Zusammen mit der Kölner Literaturkritikerin und Autorin Gisa Funck hat der in Köln geborene Literatur- und Medienwissenschaftler jetzt eine Chronik der besonderen Art veröffentlicht.
Neues Buch über die KulturszeneSo wild feierten die Kölner in den Jahren 1980 bis 1995
1980 kostet ein Kölsch eine Mark fünfzig, in Clubs, Cafés und Kneipen darf man rauchen, es gibt weder Smartphones noch soziale Medien. „Nachmittags oder abends treffen wir uns im Kurfürstenhof an der Bonner Straße oder im Blue Shell an der Luxemburger. Der Boden schwarz-weiß gefliest, ein Billardtisch, alle möglichen Leute: Punks, Künstler, Nachtgestalten“. Derjenige, der das schreibt, heißt Gregor Schwering, ist 1980 noch Schüler und mittendrin im Mikrokosmos aus Musik, aus Kunst und „Think Tank“-Theken.
Zusammen mit der Kölner Literaturkritikerin und Autorin Gisa Funck hat der in Köln geborene Literatur- und Medienwissenschaftler jetzt eine Chronik der besonderen Art veröffentlicht. Sie heißt „Wir waren hochgemute Nichtskönner“ und lässt, so der Untertitel, „Die rauschhaften Jahre der Kölner Subkultur 1980 – 1995“ Revue passieren. Eine Zeit, in der Köln „mehr war als die traditionsreiche Dom-, Römer- und Kölsch-Stadt. Und mehr als die Karnevalshochburg, Heimat des FC oder Hauptstadt der deutschen Comedy und Mundart-Musik.“ Für kurze Zeit war Köln das kulturelle Zentrum der Bundesrepublik.
Als Joy Divison im Basement spielten
Was sich so ungemein lebendig, bunt und facettenreich liest und bei Kölner Babyboomern darüber hinaus eine Vielzahl von Erinnerungen weckt, ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit. Funck und Schwering haben Journalisten und Autoren interviewt, Kneipiers und Künstler, Musiker und Produzenten, Ex-Galeristin Isabelle Graw, die heute Professorin für Kunsttheorie in Frankfurt am Main ist oder den DJ Hans Nieswandt, der heute den Studiengang Popmusik der Folkwang Universität der Künste in Essen leitet.
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Allein die O-Töne dieser 16 Insiderinnen und Insider, die sich zu Beginn ihrer Laufbahn als „hochgemute Nichtskönner“ (Künstler Peter Bömmels), „Studienabbrecher“ (Graw) oder „nicht abgezockt genug“ (Schlagzeuger Gerd Türke) beschreiben, lohnen schon die Lektüre. Darüber hinaus hat sich das Kölner Autorenteam quer durchs „Audioarchiv Kunst“ gehorcht und durch sämtliche 40 Jahrgänge des Kult-Magazins SPEX gelesen. Dessen Werdegang vom „Low Budget Heft aus dem Belgischen Viertel“ zur Pop-Bibel, die „das intellektuelle Sprachrohr der westdeutschen Babyboomer-Generation wurde, ist im Buch ein eigenes Kapitel gewidmet. Wie ein roter Faden hindurch zieht sich ein fiktionaler Teil, bei dem man den 1962 geborenen Schwering bei seinen Streifzügen durch die Stadt begleitet. Mit ihm erlebt man den Auftritt von Joy Divison am 15. Januar 1980 im Basement, sieht dem Barsch im Königswasser beim Schwimmen zu oder fährt mit der Linie Sechs in die Südstadt ins besetzte Stollwerck. Da wird jetzt keine Schokolade mehr gemacht, sondern Kultur. Da ist jetzt alles möglich. Man trinkt im Broadway-Café Cappuccino, im Six Pack Bier aus der Flasche und gibt sich gegen Morgen in der Station bei Musik von den Pogues endgültig die Kante. Durch all das, anfangs zu den rauen, schnellen Klängen des Punk, später dann zum sägenden, zwitschernden, auf- und abschwellenden Sound von Acid House und noch später beim Cosmic Orgasm des Techno, weht ein wunderbarer Do-it-Yourself-Spirit. Die Stadt flirrt nur so vor kreativer Energie. Auch Fotos wie die von Wolfgang Burat belegen das eindrucksvoll.
Zwischen 1980 und 1995 ist Köln Pop-, Ausgeh-, Musik- und Kunststadt: „Nachts wurde die Innenstadt zur Bühne, auf der jeder, der zur Boheme dazugehören wollte, eine möglichst coole Performance abliefern musste. Und dabei ging's oft nicht zimperlich zu.“ Nicht nur, weil sich im Blue Shell Skins und Rocker an die Köppe kriegten
Sondern auch, weil, der Kulturbetrieb der 1980er vor allem männlich dominiert war. „Der Sexismus war ausgeprägter und direkter als heute. Ich spreche deshalb auch von den ,dunklen Jahren“, wird Isabelle Graw zitiert. Und Journalistinnen wie die Schwestern Kerstin und Sandra Grether attestieren der SPEX-Redaktion noch in den 1990er Jahren eine „latent frauenverachtende Haltung“.
Am Ende schlägt man das Buch mit einem weinenden und einem lachenden Auge zu. Weinend, weil solche Locations wie der Rose Club oder das Underground heute nur noch Erinnerung sind. Und lachend, weil einige Zitate einfach zu köstlich sind. Etwa das von Künstler Walter Dahn, der zusammen mit Peter Bömmels und vier weiteren Kollegen als Gruppe „Mülheimer Freiheit“ Furore machen sollte: „Entweder das geht durch die Decke – oder du wirst wieder Kindergärtner.“
Gisa Funck und Gregor Schwering:„Wir waren hochgemute Nichtskönner“. Die rauschhaften Jahre der Kölner Subkultur 1980-1995. Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 28 Euro.