Die SPD auf Tiefststand, Verluste bei den Grünen. Und gleichzeitig zieht die AfD als zweitstärkste Partei nach vorne. Was bedeutet das Wahlergebnis für die Berliner Ampel?
KommentarSo wurde die Europawahl zum Desaster für Kanzler Scholz
Es war zu erwarten und ist jetzt nicht mehr vom Tisch zu wischen: Deutschland geht zur Europawahl – und stimmt über Berlin ab. Die einzige bundesweite Abstimmung vor der Bundestagswahl 2025 wurde zum Denkzettel für die Ampel-Koalition, vor allem für die hart abgestrafte SPD. Die Kanzler-Partei sackte auf einen katastrophalen Tiefstwert ab, überholt von der AfD. Dass das rot-grün-gelbe Dreierbündnis den Rückhalt aus der Wahl 2021 mit seinem Stolper-Kurs und einem zaudernden Kanzler verspielt hat, zeichnete sich in Umfragen ab, jetzt gibt es die Zwischenbilanz schwarz auf weiß.
15 Monate vor der Bundestagswahl ist nicht mehr viel Zeit, sich in der zersprengten Ampel-Runde zusammenzureißen. Scholz, der sich auf den letzten Metern im EU-Wahlkampf in heiklen Fragen für seine Verhältnisse erstaunlich klar positionierte –, wie bei Abschiebungen nach Afghanistan – muss die Koalitionspartner strikt auf einen gemeinsamen Kurs bringen. Dabei steht er auch angesichts des offenen Haushaltsstreits erheblich unter Druck.
Die Union konnte von der Unbeliebtheit der Regierung profitieren und hat sich unter Friedrich Merz aus dem Tal hochgearbeitet. Eine komfortable Start-Position für den nächsten Wahlkampf. Wären da nicht noch andere Zahlen, die zumindest nicht einfach ignoriert werden können. Denn in der K-Frage würde Parteichef Merz derzeit schlecht abschneiden.
Markus Söder oder Hendrik Wüst bekommen als denkbare Kanzler-Kandidaten in Umfragen deutlich mehr Zustimmung und umschifften bisher geschickt eine klärende Absage. Nach lückenlosem Rückhalt für den Parteichef sieht das nicht aus. Selbst Olaf Scholz ist aktuell bei der Kanzler-Präferenz beliebter als der kantige Friedrich Merz. Der CDU-Chef polterte in den letzten Monaten zwar weniger öffentlich, wird sein Image aber auch nicht los, wenn immer wieder interne Wutanfälle nach außen dringen.
Das Denkzettel-Votum bei der Europawahl zeigt sich auch beim Abschneiden von AfD und Bündnis Sahra Wagenknecht. Dass die AfD dabei nicht mehr auf die noch vor einigen Monaten vorhergesagten Werte kam, liegt sicher auch an der Selbstbeschädigung durch das skandalöse Auftreten von Spitzenkandidat Krah. Doch das schwächt keineswegs das weiterhin erschreckend hohe Potential, vor allem im Hinblick auf die ostdeutschen Landtagswahlen.
Mit Blick auf Europa zeigt sich an den Wahlergebnissen für AfD und BSW in Deutschland, was auch für das Gesamtergebnis der EU-Wahl zu erwarten ist: Die politischen Kräfte, die an der Statik des vereinten Europa sägen und zurück zu nationaler Machtfülle wollen, wachsen. Umso wichtiger ist es jetzt, dass sich im neu gewählten Parlament ein starkes Bündnis der Mitte bilden kann – hoffentlich ohne Beteiligung von Rechtsaußen-Parteien – um dem Druck von innen und von außen standzuhalten.