Eine Kölner Organisation listet Behandelnde, die von Patientinnen und Patienten als sensibilisiert empfohlen wurden.
„Queermed Deutschland“Diese Arztpraxen behandeln ohne Vorurteile

Nicht nur Schwarze Menschen können in Praxen auf Diskriminierung stoßen.
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„Morbus Mediterraneus“ kann im ersten Moment klingen wie eine seltene Krankheit. Ausgesprochen wird die augenscheinliche Diagnose nur hinter vorgehaltener Hand. Denn was dahintersteckt, ist ein rassistischer Begriff, der in Kreisen von Medizinpersonal kursiert. Auch als „Morbus Balkan“ oder „Morbus Bosporus“ bekannt, beschreibt er die vermeintliche Wehleidigkeit von Menschen, die nicht als deutsch gelesen werden. So kommt es vor, dass Beschwerden dieser Personen weniger ernst genommen werden. Und das kann gefährliche Konsequenzen haben.
Dass Diskriminierung im Gesundheitswesen keine Ausnahme ist, zeigt ein neuer Bericht des vom Bund beauftragten „NaDiRa“ (Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor). Knapp jede dritte von Rassismus betroffene Person gab hier an, dass ihre Beschwerden schon mal nicht ernst genommen wurden und sie daraufhin die Ärztin oder den Arzt wechseln mussten. „In Praxen und Kliniken herrscht ein riesiges Machtgefälle zwischen Behandelnden und Patient*innen. Eine Behandlung ist immer mit den eventuellen Vorurteilen durchmischt, die die Behandelnden selbst haben, oder mit denen sie gelehrt wurden“, erklärt Sara Grzybek aus Köln.

Sara Gryzbeks Projekt „Queermed Deutschland“ ging 2021 online.
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Um dabei zu helfen, dieses Problem auszugleichen, gründete Grzybek die gemeinnützige Organisation „Queermed Deutschland“. Auf der Website werden über ein Online-Verzeichnis bundesweit Behandelnde, Praxen und Kliniken gelistet, die sensibel mit den Lebensrealitäten ihrer Patienten und Patientinnen umgehen. Diese geben nach einer positiven Erfahrung mit bestimmten Behandelnden selbst Empfehlungen für das Verzeichnis ab. Darüber hinaus bietet „Queermed“ ein reiches Infoangebot und Unterstützungsmöglichkeiten.
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Grzybek weiß: Nicht nur von Rassismus betroffene Menschen können unter Diskriminierung im Gesundheitswesen leiden. Dass sich unter den Kitteln ihrer Behandelnden Vorurteile verstecken, treffe auch Personen, die eine Behinderung haben, in Armut leben, mehrgewichtig (eine neutrale Bezeichnung für übergewichtig) oder queer sind. Und die Liste der betroffenen Gruppen gehe weiter.
Unter den über 1000 Einträgen bei „Queermed“ sind trotz des Projektnamens nicht nur explizit queer-sensible Praxen. So sollen Behandlungen für möglichst viele Menschen sicherer werden. Vorbild war ein gleichnamiges Verzeichnis aus Österreich.
Patientinnen und Patienten bewerten Praxen
Ganze Praxen - darunter auch psychotherapeutische Praxen - oder bestimmte Teile ihres Angebots können bei „Queermed“ detailliert beschrieben werden. Danach geben die Personen an, welchen Hintergrund sie haben. 30 Bezeichnungen wie gehörlos, trans oder muslimisch stehen zur Auswahl. Unter anderem mit diesem Filter können andere die Praxisempfehlung später finden. Sich selbst vorschlagen, können Behandelnde nicht.
Wie kann sie aussehen, Diskriminierung im Behandlungszimmer? HIV-positiven Menschen wird teils die Versorgung verweigert, Menschen im Rollstuhl kommen wegen fehlender Barrierefreiheit oft nicht bis in die Praxen und die Homosexualität mancher Menschen wird als reine Phase betrachtet. Probleme von mehrgewichtigen Personen werden auf ihr Gewicht reduziert und Menschen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, werden unsensibel behandelt. Soweit ein Einblick in alltägliche Erlebnisse der Betroffenen, von denen Grzybek berichtet wurde.
Solche Erlebnisse bleiben nicht folgenlos: „Leute halten ihre Gesundheitsprobleme lieber aus, als zu einer Praxis zu gehen. Damit begeben sie sich in große Gefahr“, sagt Grzybek. Ein Studienteilnehmer beim „NaDiRa“ fasst zusammen: „Man wird nicht respektiert und irgendwann respektiert man sich selbst auch nicht mehr.“ So schließt sich der Teufelskreis: Denn diskriminierte Menschen gaben öfter als andere an, gesundheitliche Probleme zu haben. Das zeigte eine Studie der Krankenkasse IKK classic.
Medizinlehre normativ statt divers
Die Wurzel der Probleme, die sich in den Praxen zeigen, liegt laut Grzybek in der gesamten Medizin. Schon in den Lehrbüchern werden bestimmte Gruppen nicht erwähnt: „Hauterkrankungen werden bei Schwarzen Personen viel schlechter erkannt als an weißen Körpern, weil diese Fälle in medizinischen Büchern einfach nicht auftauchen“, erklärt Grzybek. „Man muss sich im Klaren sein, dass die Medizin und die Therapie sich bisher noch sehr auf weiße, heteronormative, männliche Patienten fokussiert.“
Um die Behandelnden ins Boot zu holen, bietet „Queermed“ auf seiner Website vielfältiges Infomaterial für Praxen an. Hier gibt es eine Bücherliste und einen Leitfaden zum sensiblen Umgang mit Patientinnen und Patienten. Diese können sich auch darüber informieren, wie sie im Fall einer Diskriminierung handeln können. Grzybek hält zusätzlich Vorträge und gibt Workshops, unter anderem an der Uni Köln.
Ich möchte, dass Diskriminierung in der Medizin auf großer Ebene anerkannt wird.
Dass Schmerzen von ganzen Personengruppen heruntergespielt werden, also die Scheindiagnose „Morbus Mediterraneus“ gestellt wird, trifft laut „NaDiRa“ ausnahmslos alle von Rassismus Betroffenen. Und: Auch weiße Frauen müssen teils darum kämpfen, im Behandlungszimmer ernst genommen zu werden. Diese Erkenntnis gibt Grzybek Meinung recht: Am einfachsten haben es im Gesundheitswesen weiße, nicht-behinderte, normschlanke cis-Männer (Männer, die sich mit dem ihnen von außen zugeschriebenen Geschlecht identifizieren).
Das wissen laut der „Queermed“-Geschäftsleitung noch zu wenige. Ziel sei daher, grundlegendes Bewusstsein für diese Ungleichheit zu schaffen: „Ich möchte, dass Diskriminierung in der Medizin auf großer Ebene anerkannt wird.“