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Interview

Premiere am Schauspiel
Matthias Köhler über die Bedeutung von „Engel in Amerika“ für Köln

Lesezeit 4 Minuten
Matthias Köhler

Matthias Köhler inszeniert „Engel in Amerika“ am Schauspiel Köln.

Matthias Köhler spricht über seine Inszenierung von Tony Kushners Erfolgsstück „Engel in Amerika“ im Depot 1 des Schauspiel Köln.

Seitdem „Engel in Amerika“ 1993 am Broadway herauskam, wurde es nicht nur mit Mery Streep und Al Pacino verfilmt, sondern auch immer wieder auf die Bühne gebracht. Am Freitag feiert im Depot 1 Matthias Köhlers Inszenierung Premiere.

Warum haben Sie sich dieses Stück ausgesucht? Es stammt von 1993, spielt in den USA, während der Reagan Ära, zu Beginn der Aids-Krise. Im Mittelpunkt stehen Glaubenskonzepte von zwei Religionen, den Mormonen und dem Judentum, mit denen der durchschnittliche Theaterzuschauer nicht so viel zu tun hat. Und Aids ist heute, wenn auch nicht heil-, so doch zumindest behandelbar.

Ich denke, es ist eines der „Stücke der Stunde“ - mit einer Corona-Epidemie im Nacken, der zweiten Trump-Administration und dem Erstarken der Rechten. Damals wurden die Weichen gestellt für das, was wir heute Rechtspopulismus nennen. Und die Stigmata, wie sie mit Aids verbunden waren, haben wir heute noch.

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Kushner, Jahrgang 1956, hat das Stück aus eigenem Erleben geschrieben, bei mir, Jahrgang 1964, fielen der Beginn der Aids-Krise und Coming-out zusammen. Sie sind Jahrgang 1985, wie haben Sie die Krankheit erlebt?

So wie die meisten Teenager meiner Generation über Safer-Sex-Kampagnen wie „Gib Aids keine Chance“. Ich bin aber zu einem Zeitpunkt damit konfrontiert worden, wo man wusste, dass es nicht mehr der „gay cancer“ ist, sondern es eine gesamtgesellschaftliche Bedrohung gibt und dass sich jeder infizieren kann.

Sind denn das Stück und das Thema HIV/Aids heute noch relevant?

Ich finde, das Schauspiel ist der Stadt Köln dieses Stück schuldig. Köln ist und war eine queere Hochburg, und es leben hier so viele Menschen, die in den 80er und 90er teilweise Schreckliches erleben mussten und Großartiges geleistet haben. Daran zur erinnern, ist enorm wichtig und relevant, auch wenn man heute offener mit einer HIV-Infektion leben kann.

Vieles, von dem worüber wir uns heute rund um queere Rechte streiten, steht auf den Schultern dieser Generation auch wenn da immer noch viel zu tun ist. Da gibt es dieses Vermächtnis, vor dem ich immer noch ehrfürchtig bin: diese Meilensteine wie Act Up oder auch die Aids-Hilfen.

Die Menschen starben damals reihenweise, auch sehr viele im Kulturbereich.

Die Hauptfigur Prior Walter bekommt diese Läsionen vom Kaposi Sarkom, die ihm von Maskenbildnern geschminkt werden. Dort arbeiten auch Menschen, die jene Zeit intensiv miterlebten und wenn diese Kollegen heute diese Male ...

...die seinerzeit ein sehr sichtbares Zeichen der Erkrankung waren ...

...heute als Theaterschminke bei einem jungen Schauspieler anbringen. Da kann ich nur mutmaßen, woran man sich da wieder zurückerinnert. Das ist dann schon sehr bewegend.

Eine historische Figur, die im Stück an Aids stirbt, ist Roy Cohn, der Anwalt, der schon in der McCarthy-Zeit aktiv war.

Er hat immer wieder seine Homosexualität geleugnet, weil er sie als Label der Schwachen bezeichnet hat. Und das ist der Mann, der zu genau dieser Zeit Donald Trump großgezogen hat. Der ihn wiederum sofort hat fallenlassen, als Cohns Erkrankung bekannt wurde.

Und wenn man sich anschaut, was derzeit in den USA passiert, klingen manche Passagen prophetisch. Wie die Beschreibung der Republikaner: „Zur Hälfte religiöse Eiferer, die am liebsten jeden Atemzug jedes Bürgers überwachen würden, und zur Hälfte ego-anarchistische, libertäre Cowboys, die nach Abschaffung der Regierung schreien.“

Und es gibt eine Szene, die oft gestrichen wird, die ich aber sehr wichtig finde. Hier sagt ein Republikaner, dass sie wie Landminen überall sein werden. „Wir werden unseren Willen kriegen, egal, worum es geht: Abtreibung, Verteidigung, Mittelamerika, Familienwerte, ein gutes Investitionsklima.“ Inklusive eines Abos auf das Oval Office. Und jetzt ist das Realpolitik.

Das Problem ist nur, dass man nicht die erreicht, die die AfD wählen.

Nein, die kommen nicht. Aber das heißt nicht, dass wir aufhören zu arbeiten.

„Engel in Amerika“, das sind eigentlich zwei Stücke. Wie lang wird der Abend?

Beide Teile bleiben jeweils unter zwei Stunden, dazu kommt die Pause. Wenn ich es inhaltlich zusammenstreiche, könnte ich den Abend auf zwei Stunden runterkürzen. Aber man folgt den Charakteren - so wie bei einer Serie. Du siehst, wie sie sich entwickeln und mit den Entwicklungen klar zu kommen. Dadurch lernt man die Figuren kennen und geht mit ihnen mit.

Sie haben hier am Schauspiel Köln als Regieassistent angefangen, in der Grotte inszeniert und in der sogenannten Außenspielstätte am Offenbachplatz. Sie haben das „Britney X“-Festival mit ins Leben gerufen und das Old School-Ensemble gegründet ...

...und jetzt sitze ich hier im Büro des Intendanten und gebe Interviews! Ich mache es wie seinerzeit die Republikaner: Ich unterwandere (lacht). Nein, ernsthaft: Zum ersten Mal im Depot 1 inszenieren zu dürfen da schließt sich für mich schon ein Kreis. Und hier die Unterstützung zu bekommen und ein großes Stück inszenieren zu dürfen, macht schon sehr viel Spaß.