Kölner Kioskbesitzer bei „Maischberger“„Festgenommene Dealer sind abends wieder da“
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„Angst auf der Straße: Muss der Staat härter durchgreifen?“, lautete das Thema beim TV-Talk von Sandra Maischberger.
Zu Gast waren Gerhart Baum, FDP (ehem. Bundesinnenminister), Philipp Amthor (CDU), Hayko Migirdicyan (Kioskbesitzer), Bodo Pfalzgraf (Polizeigewerkschafter), Thomas Feltes (Kriminologe) und Emitis Pohl (Unternehmerin).
Den Widerspruch zwischen sinkenden Fallzahlen in aktuellen Kriminalitätsstatistiken und einer subjektiv unter den Menschen des Landes gestiegenen Angst, konnten Gastgeberin Sandra Maischberger und die sechs Gäste am Mittwochabend in der ARD letztlich nur feststellen, jedoch nicht auflösen. Nicht die erste Gesprächsrunde zum Thema, seit die innere Sicherheit unter anderem nach den massiven Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht 2015 am Kölner Hauptbahnhof zuletzt auch den Bundestagswahlkampf in Deutschland prägte.
Für die Sendung rückte erneut Köln als Negativbeispiel für die Fragestellung der Moderatorin in den Fokus, veranschaulicht am Ebertplatz, der im vergangenen Herbst nach häufigen Streitigkeiten zwischen rivalisierenden Dealer-Banden schließlich sogar auch zum Schauplatz eines Tötungsdelikts geworden war. Als Gast war darum Hayko Migirdicyan eingeladen, langjähriger Betreiber eines Kiosk nahe der Bahnstation am Rand des Platzes. Er sollte von seinen Erfahrungen aus dem Alltag an diesem „gefährlichen Ort“, wie auch die Stadt Köln den Ebertplatz offiziell bezeichnete, berichten.
Zu Beginn der Sendung verteidigte allerdings der 25-jährige Bundestagsabgeordnete der CDU, Philipp Amthor, zunächst eifrig die kritisierte jüngste Argumentation des Parteikollegen und neuen Gesundheitsministers Jens Spahn aus einem Interview, wonach der Staat in den vergangenen Jahren nicht mehr ausreichend für Recht und Ordnung gesorgt habe. Er würde häufig von Bürgern angesprochen, so Amthor, die einen Zustand der Schwäche bei Polizei und Justiz bemängelten. Er forderte, „alles Notwendige zu tun, um Recht und Gesetz wieder schneller und besser umzusetzen“. Dabei dürfe es keine Ausnahmen geben.
Forderungen, die ein schwer greifbares aber unberechtigtes Angstgefühl vieler Menschen nur unnötig bestärken würden, entgegnete der ehemalige FDP-Innenminister Gerhart Baum (FDP). „Es gib keine rechtsfreien Orte in Deutschland“, sagte er. Vielmehr sei die Politik gefordert, Wege zu finden, die Verwahrlosung einzelner Bereiche in Städten aufzuhalten. Aussagen wie die Spahns oder Amthors böten dagegen keine echten Lösungsansätze, sie schürten Angstgefühle der Menschen.
Machtlosigkeit der Kölner Polizei
Das ist nach Ansicht des Berliner Hauptkommissars und Gewerkschafters Bodo Pfalzgraf nicht unbedingt nur Aufgabe der Polizei, die außerdem viel zu unterbesetzt und schlecht ausgestattet sei. Seine Kollegen und er würden sich bei entsprechender Vorbereitung aber zu Einsätzen überallhin trauen – etwa auch in den über Berlin hinaus bekannten Kriminalitätsschwerpunkt Görlitzer Park.
Zahlen und Fakten zu sinkenden Verbrechensfallzahlen, die der Kriminologie-Professor Thomas Feltes in die Runde eingebrachte, kritisierte der Polizist dagegen als unzureichend. Es würde nicht weniger Kriminalität geben, sie würde seltener erkannt und registriert, da etwa „Anwohner problematischer Bereiche Verbrechen oft gar nicht mehr melden, viele haben sich damit abgefunden“, so Pfalzgraf.
„Machtlosigkeit der Polizeibeamten“
Der Kölner Geschäftsmann Hayko Migirdicyan stimmte dem insofern zu, als dass er „täglich beobachte, wie afrikanische Drogendealer nachmittags oder abends wieder an der gleichen Stelle stehen, an der sie morgens festgenommen wurden.“ Der Vater von zwei Kindern begrüßt zwar die stärkere Präsenz der Polizei vor Ort, „die Machtlosigkeit der Beamten tut mir oft leid“, so Migirdicyan. Er sei aber sicher, dass viele der Leute, die sich über den Ebertplatz beklagten, zu den Kunden der Dealer gehörten. „Es gibt offensichtlich viele Käufer, den Handel wird mehr Polizei wohl nicht verhindern“, vermutet der 44-Jährige.
Damit befand er sich auf einer Linie mit dem Wissenschaftler Feltes, der für „deutlich mehr Prävention“ warb. Neben einer möglichen Legalisierung leichter Drogen wie Cannabis sehe er vor allem einen sinnvollen Ansatz in der Verstärkung der Sozialarbeit vor Ort.
Verständnis für ihre Betroffenheit sowie ihre „Angst und den Schock“ als Zeugin der Kölner Silvesternacht 2015 brachten der deutsch-iranischen Unternehmerin Emitis Pohl alle Gäste in der Runde entgegen. Ihrer pauschalen Forderung nach härteren Urteilen für Verbrecher und die schnelle Abschiebung straffällig gewordener Ausländer folgte jedoch nur CDU-Mann Amthor ausdrücklich, der Rest hielt sie zumindest nicht für „die ausreichende Antwort auf ein sehr breit gefächertes Problem“, wie Gerhard Baum es formulierte.
Migirdicyan wirkt resigniert
Diese Vielschichtigkeit konnte bis zum Ende der anderthalb Stunden Sendezeit nicht durchdrungen werden, trotz Sandra Maischbergers Bemühungen, mit interessanten Zahlen etwa zur stark steigenden Tendenz zur Selbstbewaffnung vieler Frauen, das Thema mit weiteren Facetten aufzufächern.
So blieb es unter dem Strich bei einer zwar unterhaltsamen Sendung, bei der sich die Diskutanten mitunter auch stritten und geschickt ihre Argumente einbrachten. Die geringste Redezeit des Abends fiel dabei allerdings auf den Kölner Kioskbesitzer Hayko Migirdicyan ab, der für den Ebertplatz keine Lösung vorbringen konnte. „Ich erlebe immer mehr Aggression gegenüber den Beamten. Letzte Woche ist ein Polizist durch eine Kopfnuss niedergestreckt worden – bei einer ganz normalen Kontrolle. Eine Verrohung in der Gesellschaft stelle ich bei mir tatsächlich fest“, so Migirdicyan. Insgesamt wirkte der 44-Jährige resigniert. „Ich wünschte, es wäre hier mehr so wie in Japan“, sagte er, dort sei alles viel sauberer, ordentlicher und sicherer.