AboAbonnieren

ImpfpflichtBundestagspräsidentin Bas will „nichts übers Knie brechen“

Lesezeit 8 Minuten
Neuer Inhalt

Bärbel Bas in der 9. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas mahnt im Rundschau-Interview mit Tobias Schmidtd eine gründliche Debatte über eine Impfpflicht anund kündigt an, wie sie für mehr Frauenpower in der Politik sorgen will.

Frau Bas, Sie sind gerade seit zwei Monaten Bundestagspräsidentin. Was war bisher Ihre schönste Amtserfahrung?

Die Vereidigung des Kanzlers und der Ministerinnen und Minister war für mich ein solcher, toller Moment. Ich bin seit zwölf Jahren Abgeordnete, da ist man bei der Vereidigung eher Zuschauer, nun habe ich die Sitzung selbst geleitet und die Amtseide abgenommen. Das waren besonders schöne Erfahrungen.

Hatten Sie auch schon einen bitteren Moment?

Nein, soweit würde ich nicht gehen. Aber es gibt natürlich kritische und notwendige Entscheidungen, etwa darüber, wie wir unter Corona-Bedingungen den Parlamentsbetrieb aufrechterhalten. Dürfen nur noch Geimpfte in den Plenarsaal? Oder Geimpfte und Getestete? Das sind keine leichten Entscheidungen.

Finden Sie es als Bundestagspräsidentin eigentlich in Ordnung, dass der AfD der Anspruch auf einen Posten im Präsidium verwehrt wird?

Natürlich hat die AfD den Anspruch, einen Vizepräsidentschaftskandidaten aufzustellen. Aber er oder sie benötigt die notwendigen Stimmen von den anderen Fraktionen. Es geht darum, das Haus nach außen zu repräsentieren. Dafür ist nun mal eine Mehrheit erforderlich, und jeder Abgeordnete entscheidet selbst, wo er sein Kreuz setzt.

Eine Mehrheit ist aber nicht in Sicht. Den Vorwurf der AfD, sie werde – obwohl demokratisch gewählt – in der Volksvertretung ausgegrenzt, verstehen Sie nicht?

Nein, denn die Bundestagsregeln schreiben eine Wahl vor. Es geht auch um die Leitung von Sitzungen, von Kommissionen, die mit dem Amt verbunden sind. Das treibt die anderen Fraktionen um, wenn es um Stimmen für AfD-Kandidaten geht. Wenn diese nicht die erforderliche Stimmzahl erhalten, ist das Demokratie, das habe ich als Präsidentin nicht zu bewerten.

Sie wurden von der SPD-Fraktion aufgestellt, weil Fraktionschef Rolf Mützenich ein Mann ist und bei seiner Wahl alle fünf staatlichen Spitzenämter von Männern besetzt gewesen wären. Wurmt Sie das ein bisschen?

Überhaupt nicht. Ich fühle mich in diesem wichtigen Amt sehr wohl. Rolf Mützenich hat mich aufgrund meiner parlamentarischen Erfahrungen ausgewählt, ich war sechs Jahre parlamentarische Geschäftsführerin, kenne das Innenleben der Verwaltung durch verschiedenen Kommissionen. Und in der Gesundheitspolitik, meinem bisherigen Fachgebiet, geht es auch nicht zimperlich zu. Abgesehen davon ist es gut, dass nun, nach Angela Merkel, weiterhin eine Frau in der Riege der Verfassungsorgane vertreten ist.

In zwei Monaten ist die Wahl des Bundespräsidenten. Wäre es nicht an der Zeit, auch das höchste Staatsamt mit einer Frau zu besetzen?

Der Zeitpunkt wird sicher kommen. Aber Frank-Walter Steinmeier ist ein beliebter Bundespräsident, der sich sehr stark für den gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzt. Ich unterstütze seine Wiederwahl.

Braucht es eine Frauenquote für den Bundestag?

Ich bin Verfechterin von Quoten, solange es sie braucht, um für echte Gleichstellung zu sorgen. Dass Frauen im Bundestag mit knapp 35 Prozent unterrepräsentiert sind, hängt an den Parteien und auch am Wahlrecht. Ich befürworte Parität beim Wahlrecht, aber dafür braucht es einen Weg, wie man das verfassungsgemäß möglich machen kann. Einige Parteien erstellen ihre Listen schon im Reißverschlussverfahren, immer abwechselnd ein Mann und eine Frau. Freiwilligkeit reicht nicht, alle Parteien müssen angehalten werden, zumindest bei der Listenaufstellung die Hälfte der Plätze mit Frauen zu besetzen.

Kommen wir zu Corona. Rund um Silvester herrscht ein bundesweites Ansammlungsverbot. Warum also dieser „Lockdown light“ selbst für Geimpfte und Genesene?

Es gibt die Angst, dass sich die Omikron-Variante besonders aggressiv ausbreitet und die Zahlen schon bald wieder sehr schnell steigen. Für Ungeimpfte wird es dann gefährlich. Zumal: Wenn auch extrem viele positiv getestete Geimpfte zuhause bleiben müssen, fehlt das Personal in Kliniken, bei der Müllabfuhr oder bei den Stromversorgern. Klar, nach zwei Jahren Pandemie sind alle müde und viele gereizt. Und ich kann den Frust derjenigen verstehen, die trotz zweifacher oder sogar dreifacher Impfung mit Einschränkungen leben müssen. Aber wir müssen einfach noch vorsichtig bleiben.

Schränkt der Staat die Freiheit seiner Bürger wirklich nicht unzulässig ein?

Ich sehe keine unzulässige Einschränkung. Parallel zu den Beschränkungen wird die Impfkampagne beschleunigt. Das wird helfen, die Omikron-Welle möglichst flach zu halten. Aber ganz ohne Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte geht es noch nicht, weil sich eben auch viele Geimpfte anstecken und das Virus weitergeben können, gerade weil sie sich oft nicht krank fühlen. Und niemand verbietet das Feiern an Silvester, aber bitte im kleinen Rahmen!

Präzisere Daten, etwa über die Ausbreitung von Omikron, könnten ein gezielteres Vorgehen ermöglichen. Warum sind wir nach zwei Jahren Pandemie noch immer im Blindflug?

Es stimmt, viele andere Länder sind deutlich weiter, haben mehr und bessere Daten, sodass wir uns von ihnen abschauen müssen, was auf uns zukommt. Ich plädiere dringend dafür, unsere Datenlage zu verbessern und dem RKI und auch anderen öffentlichen Forschungseinrichtungen einen leichteren Zugang dazu zu verschaffen. Vielfach schlummern Daten, sei es bei niedergelassenen Ärzten oder Gesundheitsämtern, oder werden zu spät weitergeleitet. Es fehlt auch an schneller und zentraler Aufarbeitung. Da sehe ich deutlichen Optimierungsbedarf, um den Verlauf der Pandemie vorhersehbarer zu machen und den Menschen transparent und nachvollziehbar erklären zu können, warum welche Maßnahmen ergriffen werden.

Omikron ist ansteckender, aber es gibt auch Hinweise auf mildere Verläufe, zumal bei Geimpften. Wenn jetzt auch für sie Auflagen gelten, untergräbt das nicht die Impfmotivation?

Das ist ein schwieriges Thema. Ich sehe doch auch, dass viele Menschen erschöpft sind, weil schon wieder kein Ende in Sicht ist. Jetzt stellen wir fest, dass der Impfschutz nicht so lange erhalten bleibt, wie gehofft und es wird über Viertimpfungen gesprochen. Ich bin all denen zutiefst dankbar, die sich haben impfen lassen, die überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hält sich an die Schutzmaßnahmen. Es gibt weiterhin eine riesige Bereitschaft, gesund durch die Pandemie zu kommen. Das ist ein großes Glück. Trotz aller Verunsicherung bleibt es dabei: Impfen ist der einzig sichere Weg, sich vor einem schweren Verlauf zu schützen. Ohne Impfungen wären wir insgesamt in einer sehr viel schlimmeren Lage.

Bund und Länder wollen schon im Februar eine allgemeine Impfpflicht einführen. Ist das wirklich machbar – und notwendig?

Ich bin nicht dagegen, aber es gibt noch viele unbeantwortete Fragen, angefangen vom Verfassungsrecht bis zur Unklarheit über die Dauer der Immunität nach einer Impfung. Wenn alle paar Monate aufgefrischt werden muss, wird es mit einer Pflicht extrem kompliziert. Und ab welchem Alter sollte diese gelten? Wie soll es kontrolliert werden? Ist bei einer Einführung ausreichend Impfstoff vorhanden?

Was folgern Sie aus all dem?

Mein Plädoyer: Wir sollten uns für eine Impfpflicht wirklich Zeit nehmen und nichts übers Knie brechen. Einen Bundestagsbeschluss schon im Januar hielte ich für verfrüht. Das Parlament muss sich gründlich mit dem komplexen und kontroversen Thema befassen. Es geht immerhin auch um die körperliche Unversehrtheit der Menschen, und viele sehen diese bedroht. Das gilt es ernst zu nehmen. Wenn wir erst im März fertig wären, wäre das völlig in Ordnung. Ich warne jedenfalls davor, unnötigen Zeitdruck zu machen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Braucht es für die Impfpflicht nun ein Impfregister oder nicht?

Eine Impfpflicht macht nur mit einem nationalen Impfregister Sinn. Nur so ließen sich Fälschungen vermeiden. Und nur mit einem solchen Register ließe sich erkennen, wenn eine Charge womöglich nicht ganz in Ordnung war, oder ob es Nebenwirkungen gibt, die in seltenen Fällen später auftreten könnten. Damit könnten Menschen gezielt angeschrieben werden, wenn es um den nächsten Boostertermin geht, am besten gleich mit Terminvergabe. Aber auch hier sehe ich noch viel Diskussionsbedarf.

Eskalierende Proteste gegen eine Impfpflicht erwarten Sie nicht?

Dazu muss es nicht kommen. Vielen könnte eine allgemeine Impfpflicht auch einen Ausweg bieten, die sich jetzt in eine Ecke gedrängt sehen, aus der sie selbst nicht herauskommen. Und selbst wenn es vereinzelt aggressive Demonstrationen geben sollte: Der Staat muss am Ende wehrhaft sein und darf sich dadurch nicht davon abhalten lassen, das als notwendig Erkannte auch umzusetzen.

Lenkt die aufgeladene Impfpflicht-Debatte nicht von den Aufgaben ab, jetzt schnellstmöglich vor allem die Risikogruppen zu boostern und noch mehr Menschen zu Erstimpfungen zu bewegen?

Das sollte nicht passieren! Es geht darum, nach den 30 Millionen Impfungen bis Ende des Jahres das Tempo im neuen Jahr hochzuhalten, schnellstmöglich die Impfquote Richtung 80 oder sogar 90 Prozent zu treiben. Wenn wir das Ziel erreichen, brauchen wir womöglich gar keine Impfpflicht mehr. Jeder, der sich jetzt impfen lässt, trägt dazu bei.

Blicken wir zum Abschluss ins neue Jahr: Was ist der Parlamentspräsidentin besonders wichtig in den kommenden Monaten?

Gerade jetzt in den in den Weihnachtstagen habe ich wieder festgestellt, was für tiefe Kerben die Pandemie in Freundeskreise, in Familien, in Belegschaften geschlagen haben. Mein Wunsch ist es, dass wir als Gesellschaft wieder zu der Solidarität und Verbundenheit zurückfinden, die uns zu Beginn der Pandemie so enorm geholfen und gutgetan hat. Lasst uns alle auf Freunde, auf Bekannte zugehen, nicht nur über das Impfen reden, einander ohne Empörung und erhobene Zeigefinder begegnen.

Nicht wir sind das Problem, sondern das Virus, und wir sollten Corona nicht erlauben, unsere Gesellschaft nachhaltig zu beschädigen. Zu Beginn der Krise haben viele einander geholfen, es gab einen tiefen Zusammenhalt. Dahin können wir zurückfinden, statt uns in Geimpfte und Nichtgeimpften spalten zu lassen, uns unversöhnlich gegenüber zu stehen. Dass es gelingt, unsere Gemeinsamkeiten und Stärken jenseits von Corona wiederzuentdecken, das ist meine Hoffnung für das neue Jahr.

Und wie feiern Sie sie selbst hinein ins Jahr 2022? Haben Sie noch eine Rakete im Keller versteckt, die sie um Mitternacht zünden werden?

(lacht) Nein, da besteht bei mir keine Versuchung, ich böllere schon seit vielen Jahren nicht mehr. Ich werde mit Freunden an der Mosel das neue Jahr begrüßen, im kleinen Kreis. Und ich werde die Tage nutzen, das für mich sehr ereignisreiches Jahr endlich einmal in Ruhe Revue passieren zu lassen.