Welche Folgen haben der deutsche Streit um die Marschflugkörper Taurus und die Abhöraffäre im westlichen Bündnis? Fragen an den Politologen Prof. Thomas Jäger.
Kanzler-Basta zum TaurusWenn Scholz genau das macht, was Putin möchte
Herr Jäger, eigentlich kann unser Gespräch ja kurz ausfallen: Der Bundeskanzler hat in Sachen Taurus entschieden, die Nato-Partner haben uns trotz Abhöraffäre ihr Vertrauen ausgesprochen. Ist also alles in Ordnung?
Gewiss nicht. Bundeskanzler Olaf Scholz hat Basta gesagt, aber das gilt nicht, weil er das mit einer Begründung versehen hat, die eben jetzt keine Glaubwürdigkeit mehr hat – die Ukraine könnte den Taurus halt auch ohne Hilfe der Bundeswehr einsetzen. Und dass die Nato-Partner sich öffentlich gegenseitig sagen, dass sie Vertrauen zueinander haben, ist richtig. Man kann sich aber lebhaft vorstellen, dass das nicht so ist, aus Großbritannien und Frankreich kamen harte Worte. Das ist ein enormer Reputationsschaden für Deutschland.
Das Abhörmaterial hat Scholz in einem Punkt bestätigt: Die Briten helfen den Ukrainern bei den Marschflugkörpern, sogar mit Soldaten vor Ort. Bei einem solchen Szenario mit deutschen Soldaten würde laut Scholz Kriegsbeteiligung drohen. Sind die Briten also jetzt am Krieg beteiligt?
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Nein, sind sie nicht. Rechtlich sieht es so aus, das Russland das Gewaltverbot gebrochen hat. Also darf das angegriffene Land unterstützt werden. Kriegsbeteiligung wäre die aktive Teilnahme an Kampfhandlungen. Die gibt es aber hier nicht. Wenn man Aufklärungsdaten liefert, Waffen oder Munition, ist das keine Kriegsbeteiligung. Aber das ist ohnehin eine akademische Debatte. Am Ende entscheidet Moskau, wen es als kriegsbeteiligt ansieht.
Dieses Szenario, dass Russland uns in den Krieg hineinziehen könnte, macht den Leuten Angst. Scholz sagt: Es ist meine Aufgabe, auf diese Sorgen einzugehen …
Aber in Wirklichkeit fördert er mit seinen Aussagen doch genau diese Sorgen. Wenn Scholz sagt, wir müssen achtgeben, nicht in diesen Krieg hineingezogen zu werden, dann macht er genau das, was Putin möchte, nämlich hier die Angst schüren, da könnte uns wirklich was passieren. So war es von Anfang an. Deshalb gibt es auch jetzt wieder russische Drohungen mit Angriffen auf deutsche Städte und nuklearen Schlägen. Scholz greift das aktiv auf, und es ja auch bezeichnend, dass die SPD eher Leute wie Rolf Mützenich und Ralf Stegner in die Talkshows schickt und nicht zum Beispiel Andreas Schwarz.
Ganz anders der französische Präsident, der sogar von der Entsendung von Soldaten gesprochen hat. Wie schätzen Sie ihn ein?
Bei Emmanuel Macron muss man immer überlegen: Was will er situativ? In zwei Wochen könnte er nämlich auch wieder ganz anders reden. Momentan nutzt er die Chance, die dadurch entstanden ist, dass der Bundeskanzler als Sprecher für die EU ausfällt. In diese Rolle will er hinein. Er will für sich reklamieren: Ich bin derjenige, der hier und Plan hat. Von Bodentruppen hatte ja zunächst der slowakische Ministerpräsident Robert Fico gesprochen, der ist sozusagen Putins Sprecher in der EU, und Macron war es, der darauf geantwortet hat. Übrigens ging es nicht um Kampftruppen. Es könnte ja sogar wirklich sinnvoll sein, die Ukrainer vor Ort auszubilden und zu beraten. In Deutschland wurde das natürlich sofort so geframt, als ginge es um Kampftruppen.
Verstehe ich Sie richtig, es geht Macron gar nicht in erster Linie um die Ukraine? Die reale französische Hilfe ist ja endenwollend.
In der Tat gibt es da Luft nach oben, auch wenn die Franzosen bei den Marschflugkörpern mit den Briten vorangegangen sind. Macron hat ja auch dafür gesorgt, dass die Munitionsbeschaffung so verzögert wurde, weil er auf Produktion in Europa bestanden hat. Macron ist eine schillernde Figur, der hat keine klare Position, und wenn er jetzt in vier Wochen nach Moskau fliegen würde mit irgendeiner Idee, würde sich auch keiner wundern.
Muss man da Scholz nicht seine Verlässlichkeit zugutehalten? Es gibt immerhin einen kontinuierlichen Strom deutscher Lieferungen. Fixieren wir uns nicht zu sehr auf das eine Waffensystem Taurus?
Ich glaube, auch international wird beides gesehen. Deutschland ist in absoluten Zahlen der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine, im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung liegt es aber immer noch hinter anderen zurück. Dass alle über den Taurus reden, hat Scholz aber doch selbst provoziert. Als Briten und Franzosen ganz ähnliche Marschflugkörper lieferten, hätte Deutschland einfach 20 Stück aus seinen Beständen beilegen können, und keiner hätte darüber geredet. Diese Chance hat Scholz verstreichen lassen. Er hat sich in eine Ecke manövriert, aus der er nicht mehr ohne Gesichtsverlust herauskommt. Wenn ich an seine Behauptung denke, die Ukraine könne mit dem Taurus Moskau angreifen – er kann jetzt nicht mehr hingehen und sagen, ich habe eine neue Information, die Ukraine hat mir zugesagt, darauf zu verzichten, also können wir jetzt liefern. Denn die Ukraine hat schon längst zugesagt, das nicht zu machen.
Das sind für die Ukraine aber schlechte Nachrichten. Kiew braucht die Marschflugkörper zur Bekämpfung des russischen Militärpotenzials auf der Krim.
Die Briten und Franzosen sagen zu Recht, wir haben geliefert, jetzt seid Ihr dran. Es geht also gar nicht nur um die Ukraine, sondern auch um die Bündnissolidarität mit Frankreich und Großbritannien. Scholz hätte mit einem Ringtausch aus der Klemme kommen können – Taurus für Briten und Franzosen, die geben dafür ihre Marschflugkörper an die Ukraine ab.
Damit sind wir ja wieder am Startpunkt. Welche Folgen hat die ganze Debatte für das Vertrauen innerhalb der Nato?
Da gibt es zwei Dimensionen. Die eine ist das abgehörte Gespräch. Solche Pannen können passieren, auch wenn die Darstellung vom Anwenderfehler sehr geschönt ist. Aber denken wir mal an den US-Soldaten Jack Texeira, der aus Geltungssucht Pentagon-Papiere zur Lage in der Ukraine in Chatgruppen gepostet hat. Das ist passiert, daraus muss man lernen, dann lässt sich das Vertrauen wieder herstellen.
Eine ganz andere Dimension hat es, wenn der Bundeskanzler sich von einem ehemaligen Verteidigungsminister – dem Briten Ben Wallace – sagen lassen muss, er sei der falsche Mann am falschen Platz zur falschen Zeit. Das hat eine andere Qualität. Diese Zweifel an Deutschlands politischer Verlässlichkeit wirken viel tiefer als ein Abhörfall.