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Kölner Intensivmediziner„So schlecht wie uns geht es kaum einem anderen Land“

Lesezeit 5 Minuten
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Eine Pflegerin auf einer Intensivstation

  1. Professor Bernd Böttiger ist Direktor der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin der Uniklinik Köln.
  2. Simon Westphal sprach mit ihm über die Lage auf den Intensivstationen – und was durch Omikron auf sie zukommt.

Wie ist aktuell die Lage auf den Intensivstationen?

Die Lage ist aktuell sehr angespannt. Wir rechnen damit, dass wir im Laufe der nächsten Tage und Wochen den bisherigen Peak überschreiten, den wir in Deutschland hatten. Der lag bei etwa 5700 intensivpflichtigen Patienten. Und das nur mit der Delta-Variante. Schon jetzt werden die Kapazitäten regional überschritten, auch wenn die Maßnahmen die Entwicklung etwas abgemildert haben.

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Professor Bernd Böttiger

Was wird sich durch die Omikron-Variante verändern?

Es wird ganz sicher so sein, dass wir im Januar eine Omikron-Pandemie haben werden. Was das für Auswirkungen für die Intensivmedizin hat, wissen wir im Moment alle nicht. Im Moment kommen etwa 0,5 Prozent aller infizierten Menschen auf eine Intensivstation. Allein die Tatsache, dass Omikron weitaus ansteckender ist und sich die Zahl der Infizierten dadurch dann voraussichtlich innerhalb von drei Tagen jeweils verdoppeln wird, wird zu einer erheblichen Belastung für das Krankenhauswesen und auch für die Intensivstation führen. Die Sorge, dass die Intensivmedizin wieder an den Rand des Kollapses oder auch darüber hinaus kommt, ist groß.

Wie sieht es aktuell in Köln aus?

An diesem Montag lagen in Köln 189 Covid-Patienten in den Kliniken, 68 davon auf der Intensivstation. Bei uns an der Uniklinik waren es 28 Patienten, davon zwölf auf der Intensivstation. Das ist verkraftbar im Moment, wir sind im Normalbetrieb. Wir haben ja insgesamt gut 100 Intensiv-Betten für Erwachsene allein in der Uniklinik, die sich in verschiedene Bereiche aufteilen. Die internistischen Kollegen haben im Moment die meisten Covid-Patienten, weil es ja auch eine internistische Erkrankung ist.

In Köln liegt die Hospitalisierungsrate klar unter dem Landesdurchschnitt. Warum ist das so?

Wir sehen in Köln eine Seitwärtsbewegung der Zahlen mit einem Anstieg, der lange nicht so rasant ist wie in der zweiten und dritten Welle. Der Grund ist ziemlich sicher die vergleichsweise hohe Impfquote in Köln. Über 80 Prozent der Erwachsenen sind geimpft.

Aber trotzdem gibt es weiterhin viele Impfdurchbrüche.

Es hängt immer auch davon ab, wie lange die Impfung her ist. Wir wissen ja jetzt, dass die Impfwirkung mit der Zeit abfällt. Bei Älteren sogar noch stärker. Deswegen gibt es die Impfdurchbrüche. Und deswegen gibt es auch die klare Empfehlung, sich boostern zu lassen.

Wie viele Intensivpatienten sind ungeimpft?

Bei uns sind das immer so 85 bis 90 Prozent. Und jetzt muss man bedenken, dass wir bei den Erwachsenen in Köln eine Impfquote von über 80 Prozent haben. Die Ungeimpften sind also eine Gruppe von Menschen, die in Köln weniger als 20 Prozent ausmacht. Und Menschen aus dieser Gruppe machen wiederum 85 bis 90 Prozent unserer Intensivpatienten aus. Das sagt mehr als tausend Worte über die Wichtigkeit der Impfung.

Deutschlandweit liegt die Impfquote bei etwa 70 Prozent. Trotzdem erreichen wir auf den Intensivstationen bald Zustände wie in der zweiten und dritten Welle. Was ist schiefgelaufen?

Ich hätte nicht gedacht, dass wir noch einmal in so eine Situation kommen. Da ist sicher vieles versäumt worden im Sommer, während der Wahlkampfzeit. Das müssen wir jetzt ausbaden.

Haben es andere Länder besser gemacht?

Wir sind in Europa, wenn man mal von Österreich und der Schweiz absieht, ganz am Ende der Fahnenstange. So schlecht wie uns geht es kaum einem anderen Land. Ich war vor ein paar Wochen in Italien. Die haben die Maßnahmen, die wir jetzt haben, schon seit dem Sommer. Und sie kontrollieren dies auch radikal.

Würden härtere Maßnahmen jetzt noch helfen?

Ich habe schon vor Wochen gesagt, dass wir härtere Maßnahmen brauchen. Und das sage ich jetzt auch wieder. Im vergangenen Winter hatten wir über Monate einen Lockdown light, der hat alle zermürbt. Ein kurzer, aber dafür härterer Lockdown wäre sehr viel effektiver und wahrscheinlich für alle besser. Was wir jetzt an Kontaktreduktion haben, wird für Omikron nicht ausreichen. Es wird erst besser, wenn es wärmer wird. Bis dahin brauchen wir maximale Disziplin. Jeder kann mithelfen, in dem er Kontakte reduziert.

Was macht die Sorge vor Omikron mit dem Personal?

Das pflegerische und auch das ärztliche Personal ist schon jetzt ausgebrannt. Wir sind ja nicht nur mit Covid beschäftigt. Wir haben den Normalbetrieb immer mal wieder phasenweise runter und dann wieder hochgefahren. Wenn wir in einer Phase andere Krankheiten nur reduziert behandeln, müssen wir diese Behandlungen anschließend natürlich auch nachholen. Man arbeitet noch mehr als vorher, und auch vorher war es nicht wenig.

Wie viel Kapazitäten verbrauchen Covid-Patienten im Vergleich zu anderen Intensivpatienten?

Nach größeren Operationen liegt die mittlere Liegedauer auf den Intensivstationen meiner Klinik bei gut drei Tagen. Covid-Patienten liegen da zwei bis drei Wochen. Wenn also jemand mit Covid kommt und 21 Tage bleibt, verhindert er nicht nur einen anderen Eingriff, sondern gleich sieben. Und trotz des maximalen Einsatzes können wir nur 50, vielleicht 65 Prozent der betroffenen Menschen retten. Die anderen versterben.

Täglich sterben in Deutschland hunderte Menschen an Covid. Haben wir uns zu sehr an diese Zahlen gewöhnt?

Ich habe mich wie viele andere selbst fast daran gewöhnt. Aber wenn ich nur einen bisschen darüber nachdenke, dann ist das unerträglich und ermüdend. Als das Germanwings-Flugzeug 2015 abgestürzt ist und etwa 150 Menschen gestorben sind, hat uns das alle extrem betroffen gemacht. Im Moment stürzen jeden Tag drei, vier Flugzeuge ohne Überlebende ab. Und die Öffentlichkeit nimmt das kaum noch wahr. Es sterben täglich hunderte Menschen und wir lassen es einfach so weiterlaufen. Das darf die Politik nicht zulassen. Hat sie offensichtlich bisher aber, und das zum wiederholten Male. Wir dürfen nicht so weitermachen.