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50-jähriges JubiläumDas „Köln Concert“ von Keith Jarrett bleibt ein Mysterium

Lesezeit 5 Minuten
ARCHIV - 14.01.2015, Nordrhein-Westfalen, Köln: Ein Mann nimmt am 15.01.2015 in Köln (Nordrhein-Westfalen) die CD "The Köln Concert" von Keith Jarrett aus dem Regal. Mit dem «Köln Concert» hat Keith Jarrett vor 40 Jahren die Tür zum Jazz für viele neue Fans aufgestoßen. Foto\ Oliver Berg/dpa  +++(c) dpa - Bildfunk+++ (zu dpa: «Wie ein Jazz-Konzert legendär wurde») Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Legendär: Keith Jarretts „The Köln Concert“.

Am Freitag vor 50 Jahren gab Jazzpianist Keith Jarrett sein legendäres „Köln Concert“ in der Kölner Oper. Jochen Axer, der im Publikum saß, erinnert sich.

„Die Leute merkten, dass da was Besonderes ablief. Und ich war ein Teil derjenigen, die sich das erstaunt und ein bisschen sprachlos anhörten.“ Am 24. Januar 1975 fand in der Oper Köln ein heute legendärer Abend statt: Ein Solo-Konzert des US-amerikanischen Jazz-Pianisten Keith Jarrett, das unter dem Titel „The Köln Concert“ weltberühmt wurde.

Jochen Axer, der heute den Jazzclub King Georg leitet, war dabei. Und wenn man 50 Jahre später mit ihm darüber spricht, merkt man: Das Erlebnis hat sich tief eingegraben. In den Genuss sei er „mehr oder weniger zufällig“ gekommen. „Ich glaube, ich hatte mal eine andere Einspielung von ihm gehört, aber er war für mich kein Begriff in dem Sinn: Ich gehe jetzt zu einem Superstar.“

Ich war total begeistert, so etwas in dieser Form hatte ich noch nie gehört: Diese komplette Improvisation und trotzdem hatte man das Gefühl, das ist alles sehr durchdacht.
Jochen Axer

Und so besorgte sich eine vergünstigte Studentenkarte – und ging allein in die Oper. „Ich war total begeistert, so etwas in dieser Form hatte ich noch nie gehört: Diese komplette Improvisation und trotzdem hatte man das Gefühl, das ist alles sehr durchdacht. Das war das Phänomen dieses Konzertes.“

Als der Auftritt zu Ende war, fuhr der damals 20-jährige Axer einfach nach Hause. „Aber ich kann mich erinnern, dass ich meinen Eltern noch gesagt habe: Ich habe ein tolles Konzert gehört. Und zwei, drei Tage später habe ich meinen Musiklehrer aus der Schule angerufen, so etwas müsse er sich auch mal anhören.“

Auch die Schallplattenversion feiert Jubiläum

Das war möglich ab dem 30. November 1975, als die Schallplatte mit dem ikonischen Cover erschien. Jochen Axer kaufte sie sich damals nicht direkt, „erst, als der Hype so richtig hochschwappte“.

Und auch das Album ist etwas Besonderes: „Oft wird man beim Hören von Platten abgelenkt oder bricht ab. ‚The Köln Concert’ muss man von vorne bis hinten durchhören.“ Keith Jarrett habe er übrigens nie wieder live gesehen, aber dieses Konzert ist auf jeden Fall in seiner persönlichen Bestenliste.

Keith Jarretts größer Plattenerfolg

Und nicht nur in der von Jochen Axer: „The Köln Concert“ ist die meistverkaufte Jazz-Soloplatte und meistverkaufte Klavier-Soloplatte – und Keith Jarretts bekannteste und umsatzstärkste Scheibe.

Nachvollziehbar: Denn Jarrett vollzieht hier das kleine Wunder den Bogen zu schlagen von fast eingängigen Melodien, die fast vertraut vorkommen, über an Minimal Music erinnernde Patterns bis hin zu das Atonale streifende Improvisationen. Aber wie das oft ist bei Musikschaffenden: Mit den großen Hits wird gehadert.

Vera Brandes, die das Konzert damals im Alter von 17 Jahren organisierte, erinnerte sich im Gespräch mit der Rundschau, an das einzige Treffen mit Keith Jarrett Jahre später nach einem Auftritt in Wien: „Ich glaube, er versucht, dieses Ding zu verdrängen, das war die kristallklare Botschaft. Da gibt es noch ungelüftete Geheimnisse, was dieses Konzert angeht, über die keiner der Beteiligten spricht und die auch ich nicht kenne.“

Und die auch der Film „Köln 75“, der seine Premiere auf der Berlinale feiert und ab März im Kino zu sehen sein wird, sicherlich nicht lüften wird. Brandes, die auf der Leinwand von Mala Emde verkörpert wird, hatte zwar lange mit der Schauspielerin und dem Drehbuchautor gesprochen, dem Filmteam aber künstlerische Freiheit gewährt.

Wo entstand das Coverfoto?

Und so wird es sicherlich noch weitere Mythen um den Abend geben, Fakten, an die sich heute niemand mehr genau erinnern kann. Wo zum Beispiel das Coverfoto des Albums aufgenommen wurde. Aus Köln stammt es nicht, es war kein Fotograf vor Ort, bestätigt etwa die Plattenfirma ECM.

Und wie war das mit dem Essen: Hatte Keith Jarrett sich den Magen verdorben? Oder war er hungrig, weil er erst kurz vor dem Auftritt eine Kleinigkeit essen konnte.

Die wildesten Geschichten rankten sich um den Flügel, auf dem Jarrett spielen sollte. War es der falsche, der dazu verstimmt war? War keine Zeit, einen Ersatz zu beschaffen, oder machte schlechtes Wetter dies unmöglich? Zumindest am Flughafen Köln/Bonn hat es am 24. Januar 1975 ab circa 6 Uhr nicht mehr geregnet.

Gong oder Glockenspiel?

Den Fragen nach dem Instrument geht auch der französische Filmemacher Vincent Duceau in „Köln Concert – die Dokumentation“ nach, die im November, zum Jubiläum der Schallplattenveröffentlichung Premiere feiern soll. Im Film sagt etwa ein Klavierbauer, dass der Flügel, entgegen anderer Behauptungen, von sehr guter Qualität gewesen.

Dann ist da die Sache der berühmten ersten vier Töne: Worauf basieren sie? Die Legende sagt, Jarrett habe sich am Gong der Oper orientiert, mit dem das Publikum aufgefordert wurde, den Saal zu betreten.

Doch zu dieser Zeit wurde in der Oper dieses Signal mit einer Klingel gegeben. „Ein Mitarbeiter erinnert sich, dass er sie Anfang der 1990er Jahre bei einer Sanierung abgebaut hat“, erzählt Stefan Reich, Leiter der Tonabteilung der Oper Köln.

Doch was hat Jarrett gehört? Vielleicht das Glockenspiel am 4711-Haus? Stefan Reich vermutet, dass es einen Gong gegeben haben könnte, mit dem im Backstage-Bereich Durchsagen angekündigt wurden. Es gebe zwar ein Foto vom Inspizientenpult, auf dem ein Knopf mit der Aufschrift Gong zu sehen sei, aber dieses Pult stamme aus den 1980er Jahren.

Und selbst wenn es im Foyer einen Gong gegeben habe, ist sich Stefan Reich sicher: „Ich glaube, dass Keith Jarrett wie alle Künstler das Haus durch den Bühneneingang in der Krebsgasse betreten hat.“ Und hat angefangen zu spielen ...