauch von großen Zombie-Messern, Macheten und Jagdmessern hat mit dem Gefühl zu tun, damit Macho zu sein, sich männlich zu fühlen, und das hängt mit den Bildern zusammen, die in den sozialen Medien und in den Unterhaltungsmedien von solchen Waffen gezeigt werden“, sagt Browne. Daher sollten gewalttätige Medien und Bilder ähnlich wie im Fall von sexuellen Inhalten stärker reguliert werden, da beide schädliche psychologische Auswirkungen insbesondere auf junge Menschen haben können. Wie groß der Einfluss der sozialen Medien sei, habe sich zuletzt nach der Messerattacke in Southport gezeigt, so der Experte.
Um zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche zu Messern greifen, müssten die Ursachen der Probleme angegangen werden. „Was in Großbritannien fehlt, sind kostenlose Jugendklubs“, sagt Browne. Solche Angebote seien wichtig, um ihnen positive soziale Netzwerke zu bieten. Wesentlich sei es auch, Schulverweigerer wieder in den Unterricht zu integrieren, denn „Schulschwänzen“ könne ein Faktor für spätere Kriminalität sein. Außerdem seien junge Menschen, die nicht in ihrer eigenen Familie aufwachsen, in einer geschulten Pflegefamilie besser aufgehoben als in einem Heim. „Wenn man jugendliche Straftäter in ein familiäres Umfeld bringt, wird nur ein Drittel von ihnen innerhalb von zwölf Monaten wieder straffällig, verglichen mit zwei Dritteln, die in eine Einrichtung kommen.“
Einen direkten Zusammenhang zwischen Migration und Messergewalt sieht Browne nicht. Es werde „viel darüber geredet, dass Flüchtlinge in Deutschland und Großbritannien Kriminalität verursachen“. Dies sei aber nur dann eher der Fall, wenn Zuwanderer „sozial ausgegrenzt“ würden, anstatt sie zu unterstützen und zu integrieren. Sprachunterricht, Bildung, Beschäftigung und familiäre Unterstützung für Flüchtlinge und unbegleitete asylsuchende Kinder könnten dazu beitragen, dass sie nicht kriminell werden.