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Netflix-Serie „Die Schlange“Exotische Hippie-Träume mit dem Leben bezahlt

Lesezeit 2 Minuten

Jenna Coleman und Tahar Rahim als mörderisches Paar in „Die Schlange“.

Das Böse ist anders als das Gute charismatisch, weil es komplex ist und nicht eindimensional. Es geht den Bösen immer auch um Eroberung, Dominanz und Macht. Das ist nun einmal – zumindest als Gegenstand der Kunst – attraktiver als die einschläfernde Perfektion des Guten.

Satan in John Miltons epischem Gedicht „Das verlorene Paradies“ (1667) ist offen gesagt interessanter als sein Gegenspieler – Gott. Dasselbe gilt für Shakespeares Richard III., Jago und Lady Macbeth sowie, näher an der Gegenwart, für Anthony Hopkins’ Verkörperung des mörderischen Psychiaters Hannibal Lecter. Für die Zeit einer Theateraufführung oder eines Films erliegt der Zuschauer der düsteren Faszination solcher Figuren.

Charles Sobhraj gehört nicht in die Kategorie fiktiver Monster, es gibt ihn wirklich. Der von Tahar Rahim in der Netflix-Serie „Die Schlange“ verkörperte, in Frankreich als Sohn eines Inders und einer Vietnamesin aufgewachsene Mann hat in den 1970er Jahren rund ein Dutzend junge Touristen in Südostasien umgebracht.

Tod auf dem „Hippie Trail“

Sie waren auf dem sogenannten „Hippie Trail“ unterwegs. Sobhraj (heute 77) und seine frankokanadische Freundin Marie-Andrée Leclerc (gespielt von Jenna Coleman) stahlen die Reisepässe ihrer Opfer und eigneten sich deren Identitäten an.

Tom Shanklands und Hans Herbots’ achtteilige Serie präsentiert den Serienmörder und seine Freundin als ein (anders als die realen Vorbilder) attraktives Paar mit coolen Sonnenbrillen und schicken Outfits. Rahims Sobhraj erscheint als narzisstischer Soziopath, dessen psychische Bruchstelle in rassistischen Demütigungen in Frankreich begründet liegt – behauptet er.

Sein Gegenspieler ist der von Billy Howle dargestellte niederländische, in Thailand arbeitende Diplomat Herman Knippenberg: ein fast schon fanatischer Moralist und Menschenfreund, der sein Privatleben dem Kreuzzug gegen den Mörder, Lügner und Betrüger Sobhraj unterordnet.

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„Die Schlange“ erhebt keinen nennenswerten Kunstanspruch, die Serie will mit ihrer rasant zwischen den Zeiten hin und her springenden Erzählweise, mit exotischen Schauplätzen, suggestiver Musik und einem perfekt aufeinander abgestimmten Ensemble das Publikum überwältigen.

Das geht nicht auf Kosten der Menschen, die durch Sobh¬rajs Hand haben sterben müssen. Shankland und Herbots widmen ihre Serie „all den jungen Unerschrockenen, die mit großen Träumen aufbrachen, aber nie mehr zurückkehrten“. Zu dieser Würdigung im Abspann läuft die Heimweh-Ballade der Rolling Stones „Moonlight Mile“.