Essen – Der Name Galeria wird im Empfangsbereich der Essener Konzernzentrale großgeschrieben. Die Marken Karstadt und Kaufhof tauchen vergleichsweise klein neben den meterhohen Hochglanzfotos von Kaufhaus-Immobilien auf, die im Foyer zu sehen sind. Miguel Müllenbach, der Chef des einzig verbliebenen deutschen Warenhauskonzerns, will nach der Fusion der beiden langjährigen Konkurrenten auch mit dem Markenauftritt demonstrieren, dass ein neues Unternehmen entstanden ist. Im Interview mit unserer Redaktion spricht Müllenbach über seine Pläne für die 131 Filialen.
Herr Müllenbach, der Handel hat schwere Zeiten hinter sich. Die behördlich angeordneten Schließungen wegen Corona haben auch Galeria Karstadt Kaufhof schwer getroffen. Hat sich die Lage nun normalisiert?
Miguel Müllenbach: Wir haben über Monate hinweg unser Geschäft abhängig von den Corona-Fallzahlen und den damit verbundenen behördlichen Vorgaben steuern müssen. Ich denke etwa an Kundenbegrenzungen, Terminvereinbarungen und Corona-Testnachweise. Das hat sich teilweise täglich geändert. Und insbesondere die Schließungen haben uns komplett vom Umsatz abgeschnitten. Seit etwa zwei Monaten sind alle Warenhäuser wieder geöffnet, aktuell mit der Ausnahme unserer Filiale in Euskirchen, die in der Flutkatastrophe Schaden genommen hat.
Spüren Sie, dass die Menschen nach dem Lockdown beim Einkaufen etwas nachholen?
Die Kundenfrequenz ist insgesamt noch niedriger als vor der Pandemie. Gerade in den großen Innenstädten wirkt sich aus, dass weniger Touristen unterwegs sind. Die Menschen kommen gezielter in die Innenstädte, und der durchschnittliche Bon fällt höher aus als in der Vergangenheit. Unsere Umsätze liegen über den Werten im vergangenen Jahr, sind aber noch niedriger als 2019. Unser Ziel ist es, beim Umsatz möglichst schnell wieder zum Vor-Corona-Niveau zu kommen.
Die Corona-Fallzahlen steigen wieder: Befürchten Sie, dass es erneut strengere Auflagen oder Schließungen im Handel gibt?
Es zeichnet sich ab, dass es eine vierte Welle gibt. Mit unseren Hygienekonzepten und unseren großen Flächen haben wir schon 2020 bewiesen, dass es jederzeit möglich ist, sicher im Warenhaus einzukaufen. Und nun ist die Situation auch anders als im vergangenen Jahr, weil es inzwischen für jeden ein Impfangebot gibt. Eine erneute Schließung des nicht lebensnotwendigen stationären Einzelhandels wäre nicht mehr verhältnismäßig.
Zur Person
Miguel Müllenbach (45) ist seit Juni vergangenen Jahres Vorsitzender der Geschäftsführung Galeria Karstadt Kaufhof. Die Warenhauskette gehört zur österreichischen Unternehmensgruppe Signa, die vom Geschäftsmann René Benko gesteuert wird. Bevor Müllenbach im April 2005 zu Karstadt wechselte, war er in unterschiedlichen Management‐Positionen in den Handelskonzernen Metro und Otto sowie bei Fielmann und davor als selbständiger Unternehmensberater tätig.
Gleichwohl könnten die Warenhäuser künftig einmal mehr von Kontaktbeschränkungen betroffen sein.
Wir gehen davon aus, dass die Politik diesmal ihr Versprechen hält und einen erneuten Lockdown verhindern wird. Als Gesellschaft müssen wir mit Corona leben und umgehen lernen. Menschen sind soziale Wesen, die nicht nur in einer virtuellen Welt leben wollen. Einkaufen in der Innenstadt gehört dazu. Und wie gesagt, steht nun auch jedem die Möglichkeit offen, sich durch Impfungen zu schützen. Da wünsche ich mir mehr Überzeugungsarbeit statt Beschränkungsandrohungen.
Das Weihnachtsgeschäft ist für Warenhäuser erfahrungsgemäß besonders wichtig. Wäre noch ein Lockdown in der Adventszeit für den Handel der größte anzunehmende Unfall?
Ja. Ein unnötiger Unfall mit vielen weiteren negativen Konsequenzen gerade für kleinere und mittlere Händler und Dienstleister.
Wie wichtig sind Weihnachtsmärkte, um Menschen in die Innenstadt und damit auch zu Karstadt und Kaufhof zu locken?
Sehr wichtig. Sie vermitteln diese besondere Weihnachtsstimmung sehr stark. Wir hoffen natürlich, dass es wieder Weihnachtsmärkte in den Innenstädten geben wird.
Sie planen einen Neustart für Ihr Unternehmen unter der Überschrift „Galeria 2.0“. Künftig soll es drei Typen von Warenhäusern geben, die Sie „Weltstadthaus“, „regionaler Magnet“ und „lokales Forum“ nennen – mit Pilotfilialen in Frankfurt am Main, Kassel und Kleve entstehen. Ist das künftig eine Drei-Klassen-Gesellschaft im Konzern?
Nein, es geht nicht darum, dass wir bestimmte Filialen als mehr oder weniger wertvoll einschätzen. Im Gegenteil: Unser Ziel ist es, auf die lokalen Bedürfnisse unserer Kunden sehr viel besser als bisher einzugehen – Standort für Standort. Eine Filiale in München-Schwabing hat zum Beispiel eine andere Kundschaft als die am Marienplatz und benötigt daher andere Sortimentsschwerpunkte.
Dort kaufen sehr viel mehr Touristen?
Touristen spielen am Marienplatz eine wichtige Rolle. Aber nicht nur dort. An der Mönckebergstrasse in Hamburg oder an der Hauptwache in Frankfurt wollen wir auch internationale Touristen erreichen, die etwa aus Asien, Russland oder dem arabischen Raum kommen. Aber auch die lokale Bevölkerung unterscheidet in ihrem Einkaufsverhalten zwischen einem Nahversorger in ihrem Stadtteil und einem großen Haus mitten im Zentrum.
In Kassel möchten Sie Verkaufsflächen abgeben, beispielsweise für städtische Bürgerdienste, E-Bike-Stationen oder Paketschalter. Was steckt dahinter?
Wir möchten unsere Relevanz als Anlaufstelle in der Innenstadt erhöhen – unter anderem durch die Kooperation mit Kommunen, die sich und Ihre Dienstleistungen den Kunden dann mal bei uns ganz anders präsentieren. Wir machen allen Kommunen an unseren Standorten ausdrücklich dieses Angebot der Zusammenarbeit. Aber wir arbeiten auch mit vielen Unternehmen zusammen, etwa DHL oder Amazon. In Kassel haben wir künftig auch eine Abholstation für Lieferungen. Kunden können sich Pakete zur Warenhausfiliale liefern lassen, in einer Umkleidekabine anprobieren und gegebenenfalls unmittelbar eine Retoure auf den Weg bringen.
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Wofür steht das Konzept der Pilotfiliale in Kleve?
Das lokale Forum, wie wir es in Kleve planen, zeichnet sich dadurch aus, dass wir auf relativ kleiner Fläche ein Sortiment anbieten, das besonders stark auf die örtlichen Bedürfnisse zugeschnitten ist. In Kleve haben wir die Rolle des klassischen Nahversorgers.
Haben Sie schon entschieden, wie Sie Ihre 131 Standorte jeweils den Warenhaus-Kategorien zuordnen?
Ja. Zu den Weltstadthäusern gehören beispielsweise die Filialen Berlin-Alexanderplatz, München-Marienplatz, Hamburg-Mönckebergstraße und unser Standort Hohe Straße in Köln.
Wo ordnen Sie die Warenhäuser aus dem Ruhrgebiet ein?
Unsere Filialen in Bochum, Essen und Mülheim sind ein regionaler Magnet. Gelsenkirchen ordnen wir als lokales Forum ein. Ganz wichtig ist dabei: Wir denken nicht in starren Kategorien. In die Zuordnung kann abhängig von der jeweiligen Entwicklung vor Ort Bewegung kommen. Die Kunden entscheiden dies letztlich mit ihren lokalen Bedürfnissen, nicht ein Planungsteam in Essen. Die Sortimentssteuerung durch unseren Einkauf wird daher noch viel granularer anhand der Kundenbedürfnisse auch innerhalb dieser Kategorien stattfinden.
Ihr Neustart ist für Oktober geplant. Verschwinden dann auch die Namen Karstadt und Kaufhof aus den Innenstädten? Bleibt lediglich der Name Galeria?
Uns treibt um, dass wir als ein gemeinsames Unternehmen wahrgenommen werden wollen. Das muss sich auch im Markennamen abbilden. Manche sagen ja, was wir vorhaben, sei so, als wolle man aus Borussia Dortmund und Schalke 04 einen FC Ruhrgebiet formen. Aber das ist es nicht. Wir werden unsere Geschichte behalten. Für unsere Menschen ist es wichtig, wo sie herkommen. Das umfasst beispielsweise auch Horten und Hertie. Aber jetzt gehen wir gemeinsam weiter. Natürlich hat uns in den letzten 15 Monaten auch das gemeinsame Erleben der Pandemie zusammengeschweißt. Wir haben schon eine ganz neue, gemeinsame Geschichte.
Soll ein neuer Name auch unterstreichen, dass es einen echten Neustart des Unternehmens gibt?
Ja. Die eigentliche Veränderung der Branche hat in den vergangenen Jahren außerhalb des Warenhauses stattgefunden. Es sind milliardenschwere Imperien im Onlinehandel entstanden, die unser Geschäft im Kern verändert haben. Daher ist es gut, wenn wir unsere Kräfte bündeln.
Welche Schäden gab es durch die Flutkatastrophe an Ihren Warenhaus-Standorten?
Wir waren erschüttert, was die Flut in Euskirchen angerichtet hat. Das Untergeschoss stand komplett unter Wasser. Es laufen Aufräumarbeiten und die Filiale muss renoviert werden. Es wird noch ein paar Wochen dauern, bis sie wieder an den Start gehen kann. Auch an unseren Standorten in Hagen und Dortmund hat es Schäden gegeben. Aber am meisten hat mich berührt, was einzelnen Kolleginnen und Kollegen passiert ist, die teilweise alles verloren haben. Wir haben versucht, das so gut es geht zu lindern – gemeinsam mit unserem Sozialpartner.
Nach der Fusion von Kaufhof und Karstadt haben Sie eine Reihe von Logistikzentren geschlossen und sich bundesweit auf zwei Standorte – Unna und Essen-Vogelheim – konzentriert. War dieser Einschnitt erforderlich?
Die beiden Standorte sind genau passend für die logistischen Herausforderungen, die wir im Online-Handel und in unseren Warenhäusern haben. Wir investieren hier weiter in die Automatisierung, um schneller und effizienter zu werden. Aber wir brauchen weiter unsere Logistikexperten. Allein in Unna sprechen wir von mehr als 1400 Beschäftigten, in Essen-Vogelheim sind es etwa 700. Wir suchen an den Standorten auch zusätzliche Kräfte. Unser Filialgeschäft und den E-Commerce wollen wir konsequent vernetzen, auch in der Logistik.
Mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) verhandeln Sie über einen weiteren Staatskredit für das Unternehmen, nachdem Sie bereits 460 Millionen Euro in Anspruch genommen haben. Wie ist der Stand der Gespräche?
Wir sind in ständigem Kontakt mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Unser Geschäft verläuft sehr viel besser, als wir es im April erwartet haben. Es besteht kein unmittelbarer Handlungsbedarf.
Sie sind seit Juni 2020 Vorsitzender der Geschäftsführung von Galeria Karstadt Kaufhof, sind also mitten in der Pandemie gestartet. Haben Sie in dieser Zeit gelegentlich mal Ihren Optimismus verloren?
Ich hätte das Unternehmen natürlich gerne ohne diese zusätzliche Herausforderung geführt und mitgestaltet. Aber ich habe keine Sekunde meinen Optimismus verloren, weil ich wusste, wozu wir in der Lage sind, wenn wir fest zusammenhalten. Und das haben wir getan.