Ein Lied für die MutterReinhold Beckmann darf zum Volkstrauertag im Bundestag singen
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Berlin – Moderator, TV-Talker, Pionier des Fußball-Infotainments im Fernsehen, TV-Produzent, Musiker und einiges mehr: Die Vita von Reinhold Beckmann ist vielfältig. Auf eine neue Facette ist der 65-jährige besonders stolz: Am Sonntag ist Volkstrauertag – und Beckmann wird gemeinsam mit seiner Band, einem Oktett des Musikkorps der Bundeswehr und dem Landesjugendchor Thüringen im Deutschen Bundestag während der zentralen Gedenkstunde ein Lied präsentieren, das er seiner verstorbenen Mutter Aenne gewidmet hat.
„Vier Brüder“ heißt der bewegende Song, der die Besucher der Beckmann-Konzerte regelmäßig zu Tränen rührt. Ein Lied über den Tod der vier Brüder seiner Mutter, von denen keiner aus dem Zweiten Weltkrieg nach Hause kam. Das musikalisch verarbeitete Schicksal von Alfons, Hans, Franz und Willi wird nun am Sonntag in der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge veranstalteten Gedenkstunde aufgeführt.
Onkel sind in Gedanken dabei
„Ich war überrascht, als die Anfrage kam, und empfinde es als eine große Ehre“, sagt Beckmann im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die Geschichte meiner Mutter lebt dadurch weiter. Sie wäre sicherlich stolz, hätte sie das noch erleben dürfen.“ Wenn das Lied im Bundestag gespielt wird, wird im Hintergrund das Video zu „Vier Brüder“ zu sehen sein. „Das wird ein besonderer Moment, da muss ich schon aufpassen, dass ich emotional nicht aus der Kurve fliege. Doch ich bin mir sicher, dass meine Mutter und ihre vier Brüder in Gedanken bei mir sind.“
Die ARD und Phoenix übertragen die zentrale Gedenkstunde zum Volkstrauertag am Sonntag ab 13.30 Uhr live aus dem Bundestag. Sie erinnert an die Opfer des Zweiten Weltkriegs und blickt in diesem Jahr besonders auf den Angriffs- und Vernichtungskrieg in Ost- und Südosteuropa, der vor 80 Jahren mit dem Überfall auf die Sowjetunion und der Besetzung Jugoslawiens und Griechenlands begann. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält als Schirmherr die Rede zum Totengedenken, (EB)
Aenne Beckmann ist am 23. September 2019 im Alter von 98 Jahren verstorben. „Dass ich diesen Song schreiben möchte, habe ich mit ihr noch vor ihrem Tod besprochen“, erzählt Beckmann. „Der Verlust der Brüder war immer Thema bei uns in der Familie. So saßen sie gefühlt immer mit am Tisch, insbesondere an Weihnachten oder anderen Feiertagen.“
Besonders herzzerreißend ist die Geschichte von Willi, dem Jüngsten. „Er war erst 16 Jahre alt, ein Kind. Willi hatte sich unten im Kohlenkeller versteckt, als die Feldjäger kamen. Er kauerte im Keller, heulend vor Angst, wurde entdeckt und mitgenommen.“ Letztlich sei Willi als 17-Jähriger in einer Holzkiste von der Front zurückgekehrt. „Die sterblichen Überreste wurden nach Hause geholt. Er wurde auf dem heimischen Friedhof in Wellingholzhausen begraben.“ Dort, im Landkreis Osnabrück, lebte Beckmanns Mutter bis zum 26. Lebensjahr, ehe sie nach Twistringen umzog, „wo sie meinen Vater kennenlernte“.
Beckmanns Vater – eine weitere Episode, über die man viel schreiben könnte. „Wenn ich darüber nachdenke, bekomme ich Gänsehaut. Denn mein Vater war eigentlich ein Glückskind, als er in Russland nach einem Lungendurchschuss von der Front abgezogen wurde. Ein paar Millimeter weiter – und es hätte mich nicht gegeben.“
Bei Bedarf wehrhaft bleiben
Man müsse der Trauer auf allen Seiten Respekt zollen, findet Beckmann. Für alle Nachfolge-Generationen sei es wichtig, diese Themen stets im Bewusstsein zu erhalten. Und bei Bedarf auch wehrhaft zu bleiben. So wie er und seine Mutter, als der AfD-Politiker Alexander Gauland 2018 beim Kongress der Jungen Alternative „Hitler und Nazis“ als „Vogelschiss in der deutschen Geschichte“ bezeichnete.
Die Beckmanns erstatteten – wie viele andere – Strafanzeige wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Zwölf Monate später sei ein ablehnender Brief von der Staatsanwaltschaft gekommen. Die Gauland-Aussage sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. „Trotzdem, wir haben es versucht, für uns war es wichtig, diesen Schritt zu gehen. Denn in einem sind wir uns wohl alle einig: Nie wieder Krieg. Nie wieder Faschismus.“