Die Liberalen hoffen auf einen Sprung über fünf Prozent. Parteienforscher Höhne meint: Lindners Heilsbringer-Image ist angekratzt.
BundestagswahlLegt die FDP noch einen Schlussspurt hin?
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Christian Lindner, Vorsitzender der FDP, spricht bei einem Wahlkampftermin in Düsseldorf.
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Eine Woche vor der Bundestagswahl war es für die FDP endlich so weit. „Geil. Eine Forsa mit 5“, schrieb Parteichef Christian Lindner beim Kurznachrichtendienst X. Nachdem die Umfrageinstitute die FDP ein halbes Jahr lang nicht mehr über der Fünf-Prozent-Hürde gesehen haben, gibt die Einschätzung des Forsa-Institutes nun offenbar noch einmal Mut.
Es ist ein kleiner Schub für eine Partei, die 2017 und 2021 mit zweistelligen Ergebnissen in den Bundestag gewählt wurde. Und deren Spitzenkandidat Lindner noch im vorigen Jahr ein erneutes zweistelliges Ergebnis als Ziel ausgab. Wie konnte es passieren, dass der kleinste Partner der gescheiterten Ampel-Regierung bis zum Schluss derart zittern muss?
Forderung nach schlankem Staat ist kein Alleinstellungsmerkmal
„Der Fokus auf die Kernthemen der Partei reicht nicht mehr“, sagt Parteienforscher Benjamin Höhne von der TU Chemnitz. Mit Forderungen nach einem schlanken Staat, Steuerentlastungen und Wirtschaftsliberalität bleibe die FDP zwar ihrem Markenkern treu. Doch ein Alleinstellungsmerkmal ist das nicht. „Dazu kommt, dass man auch bei der FDP weiß, dass man künftig Geld in die Hand nehmen muss“, erklärt Höhne. Zum Beispiel für die Ukraine-Hilfe und den Aufbau größerer Verteidigungsfähigkeit.
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Die uneingeschränkte Hilfe für die Ukraine ist für die Liberalen ein gewichtiges Thema. Wirklich profilieren konnte sie sich im Wahlkampf damit allerdings nicht. Generell schaffte es die Partei mit einem gefühlt omnipräsenten Christian Lindner nicht, inhaltlich aufzufallen. „Das ist verwunderlich“, sagt Höhne. „Viele haben darüber spekuliert, wann die FDP wohl die Koalition platzen lässt.“ Dass man danach aber so lange brauche, um überhaupt in den Wahlkampf zu kommen, zeuge nicht gerade von planvoller Strategie.
Der Wahlkampfstart wurde verpasst. Erst die kam die Diskussion um Lindners Entlassung als Finanzminister, dann wurde das „D-Day-Papier“ bekannt, mit dem die Partei offenbar den Koalitionsbruch strategisch plante. Zwei ranghohe Parteimitglieder mussten ihre Posten räumen. Lindner blieb. Die FDP hielt strategisch lange an der strikten Personalisierung fest. Erst eine Woche vor der Wahl wurde das aufgeweicht. Neben Lindner tauchte plötzlich auch Wolfgang Kubicki auf den Wahlplakaten auf, der rhetorisch ähnlich mitreißend auftreten kann wie der Parteichef.
Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz hatte sich da gerade erst gegen „Stimmenschenkungen“ für die FDP ausgesprochen. Ein Tiefschlag, denn die Union sei für die Schwäche der FDP ohnehin schon mitverantwortlich, sagt Höhne. „Wir erleben eine ,Freidemokratisierung‘ der Union. Das gräbt der FDP das Wasser ab.“ In Person von Merz, mit seinen früheren Tätigkeiten in der freien Wirtschaft, hat die Union selbst einen für die Wähler glaubwürdigen Wirtschaftsfachmann.
Die Liberalen bedienen traditionell eine kleine Wählerklientel: Freiberufler, Selbstständige, Besserverdienende. Sie alle könnte es gerade wegen der angespannten Wirtschaftslage zur FDP ziehen, die Steuerentlastungsideen der Liberalen sind vor allem für sie lohnend. Aber bei aller Abgrenzung bleibt die FDP auch Teil einer Ampel-Koalition, die als Schuldige für die wirtschaftliche Lage mit einem Rekord an Insolvenzen verantwortlich gemacht wird.
Schuldzuweisungen in Richtung Scholz, Habeck und Merz gehen Lindner und Co. leicht von den Lippen, dabei hat die Partei selbst entscheidende Fehler gemacht. Vor allem eine Gruppe ist ihr abhanden gekommen: Bei den jüngsten Wählern war die FDP 2021 mit 20,5 Prozent Zustimmung noch zweitstärkste Kraft nach den Grünen. Kritik an den Corona-Maßnahmen, aber auch der Fokus auf Digitalisierung fanden Zuspruch.
Nun erreichte die Partei unter Erstwählern gerade einmal sechs Prozent, wie eine Forsa-Umfrage für RTL ergab. Sie orientieren sich nach links und rechts, im mittleren Parteienspektrum dringen kaum Angebote für sie durch. Steigende Sozialabgaben, eine unsichere Rente, womöglich die Rückkehr der Wehrpflicht. Gerade da hätte die FDP ein mögliches Alleinstellungsmerkmal. Niemand besteht so strikt im Sinne einer Generationengerechtigkeit auf der Schuldenbremse wie sie. „Solche Themen hätte sie im Wahlkampf viel mehr in den Fokus nehmen müssen“, sagt Höhne.
Stattdessen setzt man weiter vor allem auf Hyperpersonalisierung. „Die ganze Partei ist auf Christian Lindner ausgerichtet“, sagt Höhne. „Und die FDP hat ihm viel zu verdanken. Aber sein Heilsbringer-Image ist angekratzt“, konstatiert der Experte.
Bei einem Scheitern steht die Personalie Lindner zur Disposition
Besucht man in diesen Wochen Parteiveranstaltungen, ist davon jedoch nichts zu spüren. Die FDP ist sich selbst genug: Dieser Eindruck drängt sich auf. Reicht diese Geschlossenheit, um doch in den Bundestag zu ziehen? „Mich würde es überraschen“, sagt Parteienforscher Höhne. Die Umfragen seien da seit Wochen sehr stabil. Die meisten sehen die FDP weiterhin bei vier Prozent.
Dass bei einem Scheitern die Personalie Lindner zur Disposition stehen wird, ist für Höhne klar. Sorgen macht sich der Politologe um die dem Namen nach letzte liberale Kraft in Deutschland nicht. „Die FDP kennt den Blick in den Abgrund. Und sie weiß: Totgesagte leben länger.“