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„Zeitreise“BAP feiert an zwei Tagen in der ausverkauften Lanxess-Arena

Lesezeit 4 Minuten
Wolfgang Niedecken steht mit seiner Band BAP in der Lanxess-Arena auf der Bühne.

Wolfgang Niedecken steht mit seiner Band BAP in der Lanxess-Arena auf der Bühne.

Die Tour von BAP präsentiert neben den kompletten Alben „für usszeschnigge“ und „vun drinne noh drusse“ 10 weitere Songs aus der Frühzeit der Kölschrocker.

1546 zeigte der Maler, Grafiker und Buchdrucker Lucas Cranach der Ältere auf einem Tafelbild, wie man die verlorene Jugend wiedergewinnt: durch die Kraft des Wassers. 2024 setzt der Maler, Musiker und Sänger Wolfgang Niedecken stattdessen auf die Kraft der Musik.

An zwei Tagen hintereinander, Donnerstag und Freitag, verjüngen er und seine Band 30.000 Menschen auf „Zeitreise“ in der doppelt ausverkauften Lanxess Arena. Die so überschriebene Tour von BAP präsentiert neben den kompletten Alben „für usszeschnigge“ (1981) und „vun drinne noh drusse“ (1982) 10 weitere Songs aus der Frühzeit der Kölschrocker, darunter „Ne schöne Jrooß“ oder „Nemm mich met“.

Beide Methoden haben Vor- und Nachteile. So kommen auf Cranachs Bild nur Frauen in den Genuss des Bades, das Jahrzehnte wegwäscht, während bei der musikalischen Intensivdusche von BAP niemand aufgrund seines Geschlechts von der Verjüngung ausgeschlossen wird. Aber: beim Cranach genügt es, einmal ein Wasserbecken zu queren, bei BAP braucht es drei Stunden und 15 Minuten, ehe die Wunderkur ihre volle Wirkung entfaltet. Was aber nicht wirklich ein Nachteil ist. Sondern, in jedem Moment, ein Genuss.

Über 30 Musiker haben bei BAP mitgespielt
Wolfgang Niedecken, Sänger von BAP

Und auch was die Rücklaufzeit des Lebens angeht, lohnt sich das unbedingt. „Ich habe gesehen, wie die Leute teilweise 40 Jahre jünger geworden sind“, sagt BAP-Chef Wolfgang Niedecken. Auch auf ihn, der selbst 73 Jahre zählen soll – und damit fast gleichaltrig mit Cranach, als der seinen Jungbrunnen malte – hat das Projekt einen Verjüngungseffekt. Wenn er davon erzählt, wie er in den Siebzigern in der Küche in der Teutoburger Straße saß, mit seiner Gitarre, und „Cowgirl in the Sand“ von Crosby, Stills, Nash and Young nachspielen wollte, hört man plötzlich einen Twen reden: „Das Album konnte ich mir nicht leisten, das war zu teuer. Ich wusste nur, dass das Stück mit einem Moll-Akkord beginnt, und ich versuchte, das nachzuspielen – und da ist dann mein ganzer Liebeskummer reingeflossen.“ Das Ergebnis hieß „Helfe kann dir keiner“ – und kam aufs zweite BAP-Album „affjetaut“ (1980).

Aber vielleicht ist es ja die 1976 gegründete Band als solche, die dem Altern Einhalt gebietet? „Über 30 Musiker haben bei BAP mitgespielt“, resümiert Niedecken am Ende, nach „Helfe kann dir keiner“ als allerletztem Stück, „wir haben uns immer wieder verändert. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir nie stehengeblieben sind und uns immer weiter entwickelt haben.“

Und seine persönliche Bilanz, die er schon früher am Abend zieht, fällt ganz ähnlich aus: „Damals war ich Junggeselle. Heute habe ich vier erwachsene Kinder und drei Enkel, und ich habe zu einigen Dingen inzwischen auch eine andere Meinung als damals. Aber Biermann hat gesagt: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.“ Dass Texte zwar gleich bleiben können, aber plötzlich eine aktuelle Botschaft transportieren, zeigt „Zehnter Juni“. Was ursprünglich ein Protestsong gegen den Nato-Doppelbeschluss war und in dieser Zeit verankert schien, wird wieder spielbar: „Dann kam Putin mit seiner Teilmobilisierung daher, da haben sich jede Menge Russen vom Acker gemacht, und da hab’ ich mir überlegt: ,Ich muss mich nur in denen ihre Rolle versetzen, dann kann ich das wieder singen.“ Und gemeinsam mit Niedecken erschallt es aus tausenden Kehlen, genauso vehement und genauso widerständig wie früher: „Plant mich bloß nit bei üch en…“.

BAP spielt über drei Stunden in der Lanxess-Arena

In Sachen Textsicherheit und Songkenntnisse ist das Publikum in der Kölner Arena kaum noch zu toppen. Es genügen Ansagen wie: „Männername mit vier Buchstaben“. Oder: „Frauennamen mit vier Buchstaben“. Und alle wissen: jetzt kommt „Jupp“. Oder: jetzt kommt „Anna“. Und auch da sitzt jede Zeile. Und „Wellenreiter“ kriegen die Fans ganz alleine hin. Ohne den Mann mit dem Hut, dem Kinnbart und der Weste. Nur mit Band. Die teilweise, wie Bassist Werner Kopal und Keyboarder Michael Nass, schon seit Ende der 1990er mit an Bord – und ganz großartig ist. Drei Stunden und 15 Minuten. Hört sich verdammt lang an. Ist es aber nicht. Die 30 Stücke werden in einem durchgespielt. Es gibt keine Pause, wie noch zum Beginn der Tour: „Die braucht doch kein Mensch, und ihr habt dafür auch die Kondition.“

Dank Niedeckens „Zeitreise“-Geschichten, die davon handeln, wo und warum welcher Song entstand (auch als Buch erhältlich) und der „Zeitreise“-Musik von BAP (schon Anfang Dezember 2023 in den Kölner Sartory-Sälen als Live-Album aufgenommen) macht es „Wirrrrr“ – und der Abend ist vorbei. Auf dem Heimweg hört man sie singen. Die, die immer noch berauscht und beseelt sind. „Wasch, wasch, wasch, wasch…“ singen sie. Und „Anna, Anna, drieh dich nit öm…“. Und „Verdamp lang her, verdamp lang, verdamp lang her“. Wobei Letzteres ja gar nicht stimmt. Es war doch erst gestern.

2025 setzen BAP ihre „Zeitreise“-Tour fort, erweitert mit Songs von „Zwesche Salzjebäck un Bier“ (1984). Termine: 7.6. Sparkassenpark Mönchengladbach, 16.8. Kunstrasen Bonn.