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SpurensucheStatt Nationalhymne erklang Karl Berbuers „Trizonesien-Lied“

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Neben dem Trizonesien-Lied war auch „Heidewitzka, Herr Kapitän“ ein Lied des augenzwinkernden Widerstandes.

Köln – Deutschland hatte 1950 drängendere Probleme, als über Musik nachzudenken. Wenn aber Bundeskanzler Konrad Adenauer bei internationalen Dienstreisen mit militärischen Ehren empfangen wurde, gehörte dazu auch, dass eine Kapelle die Nationalhymne des Gastes spielte. „Deutschland Deutschland über alles“ war offiziell verboten. So kam es, dass 1950 in der Höltystraße 14 in Bayenthal der Urheber gleich zweier inoffizieller Nachkriegshymnen Westdeutschlands wohnte: Karl Berbuer.

Eigentlich war Bäckersohn Berbuer, geboren 1900 in der „Löhrgaß“, der heutigen Agrippastraße 18, weniger an Hymnen als an kölschem Brauchtum interessiert. Schon als Schüler hatte er für einen Pfennig Eintritt einem auf Mehlkisten sitzenden Hinterhofpublikum Hänneschen-Szenen vorgeführt und 1910 den Halleyschen Kometen mit einer an einen Pappstern befestigten brennenden Wunderkerze nachgebildet. „Auf Rosenmontag, wenn ganz Köln Kopf stand, erstanden wir beim Pitschen August in der Löwengassen unsere ,Päädswöschger'. Was hat einem jemals wieder so gut geschmeckt?!“ erinnert er sich später.

Ein Bäckermeister, der die Alliierten ärgerte: Karl Berbuer ist mit einem Platz in der Südstadt und dem Narrenschiff-Brunnen verewigt. 

Mit seinen Brüdern und Freunden besuchte Berbuer „das Hänneschentheater in der Sternengasse bei der Witwe Klotz“ oder „am Sonntagnachmittag das Millowitschtheater an der Schildergasse für 35 Pfennig je Kopf, damit unsere Eltern uns endlich 'us de Föß' hatten.“

1919 aus dem Krieg entlassen, machte Berbuer eine Bäckerlehre, die er 1930 mit dem Meister abschloss. Der Vater und einer seiner Brüder waren früh verstorben, so dass die Mutter mit den Söhnen alleine die Bäckerei im Eckhaus Metzer Straße/ Vondelstraße weiterführte. Parallel aber zog es Berbuer weiter zur Bühne.

„Se kriggen uns nit kapott“

Schlagartig bekannt wurde er mit „Se kriggen uns nit kapott“, uraufgeführt bei einer Feier der Roten Funken am 11.11. 1924, als der Karneval von den Besatzungsmächten eigentlich noch verboten war. Berbuer, Spitzname: „Et jecke Hefeteilchen“, rieb sich gerne an Autoritäten. Sein im Jahr der Olympischen Spiele in Berlin 1936 veröffentlichtes Lied „Heidewitzka, Herr Kapitän“ war Berbuer zufolge ebenfalls regimekritisch. Viele Kölner, erinnert sich Berbuer, begrüßten sich mit Heidewitzka, um den obligaten Hitlergruß zu vermeiden – mit langgezogenem Anlaut „Hei...“. Das folgende „Witzka“ soll eine Anspielung auf den „böhmischen Gefreiten“ Hitler sein.

Die Bäckerei wurde 1943 von Bomben zerstört, so dass Frau und Kinder nach Rösrath flohen. Schon 1946 aber zog die Familie zurück nach Köln in die Höltystraße, wo Berbuer weiter aufmüpfig war. „O Mosella, du hast doch soviel Wein, o Mosella, trinkst du den Wein allein?“ singt Berbuer 1948. Das harmlos scheinende Lied brachte Berbuer wegen Kritik an den französischen Alliierten, die keinen Wein mehr über die Zonengrenze ließen, zwei Tage Arrest.

Russen waren wenig amüsiert

Besonders populär war aber „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“, uraufgeführt am Elften im Elften 1948 und Anspielung auf die amerikanische, französische und britische Besatzungszone, aus der die Bundesrepublik erwachsen sollte: „Ein kleines Häuflein Diplomaten macht heut die große Politik, sie schaffen Zonen, ändern Staaten“. Die britische „Times“ konstatiert daraufhin im Frühjahr 1949, dass die Deutschen wohl wieder frech würden. Und auch die Russen waren wenig amüsiert. Als Berbuer bei einem Auftritt in Berlin wegen stürmischer Nachfrage das Trizonesienlied als Zugabe darbieten musste, war ihm eigenen Aussagen zufolge derart mulmig, dass er danach vorsichtshalber nicht durch die Ostzone zurück nach Köln fuhr, sondern lieber ins Flugzeug stieg.

Anwesenden fanden das gewiss spaßig

In Ermangelung einer Nationalhymne erklang nun bei offiziellen Anlässen plötzlich Berbuer statt Haydn. Bei einem Fußballspiel in einem englischen Kriegsgefangenenlager etwa wurde zunächst der englischen Hymne „God save the King“ und dann dem „Trizonesien-Lied“ salutiert – auch von den Engländern. Die Anwesenden fanden das gewiss spaßig. Als aber Adenauer, der mit Karneval wenig anfangen konnte, bei einem Besuch in Chicago, während dem er Deutschland als in der westlichen Demokratie verankerten seriösen Partner zu etablieren versuchte, von der Kapelle mit „Heidewitzka Herr Kapitän“ begrüßt wurde, hatte der Spaß ein Ende.

Zurück daheim forderte er am 18. April 1950 die Anwesenden im Berliner Titania-Palast dazu auf, die dritte Strophe des Deutschlandliedes zu singen und schuf somit Tatsachen. Seine Gegner schimpften von einem „Handstreich“, aber Adenauer verteidigte sich, indem er berichtete, was passierte, als der Kölner Jean Schorn 1949 das erste internationale Nachkriegsrennen in der Müngersdorfer Radrennbahn gewann: „Es war auch manches belgische Militär in Uniform da vertreten, und schließlich wurden die Nationalhymnen angestimmt, und die Musikkapelle, die offenbar einen geistig gegenwärtigen Kapellmeister gehabt hat, hat ohne besonderen Auftrag, als die deutsche Nationalhymne angestimmt werden sollte, das schöne Karnevalslied ,Ich bin ein Einwohner von Trizonesien' angestimmt.“

Und da, so Adenauer, seien doch tatsächlich „zahlreiche belgische Soldaten aufgestanden und haben salutiert, weil sie glaubten, das wäre die Nationalhymne.“ Zeilen aber wie „Wir sind zwar keine Menschenfresser/ doch wir küssen um so besser“ könnten doch auf Dauer eine Nationalhymne nicht ersetzen. 1952, Berbuer hatte sich inzwischen ein Haus in der Novalisstraße 24 gebaut, wurde die dritte Strophe des Deutschlandlieds zur Hymne erklärt, und die kurze Karriere Karl Berbuers als inoffizieller Hymnendichter war beendet.

„Un et Arnöldche fleut“ spielte die Kapelle nach Berbuers Tod am 17. November 1977 an seinem Grab auf dem Südfriedhof (Flur 83). Die letzte Ehre erwiesen ihm Toni Steingass, die Bläck Fööss, der ehemalige Boxer Peter Müller und Willy Millowitsch, der sein letztes, vom Krankenbett geschriebenes Lied aufgenommen hatte: „Wenn dat esu es“, mit dem Berbuer posthum einen Goldenen Dom für den ersten Platz in der Karnevalistischen Hitparade des WDR erhielt.