„Wir geben unser Bestes“Wie sich Kölns junge Generation für Geflüchtete engagiert
Lesezeit 6 Minuten
Köln – Eine Generation, die ohne Kalten Krieg, ohne Machtmanipulation im eigenen Land und ohne humanitäre Katastrophen groß geworden ist – wie erleben junge Erwachsene die aktuelle Lage in der Ukraine? Kriege sind zwar jedem ein Begriff, aber eine solch nahe und direkte Bedrohung ist in der Generation der 20- bis 30-Jährigen bisher noch nie vorgekommen.
„Das Engagement und die Bereitschaft der Menschen sind unglaublich“, berichtet Daniel Rosen, ein Student, der sich seit Kriegsbeginn beim Blau-Gelben Kreuz engagiert. Zu Anfang sortierte er Kisten, jetzt ist er für die Beantwortung und Koordination von Fragen verantwortlich. Er selbst spricht russisch und hat Verwandtschaft in Kiew. Rosen erklärt: „Da ich bisher keinen Krieg direkt miterlebt habe, ist die Bedrohungslage für mich schwer vorstellbar. Die Situation ist schwierig und wird uns noch akut betreffen. Verhandlungen mit Putin sind nicht leicht.“ Die Verwandten des Studenten sind in Kiew geblieben und haben sich dort zur Landesverteidigung gemeldet. Auch Rosen ist es wichtig, in einer solch schweren, humanitären Katastrophe zu helfen und zu unterstützen.
Sprachkurse an der Rheinischen Fachhochschule
„Einander verstehen“ ist der Titel eines groß angelegten kostenlosen Sprachprogramms für ukrainische Flüchtlinge.
5000 Flüchtlinge aus der Ukraine sind derzeit ungefähr in Köln untergebracht. Täglich kommen weitere Flüchtlinge an – viele ohne deutsche Sprachkenntnisse, die für die Verständigung im Alltag und die Integration in Schule und Arbeitsmarkt frühzeitig von entscheidender Bedeutung sind. Dafür hat das Rheinische Institut der Deutschen Sprache (Rideus) der Rheinischen Fachhochschule (RFH) mit dem Europäischen Institut für Deutsche Sprache auf die Beine stellte. Gefördert werden die Deutschkurse durch die gemeinnützige Hermann-Niermann-Stiftung. Sie sollen den Flüchtlingen ermöglichen, sich in wichtigen Alltagssituationen verständigen zu können.
Ab 25. April werden montags bis freitags je drei Sprachkurse am Tag mit je bis zu 15 Teilnehmenden auf die Beine gestellt. Samstags finden zusätzlich Intensivkurse statt. Sie richten sich an in lateinischer Schrift alphabetisierte Flüchtlinge aus der Ukraine, Studierende oder Azubis und Fachkräfte mit akademischer Ausbildung. Es gibt auch Kurse für ukrainische Waisenkinder in der RFH.
50 Studierende der RFH engagieren sich für das Projekt. Teilnehmende des Studiengangs Media und Marketing erarbeiten Sprachevents für Kinder und Jugendliche, um sie besser in Schulen zu integrieren.
Alle Kurse werden von qualifizierten Lehrenden durchgeführt. Präsenztermine sind teils ausgebucht, einige Online-Plätze noch frei. Weitere Infos auf der Homepage. (MW)
Simon Giebenhain, ebenfalls Kölner Student, erzählt: „Meine Familie hat sich dazu entschieden, eine Ukrainerin aufzunehmen. In einer solch schlimmen Situation darf man die Augen nicht verschließen. Jeder, auch wir, könnten eines Tages fluchtartig unser Land verlassen müssen. Wir wären dann auch dankbar für jede Unterstützung, die wir bekommen würden.“
Der Student wird nun wieder zurück zu seiner Familie nach Rheinland-Pfalz fahren, um ihrem Gast ein bestmögliches Zuhause bieten zu können. Seine Eltern sind vor knapp einer Woche nachts um vier Uhr zum Bahnhof gefahren, um Nataliia abzuholen und in ihr vorübergehend, neues Zuhause zu begleiten. Giebenhain erzählt, sie seien immer noch sehr froh, diese Entscheidung getroffen zu haben. Sie könnten viel voneinander lernen und verstehen sich super. Nataliia sei bereits ein fester Bestandteil des Familienalltags und hat für ihre Gastgeber sogar schon das ukrainische Nationalgericht „Borschtsch“ gekocht.
Betroffenen Menschen hautnah begegnen
„Es ist unfassbar, was für Einblicke man nun in das ganze Geschehen bekommt. Wir verfolgen die tragischen Kriegsszenen über das Fernsehen. Aber es ist nochmal was ganz anderes, mit Menschen zu reden die dort waren“, so Giebenhain. Die Ukrainerin hat zwei Söhne, die in ihrem Heimatland geblieben sind. Sie möchten für ihr Land kämpfen und sich nicht vertreiben lassen. Simon Giebenhain sagt: „Nataliia ist eine starke Frau, die versucht mit der Situation umzugehen. Ich weiß nicht, ob ich auch nur annähernd so gefasst wäre. Von ihr kann man sich definitiv eine Scheibe abschneiden.“ Weitere tiefe Einblick gewährt die Schülerin Clara Blancke. Sie besucht derzeit die zwölfte Klasse eines Kölner Gymnasiums und hilft den Geflüchteten in jeder freien Minute. „Ich fühlte mich zu Beginn des Krieges sehr hilflos.“ Als Blancke von dem Hilfeaufruf des Blau-Gelben Kreuzes erfuhr, war ihr klar: Ich muss helfen. Sie begann täglich in einem Sachspendenlager auszuhelfen und unterstützt inzwischen die Ersthilfestelle am Breslauer Platz. Die Schülerin erzählt: „Die ganze Situation bedrückt mich immer noch sehr, aber zu wissen, dass man die Betroffenen unterstützen kann, ist ein gutes Gefühl. Ich freue mich immer wieder aufs Neue, wenn wir den Kindern ein Lächeln ins Gesicht zaubern können. Wir Helfer geben unser Bestes, um den Menschen in ihrer schlimmen Lage zu helfen.“ Die Schülerin lernt in der Schule Russisch und ist somit als Dolmetscherin eine große Hilfe für das Blau-Gelbe Kreuz.
„Von jung bis alt begrüßen wir jede helfende Hand“
Eine Vertreterin der Hilfsorganisation betont außerdem: „Ohne unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter wären wir vollkommen aufgeschmissen. Von jung bis alt begrüßen wir jede helfende Hand. Es gibt viele verschiedene Bereiche, in denen Unterstützung benötigt wird. Jeder kann helfen.“ Ergänzend berichtet Clara Blancke, dass die Geflüchteten häufig zu Tränen gerührt seien und die Hilfe dankbar annähmen. Sie selbst habe nun nicht mehr ganz so viel Angst vor einem Krieg in Deutschland wie zu Beginn der Katastrophe: „Ich versuche nicht mehr darüber nachzudenken, weil es nichts bringt. Ich habe keinen Einfluss auf die Kriegsgeschehen, aber ich habe Einfluss, indem ich helfe.“
Studierende werden sich auch bei Demos solidarisch zeigen
Auch der Studierendenausschuss (AStA) an der Universität Köln verdeutlicht, wie sehr die aktuelle Situation die Studierenden mitnimmt. Sie seien wütend und besorgt über die Entwicklungen in der Ukraine. Alena Flintzak, Politikreferentin der AStA, erklärt: „Unsere Solidarität gilt der ukrainischen Bevölkerung“. Allen Leidtragenden dieser Katastrophe, auch den russischen Bürgern, die mit ihren Protesten eine Festnahme riskieren, gelte es solidarisch gegenüberzutreten. Flintzak kündigt an, dass sich die Studierendenschaft bei zukünftigen Demonstrationen geschlossen für die Ukraine zeigen wird. Die ehemalige Stipendiatin der Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa e.V., Vitana Oliinyk, verdeutlicht, dass die ukrainischen Studierenden einen wichtigen Beitrag leisten: Sie kämpfen unter enormem Leid für die Freiheit und Demokratie ihres Landes.
Das vielseitige Engagement zeigt, wie wichtig Zusammenhalt und Unterstützung ist. Die jüngere Generation verschließt nicht die Augen. Ihr ist bewusst, wie viel Leid, Angst und Gefahren der Krieg mit sich bringt. Die 20- bis 30-Jährigen positionieren sich klar gegen Krieg. Obwohl die junge Generation nicht genau weiß, was es heißt einen solchen mitzuerleben, weiß sie eines gewiss: Was es heißt zu helfen.