Seit 50 Jahren in KölnWie im Krimi? – So arbeitet die Rechtsmedizin wirklich
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Köln – Rechtsmediziner haben Hochkonjunktur: Kein Krimi kommt heutzutage ohne Szenen aus dem Sektionssaal aus. Wenn sich im überwiegend in Köln produzierten Münsteraner „Tatort“ der schrullig-arrogante Professor Dr. Dr. Karl-Friedrich Boerne über die Leiche beugt und seinem Hassfreund Kriminalhauptkommissar Frank Thiel sagt: „Der Mann ist exakt um 22.40 Uhr gestorben“, dann ist das reine Fiktion. „Wir können allenfalls eine stundengenaue Orientierung geben. Das liegt an der Temperaturabhängigkeit aller zu messenden Befunde. Die Umgebungstemperatur ist nicht immer bekannt oder ändert sich während der Liegezeit des Körpers“, erklärt Professor Dr. Markus Rothschild, Leiter des nun seit 50 Jahren am Melatenfriedhof bestehenden Instituts für Rechtsmedizin der Uniklinik Köln und bekennender „Tatort“-Fan.
Drei große Abteilungen in Köln
Den 58-Jährigen faszinieren die vielfältigen spannenden Aufgaben, denen er sich mit 60 Beschäftigten widmet. Das Institut am Melatengürtel verfügt über drei große Abteilungen: Die forensische Traumatologie und Pathologie untersucht sowohl Lebende als auch Tote vor dem Hintergrund rechtlicher Fragestellungen. In der forensischen Molekulargenetik beschäftigen sich die Experten vor allem mit der Abstammungsbegutachtung sowie spurenkundlichen Fragestellungen. In den Laboren der forensischen Toxikologie werden Giftnachweise erbracht sowie Analysen von Betäubungsmitteln und Alkohol durchgeführt.
Zum ersten Bereich gehören vor allem die Obduktion und Labore zur mikroskopischen Untersuchung von Geweben Verstorbener. Der Sektionsbereich wird durch ein CT-Gerät ergänzt. Hier werden Mordopfer, Suizide und Verkehrsopfer vor dem Hintergrund rechtlicher Fragestellungen untersucht.
Ein Beispiel aus der Untersuchung von Tötungsdelikten, in diesem Fall eine tödliche Schussverletzung durch eine erlaubnisfreie Armbrust. Der Täter lockte seinen 22-jährigen Nebenbuhler in der Nähe einer Diskothek unter einem Vorwand auf ein freies Feld, wo er ihm dann von hinten in den Kopf schoss. Anschließend brach der Täter den aus dem Einschussbereich herausragenden Rest des Bolzens ab, sodass von außen nichts zur erkennen war, da die Eintrittsverletzung innerhalb der dicht behaarten Kopfschwarte lag und kein Blut aus der Wunde trat. Der Armbrustbolzen verletzte das Kleinhirn und den Hirnstamm tödlich. Erst durch die Obduktion wurde dieses Tötungsdelikt aufgedeckt.
Identifikation von Toten als Teil des Geschäfts
Auch die Identifizierung von Toten etwa durch das Zahnschema, Fingerabdrücke und Körpermerkmale gehören zu den vielen Aufgaben. Vor Jahren sorgte die staatsanwaltlich angeordnete Obduktion eines im Kölner Zoo erschossenen Sibirischen Tigers für landesweite Aufmerksamkeit. „Altai“ hatte eine Tierpflegerin angefallen und getötet. Durch die Untersuchung konnte bestätigt werden, dass nur eine einzelne tödliche Schussverletzung vorlag und das Tier ansonsten in einem guten Zustand war.
„Auch stand die Frage im Raum, ob der Tiger erst durch den Schuss so aggressiv wurde, dass er die Tierpflegerin durch einen Biss in den Hals tödlich verletzte. Dies konnte durch die Obduktion ausgeschlossen werden, da das Projektil das verlängerte Halsmark des Tigers durchtrennt hatte, sodass die Raubkatze mit dem Treffer sofort zusammengebrochen sein musste“, erzählt Rothschild.
Lange Tradition
1926 genehmigte der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, dass in den Räumen des Anatomischen Instituts in der Krankenanstalt Lindenburg ein Leichenschauhaus eingerichtet wurde. Ein ordentlicher Lehrstuhl für Gerichtsmedizin stand erst Mitte der 1930er Jahre zur Debatte. Dabei stand nicht aber der akademische Gedanke, sondern die nationalsozialistische Rassenlehre im Mittelpunkt. Erst mit Professor Rudolf Manz begann 1957 die institutionalisierte Universitätsgerichtsmedizin in Köln. 1971 erhielt das Institut sein Gebäude am Melatengürtel. Seit 2002 hat Professor Markus Rothschild die Leitung übernommen.
In seinem kürzlich im Bachem-Verlag erschienenen Buch „Vom Tatort ins Labor“ (128 S., 24,95 Euro) gewährt der Leiter des renommierten Instituts spannende Einsichten hinter sonst verschlossene Türen und beleuchtet auf anschauliche Weise die vielfältigen Methoden der Kölner Rechtsmedizin. (bro)
In der forensischen Molekulargenetik steht die DNA-Analyse im Mittelpunkt. Diese gibt den Ermittlern neue Möglichkeiten, einem mutmaßlichen Täter mit biologischen Tatortspuren seine Straftat nachzuweisen – auch noch nach Jahrzehnten. Der genetische Fingerabdruck hat die Arbeit der Kriminalisten revolutioniert. Im nach dem neuesten Stand der Technik ausgestatteten Labor des Kölner Instituts werden jedes Jahr mehrere Hundert Spuren- und Abstammungsfälle mit einigen Tausend Einzelproben analysiert. Diese Spuren werden entweder in Form von am Tatort gefundenen Abrieben auf Watteträgern übersandt oder als Originalasservate wie Waffen, Werkzeuge oder Kleidungsstücke dem Labor zur Verfügung gestellt.
Bei der forensischen Toxikologie dreht sich alles um den Nachweis von Giften, zu denen auch Medikamente, Alkohol und Drogen gehören. Das können Blut- und Haarproben genauso sein wie Getränkereste, wenn es zum Beispiel um K.o.-Tropfen geht. Untersucht wird, ob ein Autofahrer unter dem Einfluss von Drogen, Medikamenten oder Alkohol unterwegs war. Diese Stoffe spielen auch eine Rolle, wenn es bei Straftaten um eine verminderte Steuerungs- oder Schuldfähigkeit geht.
Justiz- und Polizeibehörden beauftragen das Institut
Natürlich werden auch Giftmorde untersucht. So konnten durch die toxikologischen Untersuchungen an exhumierten Leichen nachgewiesen werden, dass eine Altenpflegerin mehrere Patienten mit Chlorprothixen-haltigen Medikamenten vergiftet hatte. Das Landgericht verurteilte die Angeklagte in fünf Fällen wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Vor allem Justiz- und Polizeibehörden beauftragen das Institut mit seinen vielfältigen medizinisch-naturwissenschaftlichen Fähigkeiten mit der Durchführung von Untersuchungen und der Erstattung von Gutachten.
Eine besondere Herausforderung war ein Auftrag der Bundesanwaltschaft. Dabei ging es um einen syrischen Militärfotografen mit dem Decknamen Cäsar, der in Damaskus Tote fotografieren musste. Immer wieder gab es auf den Fotos Spuren von Folter. Rothschild:„Cäsar konnte die Fotos aus Syrien schmuggeln und ist schließlich nach Europa geflohen. Die Bundesanwaltschaft sah ein Land, in dem so viele syrische Flüchtlinge leben, in der moralischen Pflicht, sich dieser Dateien anzunehmen, und hat uns beauftragt die 26 000 Fotos, die etwa 7 000 Leichen zeigen, zu sichten und nach den Todesursachen zu forschen. Das war eine Arbeit, die mich und meine Oberärztin zeitlich, geistig und seelisch sehr beschäftigt hat.“