Hellenthal/Udenbreth – Es ist Sommerzeit, und die Zugvögel sind wieder da. Eines der ungewöhnlichsten Festivals in der Region öffnete an diesem Wochenende am Weißen Stein in Udenbreth seine Tore für die ersten drei Tage. Eine Neuauflage ist dann fürs kommende Wochenende geplant, dann allerdings mit anderem Setup und neuen Bands.
Was den Zauber des Festivals ausmacht, ist schnell erklärt. Im Kern trifft sich am höchsten Punkt des Rheinlandes alles, was unter Alternativ, Dancefloor-, Multikulti- und Musikszene subsumiert werden kann, auf einen Sommerausflug in die Eifel, um dort eine Party zu feiern.
Wer den Modebegriff „woke“ als Schimpfwort benutzt und nichts mit Nachhaltigkeit, Rücksichtnahme, Freundlichkeit, Umweltbewusstsein, Weltoffenheit, Anti-Rassismus, Veganismus und korrektem Gendern im Sinn hat, sollte am besten dem Gelände fernbleiben.
Auf 1000 Besucher pro Wochenende bleibt das Festival beschränkt, ein Wachstum ist nicht vorgesehen. Dazu gesellen sich die Udenbrether, die durch freien Eintritt für den nicht unerheblichen Geräuschpegel entschädigt werden.
Ob queer, Eifel oder was auch immer, jeder ist willkommen. Das Motto könnte lauten: Mach, was du willst, aber sei „nice“ dabei. „Awareness-Teams“ stehen bereit, sollte sich jemand diskriminiert oder schlecht behandelt fühlen.
Die Trendfarbe der Saison ist irgendwo zwischen sehr bunt und kreischbunt. Nicht wenige Männer sind im Sommerkleid und mit Glitzer-Make-up unterwegs. Die Atmosphäre wirkt, als wäre die Hippie-Generation auferstanden, allerdings um ein Anti-Konsum- und Nachhaltigkeitsgen bereichert.
Drei Wochen lang haben rund 200 Helfer benötigt, um das Gelände am Skihang in eine Dancelocation umzugestalten. Unmengen an Holz, Stroh, aber auch Metall wurden verwendet, um abenteuerliche Fantasiegebilde Realität werden zu lassen, bei denen Wiederverwendbarkeit Trumpf ist.
Lange Schlangen vor veganen Essensständen
Das DJ-Pult am Dancefloor ist ein überdimensionaler Fisch, der auf ein hölzernes Schiff zuschwimmt. Der Mixerplatz an der Musikbühne ähnelt einem gigantischen Strohhut, während die Chillzone „Voodoo-Lounge“ mit den hölzernen Laufgängen an die Baumhäuser im Hambacher Forst erinnert.
Rauchverbot wegen Waldbrandgefahr
„Angesichts der Trockenheit haben wir auf dem ganzen Gelände ein Rauchverbot ausgesprochen“, sagt Carsten aus dem Orga-Team. An allen Buden warnen Schilder vor der Waldbrandgefahr und weisen auf das Verbot hin, das sogar weitgehend beachtet wird.
Die Zugvögel und die Udenbrether haben sich im siebten Jahr aneinander gewöhnt. Beschwerden habe er keine gehört, teilt Michael Huppertz, Ordnungsamtschef und selbst Anwohner, auf Anfrage mit. Im Gegenteil: Die meisten Udenbrether das Festival gut. „Ich war am Samstagabend selbst dort und fand alles in Ordnung“, so Huppertz. Auch das Rauchverbot sei eingehalten worden: „Das läuft.“
Alle Buden und Toiletten sind Holzkonstruktionen, die am Ende des Festivals wieder abgebaut werden sollen.
„In diesem Jahr hatten wir Glück mit dem Wetter, wir sind nicht abgesoffen“, erzählt Carsten aus dem Orga-Team. Außerdem hätten sie im vergangenen Jahr aufgrund der Coronalage nur zwei Wochen Vorlauf insgesamt gehabt. „Jetzt, bei der sechsten Edition, wächst auch die Erfahrung“, sagt er.
Überall locken Hängematten und Kuschelplätze zum Ausruhen nach den kräfteraubenden Rave-Sessions. An den veganen Essensständen bilden sich am Abend lange Schlangen; wer sich kurzfristig mit Nahrung versorgen will, muss mit der einzigen Wurstbude auf dem Platz vorliebnehmen.
Eine Vielzahl von Workshops werden den Besuchern angeboten. Die Liste liest sich wie eine alternative Volkshochschule.
Nacktwandern an der belgischen Grenze
Von „Gute Nacht-Geschichten“ morgens um neun Uhr, über Bastelangebote, Impro-Theater, Hatha-oder Acro-Yoga und Tantra, orgasmischem Atmen, Capoeira, Kreistänze, Lustworkshops oder Diskussionsrunden über interaktive Demokratie bis hin zum Nacktwandern über die belgische Grenze reicht das vielfältige Angebot.
Spontan baut sich am Samstagabend die „Intergalaktische Karaokepolizei“ auf dem Platz auf und präsentierte einen Mitmach-Act. Lena, begeistert gefeiert von den rund 100 Neugierigen, die sich schnell versammeln, muss einen Song von Katy Perry singen und dabei drei Prüfungen bewältigen, um ihren Karaokeausweis zu bekommen. Sprudelwasser trinken, Kopfmassage überstehen und Helium einatmen stehen für sie auf dem Programm, ohne im Gesang zu stocken. Lena löst die Aufgaben mit Bravour und unter viel Gelächter.
Fast geht in dem ganzen Idyll unter, dass das Festival eine gute Möglichkeit darstellt, ausgezeichnete Musik abseits des Mainstreams und Radioeinerleis zu hören. Bands wie „Salomea“ um die Kölner Sängerin Rebekka Salomea Ziegler, das „Multo Kaballa Power Ensemble“ oder „Malaka Hostel“ haben an diesem ersten Wochenende gespielt, DJs wie Coco Loris, Bonnie Ford, Judith Ahrends oder Bassara beschallten den Dancefloor.
„Das ist nicht Rock am Ring, die Leute kommen nicht wegen der Namen“, beschreibt es Carsten und „die Leute“ bestätigen seine Einschätzung mit einem Nicken.
Ein bisschen was von der Hippiezeit
Bereits zum dritten Mal ist Jana aus Kleve mit dabei. „Es ist unheimlich schön, tolle Workshops, gutes Essen und viele schöne Menschen“, schwärmt die 37-jährige Fotografin lachend. So stelle sie sich die Hippiezeit vor, die sie ja nicht erlebt habe. Hier treffe sie immer viele alte Bekannte, lerne aber auch neue Leute kennen.
„Ich genieße hier die absolute Freiheit“, sagt Lara. Die 26-jährige Kölnerin übt sich auf dem Skihang in multipler Hula-Hoop-Akrobatik. Das Tolle sei die familiäre Atmosphäre, eigentlich wolle sie nicht mehr auf größere Festivals gehen. „Es ist hier wie eine eigene Welt“, beschreibt sie.
Auch Luisa aus Köln trifft hier viele Freunde, allein schon deshalb, weil sie mit den Menschen aus dem Orga-Team bekannt ist. „Das Festival lebt einfach davon, dass sich viele kennen“, sagt die Journalistin.
Zum ersten Mal ist Nouri aus Berlin mit dabei. Trotzdem ist er vielen alten Bekannten über den Weg gelaufen. „Ich habe sieben Jahre in Köln gelebt“, löst er das Rätsel. „Ich habe sogar meine Cousine getroffen, die ich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen habe“, berichtet er. Auf jeden Fall wolle er im nächsten Jahr wieder kommen.