Kölner BrennpunktWie Osteuropäer in Köln-Chorweiler die Lage erleben
Köln – Irina Belozerkowez kann die immer gleichen Fragen und Anspielungen nicht mehr hören. Wann sie ihr Geschäft denn schließen müsse, werde sie in diesen Tagen oft gefragt. Mit ihrem Mann Alexander betreibt sie in Chorweiler das Lebensmittelgeschäft „Universal“ und bietet russische und osteuropäische Spezialitäten an. „Wir wollen alle keinen Krieg. Normale Menschen wollen nicht, dass jemand getötet wird“, sagt Belozerkowez. Für die Sanktionen gegen Russland hat ihr Mann kein Verständnis. „Bei mir liegt die ukrainische Schokolade neben der russischen“, erzählt sie.
Im Kölner Norden leben besonders viele Menschen aus Osteuropa
Der Krieg im Osten Europas beschäftigt die Menschen im Kölner Norden auf besondere Weise. Im Stadtbezirk Chorweiler leben etwa 12.000 Menschen mit Wurzeln in Osteuropa, viele stammen aus Russland. „Die Leute haben Angst, wie es weitergeht mit den Sanktionen. Auch hier in Deutschland. Ich kenne viele, die schon nach 2014 ihr Geschäft verloren haben, weil die Zulieferung nicht mehr funktionierte“, berichtet sie. Damals hatten die russischen Truppen die Krim besetzt. Während sie spricht, betritt ein Kunde den Laden und ruft ihrem Mann zu: „Du bleibst immer mein russischer Freund!“ Belozerkowez ruft ihm nach: „Danke, Harald!“
In friedlicher Mission ist Roman Friedrich schon seit Jahren in Chorweiler unterwegs. Er ist Russlanddeutscher und Streetworker. Für Schülerinnen und Schüler, die im Zusammenhang mit dem Krieg wegen ihrer russischen Wurzeln gemobbt werden, hat er jetzt eine Onlineplattform und eine Hotline freigeschaltet. Sein Engagement ist unabhängig von Nationalitäten (siehe Interview auf der nächsten Seite dieses Artikels). Nebenbei koordiniert er verschiedene Hilfsaktionen für die Ukraine. Unentwegt klingelt sein Telefon. Gerade geht es um die Organisation einer Spendensammlung der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Nach dem Auflegen sagt er: „Viel zu tun hilft mir, weniger über den Krieg nachzudenken.“
Während er auf dem Pariser Platz steht und erzählt, kommt Vera Naglia vorbei. Nach einem kurzen Austausch der beiden auf Russisch berichtet die 45-jährige Ukrainerin auf Deutsch, dass sie und ihre fünfköpfige Familie in ihrer Vier-Zimmer-Wohnung aktuell noch sieben Gäste beherbergen: „Vier Frauen, drei Kinder“, zählt sie auf: „Drei Monate, vier Jahre, fünf Jahre. Die Frau mit dem kleinen Kind weint, sobald sie spricht“, berichtet sie. Veras Mann bemühe sich, über das Ausländeramt eine Bleibe für die Neuankömmlinge zu finden. Vorerst kampieren sie in der Wohnung auf dem Boden.
Olga Funk will noch in dieser Woche einen Kriegsflüchtling aufzunehmen. Der Junge sei elf Jahre alt und ohne seine Eltern geflohen, berichtet sie, während sie in der Maria-Ablaß-Kapelle Kisten mit Hilfsgütern sortiert. Im kleinen Gotteshaus hinter dem Börsenplatz ist die russisch-orthodoxe Gemeinde der Heiligen Konstantin und Helena ansässig. Zu ihr gehört Olga Funk, die diesen Krieg nicht versteht. Ihre Mutter sei Ukrainerin, sie selbst sei in Kasachstan zur Welt gekommen und habe lange in Russland gelebt. „Alle sind Brüder“, stellt sie fest.
Unterbringung in der Messe
Die Stadt arbeitet daran, in einer der Messehallen Unterkünfte für geflüchtete Menschen aus der Ukraine bereitzustellen. Den Plan hatte das Ratsbündnis aus Grünen, CDU und Volt am Dienstag angekündigt. Ein Stadtsprecher bestätigte der Rundschau die konkreten Überlegungen: „Der Krisenstab hat beschlossen, so schnell wie möglich Unterbringungsmöglichkeiten in der Messe zu errichten.“ Die Gespräche, ab wann das geschieht und wie viele Menschen dort untergebracht werden sollen, laufen bereits. Die Stadt will vermeiden, wie vor sieben Jahren wieder auf Turnhallen zurückgreifen zu müssen. Gut ein Drittel der städtischen Reserve ist bereits belegt, wie viele Plätze noch gebraucht werden, sei im Moment schwer abschätzbar.
Die Linke kritisiert den Plan als „ganz schlechte Lösung“, so Jörg Detjen. Zunächst sollten die städtischen und die Landesunterkünfte ausgelastet werden, die noch nicht belegt sind. Er forderte auch, für Geflüchtete Hotelzimmer anzumieten. (two/fu)
Seit dem Kriegsausbruch sammelt die Gemeinde Medikamente und Lebensmittel, bringt sie ins Grenzgebiet und nimmt auf dem Rückweg Geflüchtete mit. Hinfahrt mit 2,5 Tonnen Hilfsgütern, Rückfahrt mit 43 Flüchtlingen – dies seien die Zahlen der ersten Fahrt gewesen. Eine zweite Tour ist in diesen Tagen unterwegs. „Besonders wichtig ist uns: Wir warten auf die Genehmigung der ukrainischen Behörden, um 90 Heimkinder mitzunehmen“, berichtet Viktor Yakym, Priester der Gemeinde. Die deutschen Behörden hätten der Aufnahme der Kinder, die schon im Grenzgebiet seien, bereits zugestimmt, eine Gemeinde in Kleve wolle sie alle aufnehmen. Die Fahrtkosten von 1700 Euro pro Bus finanziert die Gemeinde. Die Fahrer arbeiten ehrenamtlich.
Die erste Tour hat der Priester selbst begleitet. Noch immer sei er betroffen davon, wie viele junge Mütter auf der Straße gesessen und ihre Säuglinge gestillt hätten, berichtet er. Auch seine eigene Tochter habe in Kiew gelebt und sei auf der Flucht. Für persönliche, individuelle Gespräche mit den Gemeindemitgliedern, die aus Russland, Belarus, der Ukraine, Bulgarien, Äthiopien, Georgien und Serbien kämen, nehme er sich in diesen Tagen besonders viel Zeit, um möglichem Hass von Anfang an entgegenzuwirken.
Sorge vor Spaltung in Gemeinde und Familien
Sein Übersetzer, Nikolai Dewald, kann das bestätigen. „In jeder Liturgie erzählt er, dass Politik in der Kirche nichts zu suchen hat, hier gelten andere Prioritäten“, berichtet der Dolmetscher und gewährt anschließend Einblick in seine eigenen Gedanken: „Diese Spaltung, damit kann ich ganz schlecht leben. Ich finde es Blödsinn, dass wir als Glaubensbrüder jetzt auf verschiedenen Seiten der Barrikade stehen. Meine Mutter hat jetzt einen Konflikt mit ihrer Schwester, die in Moskau lebt. Das ist das Ziel derer, die den Krieg führen“, urteilt er.
Aus der markanten Stimme von Ekaterina Krastev, die unter anderem am Gericht als Russisch-Dolmetscherin arbeitet, scheinen Lebensfreude und Temperament verschwunden zu sein. „Ich bin fassungslos und traurig“, sagt sie: „Meine Freunde sind russisch und ukrainisch, das ist völlig vermischt. Für mich ist es ein Volk!“ Ihre größte Angst sei, dass Menschen, die jetzt Freunde sind, nicht mehr miteinander reden: So habe sie es am Beispiel der Jugoslawen erlebt.
Interview zur Lage in Köln-Chorweiler
Roman Friedrich ist Streetworker und bei der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland.
In welcher Verfassung befindet sich die Community in diesen Tagen?
Angespannt. Viele Baustellen beschäftigen die Menschen. Sie haben Verwandte in der Ukraine und in Russland. Auch in Russland wird es nicht gut gehen. Alte Leute leiden, wenn sie keine Medikamente mehr bekommen. Weil Fluglinien gestoppt sind, werden Menschen ihre Verwandten nicht besuchen können. Das sind schmerzhafte Erfahrungen, keine Luxusprobleme.
Engagieren sich aus Russland stammende Menschen, um ein Zeichen gegen den Krieg zu setzen?
Die Zeichensetzer gehen zu Kundgebungen, bei konkreten Aktionen vermisse ich sie. Gleichzeitig wird ihre Situation durch die Ausgrenzungen immer schlimmer und ihrem Engagement wird, weil sie „Russen sind“, nicht sehr viel Wert beigemessen.
Wie informieren sich die Menschen?
Soweit ich es mitbekomme, informieren sich die meisten auf beiden Seiten, um sich ein eigenes Bild zu machen. Sie möchten nicht einseitig informiert werden. Wer von hier aus fordert, dass in Russland mehr Menschen auf die Straße gehen sollten, sollte sich damit auseinandersetzen, was das heißt. Den Demonstranten drohen jahrzehntelange Haftstrafen.
Haben einige Angst, ihre Ansichten zu äußern?
Gerade setzt ein massives Umdenken ein. Deswegen möchten viele erst einmal nichts sagen. Nur ganz wenige haben mit einem Krieg gerechnet. Aber natürlich gibt es auch viele, die in Berichten über Kriegsverbrechen im Donbass eine Legitimation für den jetzigen Krieg sehen. Sie fragen: Warum hat die Weltgemeinschaft damals nichts getan? Auch mit diesen Menschen muss man in Kontakt bleiben.