Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, sieht nach den Enthüllungen über den früheren Essener Kardinal Franz Hengsbach eine neue Dimension des Missbrauchsskandals.
„Alles muss auf den Tisch“Bätzing sieht neue Dimension des Skandals
„Alles muss auf den Tisch. Die Wahrheit muss auf den Tisch. Nur so werden die Betroffenen zu ihrem Recht kommen“, forderte der Limburger Bischof am Montag in Wiesbaden zum Auftakt der Herbstvollversammlung der Bischöfe.
Dem 1991 gestorbenen Kardinal wird bislang Missbrauch in zwei Fällen in den 1950er- und 1960er-Jahren vorgeworfen. Das Bistum Essen und das Erzbistum Paderborn, aus dem Hengsbach stammt, veröffentlichten vorige Woche die Anschuldigungen. Offensichtlich hätten sich nun weitere Betroffene gemeldet, sagte Bätzing. „Das heißt ja immer, dass sich die Vorwürfe erhärten.“ Er hoffe, dass sich die Fälle so lange nach dem Tod des mutmaßlichen Täters noch aufklären ließen.
„Verbrecherisches Verhalten“
Die Verunsicherung der Gläubigen im Ruhrbistum sei angesichts der Bedeutung von Hengsbach mit nichts zu vergleichen – „wenn man sieht, auf welch hohem Sockel dieser Mann stand als Gründerbischof und dann stürzt“, so Bätzing. „Das sind ja Generationen von Menschen, die dort geprägt wurden und dann enttäuscht werden durch ein verbrecherisches Verhalten eines solchen Bischofs – das hat für mich eine Qualität, die wir bisher nicht hatten.“
Am Sonntagabend hatte Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck im WDR-Fernsehen erklärt, dass sich beim Bistum Essen inzwischen weitere mutmaßliche Missbrauchsopfer Hengsbachs gemeldet hätten. „Aber ich weiß noch nicht, wie viele“, so Overbeck. Er fügte hinzu: „Das Entsetzen, das erlebe ich in diesen Tagen, ist deswegen so groß, weil er so eine wichtige Identifikationsfigur für unser Bistum gewesen ist.“ Ihm sei wichtig, „dass auch Leute ermutigt werden, sich zu melden, die gerade wegen der Popularität meines Vorgängers sich nicht getraut haben, was zu sagen“.
Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) zeigte sich betroffen. „Die mutmaßlichen Taten und die abermals dokumentierte Vertuschungsstrategie der Kirche zerstören Reste an Vertrauen“, erklärte Präsidentin Irme Stetter-Karp. „Wieder entsteht der Eindruck, dass nicht die Betroffenen, sondern die Täter geschützt wurden.“ Stetter-Karp wies darauf hin, dass Hengsbach von 1947 bis 1953 Generalsekretär des ZdK und danach bis 1968 dessen bischöflicher Generalassistent war. Eine erste Überprüfung des Archivs habe aber keine Hinweise ergeben, dass das ZdK wegen Missbrauchsvorwürfen kontaktiert wurde.
Neue Lage durch Kölner Urteil
Bätzing machte derweil klar, dass er das bestehende kirchliche System der freiwilligen Entschädigungszahlungen für Missbrauchsopfer weiter für geeignet hält. Allerdings sei durch ein Urteil des Landgerichts Köln zu Schmerzensgeldzahlungen für einen Betroffenen eine neue Situation entstanden. Das Gericht hatte im Juni das Erzbistum Köln zur Zahlung von 300000 Euro an den ehemaligen Ministranten Georg Menne verurteilt.
Der Betroffenenbeirat bei der Bischofskonferenz hatte gefordert, das Entschädigungssystem zu reformieren. Die Bischöfe müssten Rahmenbedingungen schaffen, die Zivilklagen von Betroffenen unnötig machten. Bätzing sagte nun, das bestehende System biete viele Chancen, weil es sich an Urteilen der Gerichte orientiere, Widerspruchsmöglichkeiten für Betroffene biete und es zugleich ermögliche, Fälle ganz neu aufzurollen.
Die 64 teilnehmenden Bischöfe beraten bei ihrer Tagung bis Donnerstag schwerpunktmäßig über die Aufarbeitung und Prävention von Missbrauch. So soll ein neues Papier zum Umgang mit dem Missbrauch geistlicher Autorität vorgestellt werden. (kna/mit afp, epd)