Köln – Hat das Erzbistum Köln seinen Betroffenenbeirat instrumentalisiert und nach einer Art Drehbuch gehandelt, um das Gremium auf Kurs zu bringen? Die Rundschau hat das Protokoll der entscheidenden Sitzung ausgewertet – und Peter Bringmann-Henselder, einen früheren Sprecher des Gremiums, befragt.
Herr Bringmann-Henselder, Kardinal Woelki soll Sie und andere Betroffenenvertreter instrumentalisiert haben, als er mit Ihnen über das Gutachten der Kanzlei WSW sprach und schließlich Ihre Zustimmung erhielt, es nicht zu veröffentlichen. Er habe nach dem Drehbuch einer PR-Agentur gehandelt. Haben auch Sie rückwirkend den Eindruck einer derartigen Inszenierung?
Es mag sein, dass die PR-Agentur Empfehlungen gegeben hat, aber die Sitzung ist völlig anders verlaufen als von den ehemaligen Sprechern Patrick Bauer und Karl Hauke dargestellt wird. Dem Beirat wurde vom Kardinal und seinem Generalvikar die Problematik des WSW-Gutachtens dargelegt und dann wurde der Beirat gefragt, ob er damit einverstanden sei, wenn Juristen dazu kämen und die Einzelheiten darlegen. Dies wurde von allen teilnehmenden Mitgliedern des Beirats befürwortet.
Nach den ausführlichen und stichhaltigen Ausführungen wurde der Beirat gefragt, ob er für seine Entscheidung für oder gegen eine Veröffentlichung des WSW-Gutachtens Bedenkzeit brauche. Alle Vertreter des Bistums waren bereit, den Saal zu verlassen. Die Beiratsmitglieder verneinten eine Bedenkzeit, weil sich alle sicher waren, dass es besser sei ein neues Gutachten anfertigen zu lassen, als mit dem WSW-Gutachten gegen die Wand zu fahren. Das alles geschah weder unter Druck noch irgendeiner Beeinflussung. Inszeniert war hier nichts.
Bringmann-Henselder: Der Beirat wurde sehr ernst genommen
Ihr ehemaliger Beiratskollege Patrick Bauer empfand die Sitzung, so seine heutige Sicht, als „durchgestylt“, er fühlt sich wie ein „dressierter Schimpanse“ vorgeführt. Können Sie das nachvollziehen?
„Wer nicht dabei war, kann sicherlich den Eindruck bekommen, da ist mit uns gespielt worden. Auf die eine Art ist das auch die Wahrheit. Auf der anderen Seite sind wir aber auch sehr ernst genommen worden.“ Dieses Zitat ist aus einer Rundmail von Patrick Bauer an die Beiratsmitglieder. Darin drückt er eigentlich das aus, was sich tatsächlich abgespielt hat. Mag sein, dass er an der einen oder anderen Stelle den Eindruck hatte, es sei mit ihm gespielt worden, aber dass der Beirat sehr ernst genommen wurde, diesen Eindruck hatte er auch ,und der herrschte bei allen Teilnehmenden vor. Niemand hat die Sache auf die leichte Schulter genommen.
Wie viele Betroffenenvertreter waren denn bei dem Gespräch?
Von neun Mitgliedern des Betroffenenbeirats waren sieben bei der Sitzung anwesend.
Woelki kannte das Gutachten nach eigenem Bekunden nicht, Sie erst recht nicht. Auf welcher Basis konnten Sie sich dann entscheiden?
Drei Juristen haben uns schlüssig erklärt, worin die Gefahr bei einer Veröffentlichung des WSW-Gutachtens liegt. Und diese Argumente hatten wir bereits im Frühjahr 2020 von einem anderen Juristen gehört, der im Auftrag des Erzbistums das WSW-Gutachten auf seine Rechtmäßigkeit überprüft hatte. Außerdem wurde eine Expertise der Professoren Matthias Jahn und Franz Streng vorgelegt, die ebenfalls zu dem Ergebnis kamen, dass es besser sei, das WSW-Gutachten nicht zu veröffentlichen. Wir haben also von mehreren unabhängigen Juristen gleichlautende Aussagen bekommen.
WSW-Gutachten von 2010
In dieser Situation wollten wir unbedingt das Desaster vermeiden, das es in München im Jahre 2010 gegeben hatte, als ein Gutachten, ebenfalls von WSW, für die Diözese München und Freising erarbeitet wurde. Das Gutachten wurde durch Kardinal Marx in der Pressekonferenz nur gezeigt, nicht verteilt. Danach wurde es gleich wieder im Panzerschrank weggeschlossen, weil es hinsichtlich der Veröffentlichung äußerungsrechtliche Bedenken gab. In München hat man im Januar 2022 ein neues Gutachten vorgestellt und veröffentlicht, aber Einblick in das Gutachten von 2010 gibt es nach wie vor nicht, obwohl man sich bei der Präsentation und an anderen Stellen immer wieder auf dieses alte Gutachten bezieht. Warum bekommt man es nicht zu Gesicht? Wir wollten von vorneherein eine saubere, tragfähige Lösung.
Kann man denn sagen, Woelki hat entlang des jetzt im Auszug bekannten Papiers der PR-Agentur argumentiert?
Nein, das kann man nicht sagen, weil es nicht stimmt. Von Seiten des Kardinals wurde vorgetragen, was wir in groben Zügen bereits wussten, dass nämlich die Kanzlei WSW seit dem geplatzten Veröffentlichungstermin im März 2020 es trotz mehrmaliger Aufforderung nicht geschafft hat, das Gutachten veröffentlichungsfähig und vor allem rechtssicher zu machen. Die viel beschworene Auffassung, es darauf ankommen zu lassen, wäre einer Zurückhaltung insofern gleichgekommen, weil von denjenigen Personen, die genannt werden sollten, bereits Anwälte engagiert worden waren, die im Handumdrehen das Gutachten noch vor der Veröffentlichung aus dem Verkehr gezogen hätten. Wem hätte das genützt? Den Betroffenen ganz sicher nicht.
Sitzungsausgang war „völlig offen“
Hat Woelki den berühmten „Joker“ gezogen, also eine schnellere Bearbeitung von Anträgen oder die Umwidmung gesparter WSW-Honorare für Anerkennungsleistungen versprochen – oder etwas ähnliches?
Nein, hat er nicht. Woelki hat zusammen mit dem Generalvikar die schwierige Lage erläutert, die durch die unterlassene Umarbeitung des Gutachtens durch WSW entstanden war und die es nun, wie auch immer, zu bewältigen galt. Der Ausgang der Sitzung war völlig offen.
Wenn Sie erklärt hätten, wir sind trotz allem für die Veröffentlichung des Gutachtens, was wäre dann passiert?
Mit ziemlicher Sicherheit kann man davon ausgehen, dass man dann versucht hätte, das WSW-Gutachten zu veröffentlichen, wobei es wahrscheinlich durch einstweilige Verfügungen oder andere juristische Winkelzüge ohnehin nicht dazu gekommen wäre, denn es gab erhebliche Bedenken wegen der Persönlichkeitsrechte der im Gutachten benannten Personen. Die Folgen daraus, die endlosen juristischen Nachspiele, stellt man sich besser erst gar nicht vor.
Im Rundschau-Interview hat Woelki erklärt, Sie, die Betroffenenvertreter, hätten von sich aus angeboten, ihre Zustimmung auch zu publizieren. Stellte er das richtig dar?
Aus unseren Reihen kam unter anderem die Frage danach, wie die Sitzungsentscheidung veröffentlicht werden soll. Das Ergebnis war die Übereinkunft, dass am Tag nach der Sitzung eine gemeinsame Pressemitteilung veröffentlicht werden soll, die vormittags an den Sprecher des Beirats, Herrn Bauer, zur Kenntnis und Prüfung geschickt wird. Nach seiner Aussage uns gegenüber hat er diese dann am nächsten Tag gegen 9 Uhr erhalten, geprüft und gesehen, dass all das, was am Vorabend in der Sitzung besprochen worden war, in der Pressemitteilung enthalten war. Um 13:04 Uhr schickte Herr Bauer an die anderen Beiratsmitglieder folgende Mail: „Liebe Mitstreiter*innen, anbei die PEK, wie sie gleich 13:15 herausgegeben wird. LG Patrick Bauer Gemeindereferent JVA-Seelsorger“.
Er hatte vier Stunden Zeit gehabt zwischen dem Erhalt des Entwurfs und der vorgesehenen Veröffentlichung. Er hatte die Möglichkeit, sich mit anderen Beiratsmitgliedern kurzzuschließen, sich nochmals abzustimmen oder einfach dem Erzbistum zu sagen: Stopp, wir müssen das alles nochmals überdenken. All das hat er nach meiner Kenntnis nicht gemacht, dann aber nachmittags einen Sinneswandel um 180 Grad vollzogen und abends im WDR die gegenteilige Meinung geäußert, und das ohne Mandat des Beirats.
Es waren ja nicht alle Beiratsmitglieder bei dem Gespräch. Wäre es nicht gut gewesen, sich zunächst mit allen abzustimmen?
Wie in der Geschäftsordnung nachzulesen ist, war mit sieben eine ausreichende Zahl von Mitgliedern des Beirats bei der Sitzung anwesend, und somit war der Beirat beschlussfähig. Das Votum von sieben Ja-Stimmen, keiner Nein-Stimme und keiner Enthaltung war vollkommen ausreichend. Es war allgemeiner Tenor, dass in der schwierigen Situation schnell gehandelt werden musste. Das hat der Beirat unterstützt.
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Sind Sie heute, zwei Jahre danach, noch oder wieder in Kontakt?
Nein, da es nichts bringt. Patrick Bauer und Karl Haucke, die ehemaligen Sprecher, sind so festgefahren in ihren Ansichten und verbreiten nach wie vor die Mär, der Betroffenenbeirat sei bei der Sitzung am 29.10.2020 instrumentalisiert und missbraucht worden, dass viele, die diesen Unsinn den Medien entnehmen, das auch glauben. Wir haben die ganze Zeit an der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs mitgearbeitet, haben uns eingebracht und einiges erreicht. Warum sollten wir uns mit Leuten wie Herrn Haucke unterhalten, der immer wieder betont, von einer Sitzung instrumentalisiert worden zu sein, an der er noch nicht einmal teilgenommen hat, deren Ablauf er also nur vom Hörensagen kennt.
„Aber niemand hat den jetzigen Beirat selbst dazu befragt“
Was bedeutet es eigentlich für Sie persönlich, dass diese Auseinandersetzungen jetzt wieder so im Fokus stehen?
Es schmerzt und tut weh, wenn diese Beiden immer wieder von der Instrumentalisierung des Betroffenenbeirates reden. Aber niemand hat den jetzigen Beirat selbst dazu befragt, sondern es wurden und werden nur die Ehemaligen Bauer und Haucke befragt. Wenn dann mehrere Stadtdechanten, Frau Mesrian von Maria 2.0, die Beauftragte des Bundes, Frau Claus, und jetzt auch noch einige Laienvertreter immer wieder die Instrumentalisierung des Beirats hervorheben und von der Sitzung ein Szenario schildern, das in keiner Weise dem tatsächlichen Ablauf entspricht, dann fragt man sich, was das soll. Wenn also jemand die Betroffenen manipuliert und instrumentalisiert, dann sind es diejenigen, die solche Äußerungen machen. Die Sitzung und das Erzbistum waren es jedenfalls nicht.