Queere alte MenschenAngebote für  wertschätzende Pflege in Köln werden mehr - Pilotprojekt der Caritas

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Ein alter Mann sitzt vor einer Regenbogenflagge.

Markus (79) findet es gut, dass im Caritas-Altenzentrum St. Maternus offen mit verschiedenen sexuellen Orientierungen umgegangen wird.

Mehr als zehn Prozent der Kölnerinnen und Kölner bezeichnen sich als queer. Wenn sie alt und pflegebedürftig werden, möchten sie eine Umgebung, in der sie sich akzeptiert fühlen. 

„Ich habe viel im Verborgenen gelebt. Man braucht viele Jahre, um sich selber zu akzeptieren“, sagt Roland (Name geändert). Dass der  89-Jährige Männer liebt, durfte die meiste Zeit seines Lebens nicht öffentlich werden. Noch bis 1994 stellte der Paragraf 175 homosexuelle Handlungen von Männern unter Strafe.

Heute lebt Roland im Caritas-Altenzentrum St. Maternus. Er braucht einen Rollstuhl, seine Beine wollen nicht mehr so recht. Vor kurzem war er beim ersten Seniorenabend „Queers und Freunde“ in seinem Seniorenheim. Denn der Caritasverband für die Stadt Köln hat ein Pilotprojekt zum Thema „Queere Pflege im Alter“ gestartet. „Queer“ gilt dabei als Sammelbezeichnung für eine sexuelle Orientierung, die nicht heterosexuell ist und für Geschlechtsidentitäten, die nicht Mann oder Frau entsprechen. „Wir haben viele queere Menschen bei uns wohnen“, sagt Ulrich Schwarz, Leitung des Bereichs Stationäre Pflege bei der Caritas.

Leitfaden für die Pflege entwickelt

„Es war wichtig, ein Zeichen zu setzen“, sagt Schwarz. Deshalb hat eine Arbeitsgruppe unter seiner Leitung einen Leitfaden entwickelt. „Er soll einen Orientierungsrahmen schaffen, der Sicherheit für pflegebedürftige queere Personen, deren Angehörige und Mitarbeitende bietet“, erläutert der Pflegeexperte. In zwei der sieben Caritas-Altenzentren in Köln wird das Pilotprojekt durchgeführt. Neben St. Maternus in Rodenkirchen macht das Kardinal-Frings-Haus in Ehrenfeld mit. „Da hat schon auch Mut zu gehört. Das wird nicht überall mit Applaus bedacht“, sagt Schwarz über die Initiative. 

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Da hat schon auch Mut zu gehört. Das wird nicht überall mit Applaus bedacht.
Ulrich Schwarz, Caritas, über Reaktionen auf den Leitfaden „Queere Pflege im Alter“

Markus (Name geändert) freut sich über die Initiative und die Flyer, die ausliegen. Er spricht gerne mit einem Mitarbeiter der sozialen Betreuung über seine homosexuellen Erfahrungen. „Zweimal war ich richtig verliebt. In Klaus und Guido“, erzählt der 79-Jährige, der gerne in der Schaafenstraße oder ins legendäre Hotel Timp ging. Ihm tut es gut, wenn er offen sein kann. „Auch wenn das meine persönliche Sache ist und eigentlich keinen was angeht“, sagt Markus.

Der Heimbeiratsvorsitzende von St. Maternus, Leonardo Martinez (89), begrüßt die Initiative „Queere Pflege“. „Wir bauen hier eine neue Familie auf. Wir haben hier noch Möglichkeiten, Toleranz zu lernen“, sagt Martinez. Wie zu sich selbst spricht er: „Der Tod ist uns so nahe. Das hier ist eine Vorstufe.“

Ein alter Mann lächelt in die Kamera.

Leonardo Martinez ist Vorsitzender des Heimbeirats im Caritas Seniorenzentrum St. Maternus.

Verletzlichkeit in der letzten Lebensphase

Dass die letzte Phase des Lebens eine ist, in der die Menschen die Kraft langsam verlässt, ist unbestritten. „Man wird konfliktscheuer und ängstlicher im Alter. Mit 20 hat man eher die Kraft, sich zu outen“, glaubt Schwarz. Andreas Kringe von der Kölner Fachstelle Rubicon, bestätigt das. „Viele haben in ihrem Leben doofes Zeugs erlebt. Gerade alte Menschen haben eine große Angst vor Ablehnung und Diskriminierung. Je höher die Einschränkungen, desto größer die Angst“, sagt Kringe. Die Verletzlichkeit wächst, je hinfälliger und abhängiger jemand wird. „Wir haben viele Anfragen, wohin man im Alter zum Wohnen gehen kann“, sagt Kringe. Es reiche nicht, zu sagen, dass man offen ist, man müsse das auch erkennen. „Gute Pflege heißt auch, sich für bestimmte Gruppen zu sensibilisieren. Es ist ganz wichtig, dass alte Menschen sich sicher und angenommen fühlen“, sagt Kringe.

Gute Pflege heißt auch, sich für bestimmte Gruppen zu sensibilisieren. Es ist ganz wichtig, dass alte Menschen sich sicher und angenommen fühlen.
Andreas Kringe, Fachstelle Rubicon

Die beiden Senioren-Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Köln konnte Kringe bisher für queere Menschen empfehlen. „Wir waren Pioniere in Köln und sind seit vielen Jahren mit Rubicon im Gespräch“, sagt Elisabeth Römisch, Fachbereichsleiterin Pflege bei der AWO. Das Arnold-Overzier-Haus in der Südstadt und das Theo-Burauen-Haus in Ehrenfeld gehören zu den bundesweit ersten, die sich im Modellprojekt „Queer im Alter“ engagiert haben.

 „Das ist ein großer Prozess auch in den Köpfen der Mitarbeitenden“, weiß Römisch. Die Erfahrungen seien durchweg sehr gut. „Die Menschen haben eine viel größere Offenheit, die reagieren ganz normal auf queere Menschen.“ Derzeit bemühen sich die AWO-Einrichtungen in Köln um eine Zertifizierung mit dem bundesweiten Siegel „Lebensort Vielfalt“. Und in dem dritten AWO-Altenzentrum, das derzeit in Porz entsteht, wird es elf Wohnungen im Betreuten Wohnen ausschließlich für queere Menschen geben.