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Premiere im Schauspiel Köln„Vatermal“ bietet einen energiegeladenen Theaterabend

Lesezeit 4 Minuten
Vatermal
nach dem Roman von Necati Öziri
Regie: Bassam Ghazi
 
Regie: Bassam Ghazi
Bühne: Karolina Wyderka
Kostüm: Justine Loddenkemper
Choreografie: Bahar Gökten
Video: Viktoria Gurina
Lichtdesign: Jan Steinfatt
Dramaturgie: Dominika Široká
 
Foto: Sandra Then

In Vatermal wird mit Videoprojektionen (von Viktoria Gurina) gearbeitet.

Energiegeladen und mitreißend: Depot-Premiere der Bühnenfassung von Necati Öziris Roman „Vatermal“

Es gibt sie, diese Theaterabende, denen man als Publikum gebannt und entsprechend angespannt folgt, um am Ende aufzuspringen, um seiner Begeisterung den nötigen Ausdruck zu verleihen.

Und so ging es wohl allen im Publikum, die die Premiere von „Vatermal“ im Depot 2 des Schauspiels mit Standing Ovations und Jubel feierten – und dass sicher nicht nur, weil viele Freunde und Familienmitglieder die Reihen füllten.

Brief vom Sterbebett

Das Stück ist die Bühnenfassung von Necati Öziris gleichnamigem Roman. Er erzählt von Arda, einem jungen türkischen Mann, der im Sterben liegt, einen Brief an seinen Vater schreibt, der die Familie früh verlassen hat.

Dabei berichtet Arda nicht nur von seinem Leben mit der überforderten Mutter und einer rebellischen Schwester, sondern entdeckt, dass die Geschichte seiner ganzen Familie und die seines Umfeldes geprägt ist von problematischen Vaterfiguren, seien sie nun „nur“ physisch abwesend oder auch trotz Anwesenheit nicht präsent.

Permanten unerwünscht

Hinzu kommt das Leben in einem Land, in dem man fortwährend auf die eine oder andere Art gezeigt bekommt, dass man nicht dazugehört.

Regisseur Bassam Ghazi und Dramaturgin Dominika Široká haben das knapp 300 Seiten lange Buch zu einem mitreißenden, zwei Stunden langen Theaterabend kondensiert. Dessen Figuren scheinen den 16 mitwirkenden „Menschen aus der Stadtgesellschaft“, wie es im Programm heißt, fast wie auf den Leib geschrieben.

Laien mit Erfahrung

150 Laien (zum Teil mit Spielerfahrung) hatten sich auf einen Aufruf hin gemeldet. Und so konnten Ghazi und sein Team aus dem Vollen schöpfen– und machten bei allen Beteiligten den richtigen Griff, bis hin in die Nebenrollen.

Die Hauptfiguren Arda, seine Mutter und seine Schwester werden von jeweils verschiedenen Personen gespielt, um sie so in unterschiedlichen Altersstufen zeigen zu können. Dabei treten etwa im Fall von Arda der Junge, der Teenager und der Erwachsene miteinander in Dialog und erzeugen eine Bindung über die Jahre hinweg.

Es wird gesungen, getanzt (Choreographie: Bahar Gökten), gealbert – und alle agieren mit einer Spielfreude und einer Leidenschaft, als würden sie um ihr Leben spielen. Was wohl auch daran liegt, dass viele von ihnen „ihr Leben spielen“, an vielen Stellen durch ihre persönliche Biografie andocken können.

Sei es etwa der Stress mit deutschen Behörden, das Hin- und Hergerissensein zwischen zwei Kulturen, aber auch die Generationskonflikte, die sich überall mehr oder minder ähneln.

Mit Verve in die Handlung getaucht

All dies beschreibt Necati Öziri im Buch mit einer Mischung aus Leichtigkeit und Humor, die dabei keine Scheu vor tiefen Gefühlen hat. Eine Ausgangslage, die das Ensemble nun als Sprungbrett nutzt, um beherzt und mit Verve in die Handlung zu tauchen.

Und Bassam Ghazi geht einen Schritt weiter und lässt die Gruppe ihre eigenen Geschichten beisteuern. Während des Probenprozesses schrieb ein Teil der Gruppe Briefe an den eigenen Vater, die nun in Auszügen Einzug ins Stück fanden.

Bewegende eigene Geschichten

An einer Stelle werden diese chorisch skandiert. Drei andere Brief lesen die Verfasser in Videoeinspielern direkt in die Kamera. Timuçin beschreibt den Vater als „Alkoholiker, Spielsüchtiger, Frauenschläger“, vor dem die Mutter mit den Kindern irgendwann zur Polizei flüchtet. Auch Berfin berichtet von einem brutalen Familienoberhaupt, vor dem die Mutter sie alle ins Frauenhaus rettete.

Christopher erzählt, wie er mit 18 zum ersten Mal von seinem leiblichen Vater erfuhr, es zu einem einzigen Treffen kam – und beide sich beim anderen nie wieder gemeldet haben. Irgendwann bekam Köberlein die Nachricht von dessen Tod.

Energiegeladenes Spiel

Dass diese persönlichen Briefe sich nahtlos einfügen, spricht zum einen für die Allgemeingültigkeit von Ösiris Text, zum anderen aber auch für die Sicherheit, die Ghazi seinem Ensemble vermitteln konnte, so dass seine Mitglieder sich derart öffnen.

Ja, auf dem Weg vom Buch zur Bühnenfassung bleibt manches nur angedeutet, anderes bleibt ganz auf der Strecke. Und schon in der Vorlage ist die Entwicklung einiger Figuren nicht vollständig nachvollziehbar. Im Depot fällt das nicht weiter ins Gewicht. Über solche Unebenheiten wird einfach energiegeladen hinweggespielt.

Zwei Stunden (ohne Pause). Die nächsten Termine (9., 14. und 19.2., sowie 14. und 17.3.) sind ausverkauft, eventuell gibt es Restkarten an der Abendkasse.