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Interview

Kölner Schreib-Dozent Stefan Keller
„Es steckt auf jeden Fall in allem eine Geschichte“

Lesezeit 5 Minuten
Stefan Keller, Schriftsteller und Dozent, im Gespräch über sein Sachbuch ‚Vom Mythos zum Selfie. Wie wir uns die Welt erzählen‘.

Stefan Keller, Schriftsteller und Dozent, im Gespräch über sein Sachbuch ‚Vom Mythos zum Selfie. Wie wir uns die Welt erzählen‘.

Stefan Keller im Gespräch über „Vom Mythos zum Selfie“, der Geschichte des Erzählens von der Steinzeit bis heute.

An der Uni Köln lehrt Stefan Keller, wie man Drehbücher und Romane schreibt und hat selbst bisher zwei Regionalführer und acht Romane veröffentlicht. Im Rundumschlag „Vom Mythos zum Selfie“ erzählt der 57-Jährige die Geschichte des Geschichtenerzählens. Über Liebe, Krimis und Steinzeitjäger am Lagerfeuer sprach Susanne Schramm mit ihm.

Wollten Sie schon immer Bücher schreiben?

Ich fand Filme ganz toll. Filme wie die von Truffaut, Chabrol und Hitchcock. Solche Filme wollte ich auch machen. Deshalb habe ich mich direkt nach dem Abi an diversen Filmhochschulen beworben. Ich bin krachend durchgefallen – totales Fiasko. Danach wollte ich das anders angehen, ich habe mich für ein Germanistik- und Wirtschaftsstudium eingeschrieben, ich dachte, das mit dem Filmemachen könnte auch auf diesem Weg funktionieren…

Hat es aber nicht…

Nee. Ich habe schon während des Studiums in der Wirtschaftsredaktion der Deutschen Welle gearbeitet und später als Dramaturg an einem Freien Theater in Wuppertal. Und dann haben mich Bekannte, die hatten eine Start-Up-Firma, gefragt, ob ich nicht die Geschichte ihrer Firma schreiben könnte. Die haben mich so lange gelöchert, bis ich „,Ja“ gesagt habe. Das war dann mein erstes „Marketing-Storytelling“. Hauptberuflich schreibe ich seit 1994.

Gab es in der Schulzeit wirklich nichts, was in Richtung Autor ging? Gute Aufsätze? Oder ein Tagebuch?

Briefe. Ich habe Briefe geschrieben, viele Briefe, wahnsinnig gerne. Über alles Mögliche, was mir so passiert ist, was ich gesehen, und erlebt habe. Die Mutter von einer Freundin hat mal einen dieser Briefe gelesen, durfte sie ja eigentlich nicht, und hat hinterher gesagt: „Der macht mal was mit Schreiben!“ Aber in Geschichten habe ich mich schon ganz früh verliebt…

Wie früh ist früh?

So mit drei, vier Jahren. Meine Mutter war berufstätig und wenn sie niemand gefunden hat, der auf mich aufpassen konnte, hat sie mich auf den Teppich in unserem Wohnzimmer gesetzt und ein Hörspiel aufgelegt. Weil sie wusste, ich würde mich nie und nimmer da wegbewegen, ehe die Geschichte zu Ende ist.

Was waren das für Hörspiele?

Hui Buh, das Schlossgespenst, die Hexe Schrumpeldei, Urmel aus dem Eis, der kleine König Kallewirsch und, als ich etwas älter war, auch die Abenteuer des Odysseus. Die Platten habe ich heute noch. Nur das Schlossgespenst ist nicht mehr da, das hat sich auf geisterhafte Weise verabschiedet ... Als ich später die ersten Bücher geschenkt bekam, war ich schwer enttäuscht: Keine Bilder drin, nur lauter Buchstaben. Nix zu hören, nix zum Kucken. Aber irgendwann hab' ich's mit dem Lesen dann doch gepackt.

Ihr erster Roman „Kölner Kreuzigung“ erschien 2010: ein Krimi und der Auftakt der Serie um den Kölner Privatdetektiv Marius Sandmann. Sind Sie ein Krimifan?

Das kann ich so nicht sagen. Ich mag es, Krimis zu schreiben. Weil das ein Genre ist, in dem man als Autor sehr frei ist. Man kann erzählerisch überall reinkucken, in ganz unterschiedliche Milieus, Gesellschaftsschichten und Lebensstile, das finde ich auch für mich sehr unterhaltsam und spannend.

„Vom Mythos zum Selfie“ erzählt die Geschichte des Geschichtenerzählens – wie kommt man auf so eine Idee?

Ich habe viel über das Erzählen von Geschichten nachgedacht. Darüber, wie das eigentlich anfing: Unsere Vorfahren aus der Steinzeit sitzen am Lagerfeuer und erzählen sich Jagdgeschichten… aber stimmt das wirklich? Und wie ist das weitergegangen? „Das musst du mal in einem Buch nachlesen“, dachte ich mir. Aber so sehr ich auch danach gesucht habe – dieses Buch gab es nicht. Und weil ich das unbedingt wissen wollte, habe ich selbst begonnen, nachzuforschen…

Ihr Buch beginnt vor 37 000 Jahren in Australien und endet bei Social Media und KI. Hat Ihnen diese Riesenzeitspanne Angst gemacht?

Nein. Es gab ja zentrale Leitlinien wie technologische und wissenschaftliche, auch zeitgeschichtliche Veränderungen und Personen, die daran maßgeblich beteiligt waren. Aber ich habe daran vier Jahre lang kontinuierlich gearbeitet.

Kam dabei die Sehnsucht auf, in einer anderen Zeit zu leben?

Nein. Ich möchte nur hier und jetzt leben. In der Steinzeit hätte mich womöglich ein Mammut überrannt. Oder in der Zeit von Shakespeare hätte ich einen Dolch zwischen die Rippen bekommen.

Letzte Frage: Steckt in jeder Geschichte eine gute Geschichte?

Es steckt auf jeden Fall in allem eine Geschichte. Geschichten kopieren, wie wir leben, wie wir mit dem, was passiert, umgehen. Wir geraten in eine Situation, versuchen irgendwie damit klarzukommen und hoffen, dass am Ende das dabei herauskommt, was wir uns gewünscht haben. Interessant kann es dann werden, wenn etwas Unerwartetes passiert. Aber ob die Geschichte auch gut ist, ist eine andere Frage.


Der Autor Stefan Keller wird am 16. November 1967 in Aachen geboren. Ab 1990 lebt er in Köln, wohnt in Sülz, arbeitet in Ehrenfeld. 2013 wechselt er nach Düsseldorf: „Hätte die Liebe nicht anders entschieden, würde ich wahrscheinlich heute noch in Köln leben“, sagt der Autor Trotzdem bleibt er seiner alten Heimat verbunden: als Dozent für Kreatives Schreiben und Drehbuchschreiben an der Uni Köln und als FC-Fan. Mit Mitgliedsausweis, Dauerkarte und einem Sitzplatz mit Namensplakette.

Stefan Keller: Vom Mythos zum Selfie. Wie wir uns die Welt erzählen. S. Marix Verlag, 303 S., 24 Euro.