Bonn/Köln – Massive Stellenstreichungen und Filialschließungen. Zuletzt gab es keine guten Nachrichten vom Warenhausriesen Galeria Karstadt Kaufhof. Der Handelsexperte Thomas Roeb von der Hochschule Bonn Rhein-Sieg bricht dennoch eine Lanze für das Warenhaus. Das sei keineswegs ein hilfloses Opfer des zunehmenden Online-Handels, so Roeb im Gespräch mit dieser Zeitung. „Mindestens über die nächsten 20 Jahre“ habe das Warenhaus in der heutigen, reduzierten Form eine Zukunft.
Entsprechen hätten die Warenhäuser staatliche Hilfskredite durchaus verdient. Die seien keineswegs Geldverschwendung wie Kritiker derartiger Zahlungen monieren, so Roeb. Gravierende Managementfehler dürften dem Warenhaus-Management freilich nicht mehr unterlaufen. In denen sieht Roeb einen wichtigen Grund für die aktuelle Schwäche des Vertriebskanals.
„Karstadt geriet erst im Strudel des größten Missmanagementskandals der deutschen Nachkriegsgeschichte, der Arcandor-Pleite,in den ersten Konkurs“, so Roeb. Es folgte eine wenig glücklichen Phase unter dem Investor Nicolas Berggruen mit einem anglo-amerikanischen Management und dann de Erholung unter dem neuen Eigner René Benko. „Kaufhof blieb sogar bis in die 2010er Jahre hinein stabil“, so Roeb. Unter dem Investor HBC ab 2015 habe ein letztlich US-amerikanisches Management das Unternehmen so heruntergewirtschaftet, dass selbst das krisenerfahrene Karstadt-Management nach der Übernahme 2018 diesen Sturz nicht sofort stoppen konnte. Und eine Erholung der dann fusionierten Warenhäuser von Karstadt und Kaufhof habe die Corona-Pandemie zunichte gemacht. „Ohne die verheerenden Auswirkungen der Lockdowns sähe Karstadt-Kaufhof heute zweifellos völlig anders aus“, so Roeb.
Jetzt, nach ersten Sanierungserfolgen und kurz vor Ende von Corona, wäre für Roeb ein Untergang der Warenhäuser tragisch. Dabei verweist er auf die 30.000 Mitarbeitenden und den innerstädtischen Einzelhandel. Das Warenhaus spiele eine zentrale Rolle für die Stabilisierung der Innenstädte, die ein komplexes wirtschaftliches Öko-System seien. So funktioniere der Einzelhandel nur eingeschränkt ohne Gastronomie. Diese wiederum benötigt die Frequenz des Einzelhandels. Von vielen kleinen Geschäften seien aber die wenigsten bedeutend genug, als dass der Kunde extra ihretwegen in die Stadt fahre. Gerade die Warenhäuser mit ihrem breiten und umfangreichen Angebot schlössen viele Lücken im Angebot des örtlichen Einzelhandels und lockten damit mehr Kunden in die Stadt, von denen dann alle profitierten.
Ein durch Online-Konkurrenz und Corona-Pademie geschwächter Einzelhandel könne durch die Schließung des örtlichen Warenhauses an den Punkt kommen, an dem ein Teufelskreis einsetze aus schließenden Geschäften, reduzierter Attraktivität der Innenstadt, abnehmender Besucherzahl und weiter schließenden Geschäften und Gastronomiebetrieben. Übrig bliebe eine Mischung aus Billig-Läden, Fast-Food und Leerstand, „eine wirtschaftliche Wüste“, so Roeb.
Durch einen verstärkten Online-Handel lasse sich ein Aus für ein Warenhaus nicht kompensieren so Roeb. Ein primär stationäres Einzelhandelsgeschäft könne nicht beliebig stationären Umsatz verlieren. Bestimmte Kosten etwa für Mitarbeitende ließen sich zwar teilweise reduzieren, andere jedoch wie Mieten und Warenbestand bleiben konstant, unabhängig vom Umsatz. Wenn also der Umsatz unter eine bestimmte Mindestgrenze sinke, muss das Ladenlokal schließen, auch wenn an anderer Stelle online Umsatz erwirtschaftet werde, so Roeb. Die Folge: „Das Unternehmen überlebt, doch die Innenstadt ist tot!“
Freilich müssten sich auch die Warenhäuser ändern. Sie könnten etwa Verkaufsflächen an Einzelhändler vermieten, die dann auf eigene Rechnung hier Geschäfte machten. Auch eine teilweise Umwandlung von Warenhausfläche in Wohnungen, wo die Architektur das zulässt, könnte helfen. Denkbar wären auch Etagen mit Büros oder Fitnessstudios.
Selbst wer nicht an die Zukunft des Warenhauses glaube, müsse anerkennen, dass das Verschwinden der Häuser jetzt im schlechtestmöglichen Moment komme. Der örtliche Einzelhandel brauche zumindest Zeit, sich zu stabilisieren, und die Innenstädte brauchten Zeit, um neue Konzepte zur Rettung zu entwickeln und zu implementieren. „Die Rettung der Innenstädte erfordert die Rettung der Warenhäuser – jetzt!“, sagt Roeb.