Eine sogenannte „Brückenlösung“: In der Jugendherberge „Pathpoint“ sind derzeit 99 unbegleitete Flüchtlinge zwischen zwölf und 17 Jahren untergebracht.
Perspektive fehltZu wenig Plätze für unbegleitete Flüchtlinge – Zwischenlösung an der Nord-Süd-Fahrt
Seit Anfang 2024 ist die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Ausländer, kurz UMA, in Deutschland wieder gestiegen. So auch in Köln: Stand dieser Woche sind 592 Kinder und Jugendliche in Obhut des Kölner Jugendamtes, die auf der Flucht nach Deutschland ohne Erziehungsberechtigte eingereist sind. „Die Zahl ist extrem hoch und stellt uns vor große Herausforderungen“, sagt Jugendamtsleiterin Dagmar Niederlein.
Ein großes Problem seien die fehlenden Räumlichkeiten und der Fachkräftemangel, so Niederlein. In Nordrhein-Westfalen gibt es definierte Standards bei der Unterbringung, Versorgung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Sogenannte „Brückenlösungen“ gleichen fehlende Plätze der Kommunen aus. Aktuell leben 231 Jugendliche in insgesamt sechs Kölner Brückenlösungen.
„Brückenlösungen“ ohne Perspektive
Die Jugendherberge „Pathpoint“ ist seit anderthalb Jahren eine von ihnen, aktuell habe man die Zahl der Plätze von 70 auf 99 erhöhen müssen, so das Jugendamt. Ziel sei es, die Jugendlichen von dort aus möglichst schnell in Anschlussmaßnahmen unterzubringen - das kann jedoch manchmal Wochen bis Monate dauern, da es auch in der Jugendhilfe einen großen Fachkräftemangel gebe. Der Kölner Flüchtlingsrat sieht diese Unterbringung kritisch: „Standards der Jugendhilfe bezüglich Unterbringung, Versorgung, Betreuung werden nicht eingehalten“, sagt Birte Lange, stellvertretende Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats. Gleichzeitig handele es sich bei der Zielgruppe um besonders Schutzbedürftige, demnach müsse hier auf die bedarfsgerechte Unterbringung in besonderer Weise geachtet werden. „Angesichts fehlender Anschlussplätze verbleiben nach Köln zugewiesene Jugendliche weiterhin in Brückenlösungen, ohne dass eine Perspektivplanung erfolgt“, so Lange weiter. 93 Jugendliche waren laut Flüchtlingsrat im Juni davon betroffen. Fachverbände beklagen eine Diskriminierung der betroffenen Jugendlichen und mangelnden Rechtsschutz.
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99 männliche Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren sind im „Pathpoint“ in Mehrbettzimmern mit eigenem Bad untergebracht. Im Speisesaal gibt es zu festen Zeiten Frühstück, ein warmes Mittagessen und Abendbrot. Außerdem werden Sprachkurse angeboten, wenn möglich, werden sie in Integrationsklassen vermittelt. Es gibt Sport- und Kreativangebote. „Am meisten hilft es den Jugendlichen, einen strukturierten Alltag anzubieten, dieser hilft oft bei der Bewältigung von Traumata“, sagt Barbara Frank, stellvertretende Leiterin des Kölner Jugendamtes. Sprachkurse hätten oberste Priorität, doch sei es schwer, alle einzubinden, so Frank: „Es ist ein Kommen und Gehen.“
Häufig kulturelle Konflikte
Die Jugendlichen, mehr als 80 Prozent männlich, kommen aus unterschiedlichen Ländern, viele aus Afghanistan, Syrien, Eritrea, der Ukraine oder Russland. „Viele sind in ihren Heimatländern Zeugen von Gewalt, Tod und Morden geworden, oder hatten traumatisierende Erlebnisse auf ihrer Flucht nach Europa“, sagt Hilde Stapper, die beim Sozialdienst katholischer Frauen die Koordination von ehrenamtlichen Einzelvormundschaften übernimmt. „Was die Jugendlichen dringend brauchen, ist eine Perspektive. Nicht zu wissen, wie es weitergeht, macht sie mürbe.“
Auch kulturell bedingte Konflikte seien häufig. Wenn möglich werde vermieden, Nationalitäten gemeinsam unterzubringen, „die nicht miteinander können“, so Barbara Frank. Dem Platzmangel geschuldet sei dies aber oft nicht möglich. Eine besondere Herausforderung sei dies auch für die pädagogischen Fachkräfte in den Einrichtungen. Unterstützt werden diese von Hilfskräften und Sprachmittlern sowie von einem Sicherheitsdienst. Der Ausgang für die Jugendlichen sei nicht beschränkt, allerdings müssen sie sich an das Jugendschutzgesetz halten. „Drogen und Alkohol sind innerhalb der Einrichtungen verboten“, so Dagmar Niederlein. In Kooperation mit den freien Trägern und der Polizei ziehe man Konsequenzen aus Straftaten: nicht strafmündige Jugendliche unter 14 Jahren werden strenger überwacht, Straftaten von über 14-Jährigen werden immer zur Anzeige gebracht. „Da haben wir eine Nulltoleranzstrategie“, sagt die Leiterin des Jugendamtes.
Mehrheit nimmt Hilfsangebot an
Falls ein minderjähriger Flüchtling keine Papiere bei sich trägt, wird das Alter, das bei der Einreise angegeben wurde, zugrunde gelegt. „Es kommt vor, dass Jugendliche sich als jünger ausgeben, da die Jugendhilfe bessere Möglichkeiten bietet“, so Niederlein. Vorsicht sei aber generell bei einer Vorverurteilung dieser Gruppe geboten. „Nicht alle sind kriminell, nur weil eine kleine Gruppe nun im Fokus steht. Die Mehrheit nimmt unser Hilfeangebot an, ist motiviert und engagiert, sich eine Zukunft aufzubauen“, sagt Niederlein. Ob eine Unterbringung abseits von Brennpunkten wie dem Bahnhofsviertel oder dem Ebertplatz nicht sinnvoller wäre? „Wir wünschen uns die Unterkünfte oft auch ländlicher und weniger urban. Bei der aktuellen Immobilienlage können wir uns das leider nicht aussuchen.“ Erforderlich sei eine Änderung der Förderstruktur, sagt auch Birgit Lange vom Flüchtlingsrat, damit eine qualitativ hochwertige Betreuung sichergestellt werden könne.