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Neue KVB-BahnenDarum sind Rollstuhlfahrer in Köln empört

Lesezeit 4 Minuten
Ein Mann im Rollstuhl versucht in eine Straßenbahn zu fahren.

Mit den bisherigen Niederflurbahnen kamen Menschen mit Mobilitätseinschränkung noch besser zurecht, als mit den neuen.

Sie sollen die Kölnerinnen und Kölner über viele Jahre durch die Stadt transportieren. Doch Menschen, die auf Rollstühle angewiesen sind, schauen mit Schrecken auf die neuen KVB-Stadtbahnen.

Natürlich entsprächen die neuen, geplanten Niederflurfahrzeuge der KVB allen Vorschriften. Erst recht, was die Barrierefreiheit angehe. Sagt Matthias Pesch, Pressesprecher der KVB. Horst Ladenberger sieht das völlig anders: „Diese Bahnen sind im Alltagsbetrieb nicht barrierefrei. Sie sind eine massive Verschlechterung gegenüber den Niederflurmodellen, die jetzt auf der Schiene sind,“ sagt er. „Menschen im Rollstuhl oder mit Rollator können sie nur schwer oder gar nicht eigenständig nutzen. Diese Bahnen sollen 40 Jahre den ÖPNV in Köln wesentlich ausmachen. Das darf nicht passieren.“

„Das ist ein schwerer Fehler“

Ladenberger ist Gründungsmitglied des Arbeitskreises Barrierefreies Köln (ABK) und bewegt sich in einem von Hand über einen Reifen mit Grifflauf angetriebenen Rollstuhl fort. Mit anderen Mitgliedern kritisiert der 63-Jährige das geplanten Niederflurmodell NF12/NF6 seit Monaten vehement (wir berichteten). Die Bahnen im Wert von 450 Millionen Euro sollen die aktuellen Modelle frühestens ab Ende 2024 sukzessive ersetzen. Mit dem strittigen Punkt „Barrierefreiheit“ setzen sich der Sozial- und der Verkehrsausschusses gemeinsam am heutigen Nachmittag auseinander. „11.000 Menschen. So viele Kölnerinnen und Kölner sind auf einen Rollstuhl oder Rollator angewiesen, um mobil zu sein“, sagt Ladenberger. Ebenso wie er kritisiert auch ABK-Mitglied Dirk Michalski, Architekt und Sachverständiger für barrierefreies Bauen, das Prozedere. „Es ist ein schwerer Fehler, dass die KVB sich bei einem 450-Millionen-Projekt auf nur wenige ehrenamtlichen Laien berufen.“

Betroffene zu wenig gehört?

Bereits im Oktober 2017 habe man den ABK einbezogen, da eine Niederflurbahn nicht ohne Stufen oder Rampen im Innenraum gebaut werden könne, so ein Sprecher der KVB. Der ABK habe sich für Bahnen ausgesprochen, die ohne Stufen auskommen. „Ohne ein Modell konnten die Ehrenamtlichen nicht einschätzen, was das für den Einstieg bedeutet“, so Michalski. Bei dem ersten Termin am Ergonomie-Mock-up im Juli 2021 sind drei bewegungsbeeinträchtigte ABK-Mitglieder dabei. Die einzige Testperson in einem manuellen Rollstuhl ist ein jüngerer mobilitätsbeeinträchtigter KVB-Mitarbeiter. Parallel dazu betont KVB-Vorstandsvorsitzende Stefanie Haaks in einem vor Ort gedrehten Youtube-Video die Bedeutung des Termins: „Wenn wir frühzeitig sehen, was uns noch nicht gefällt, dann kann man das im Konstruktionsprozess relativ frühzeitig verändern.“

Nur mit viel Schwung zu bewältigen

Dass es mit einem manuellen Rollstuhl nur sehr schwer möglich ist, in das 1:1-Modell der geplanten Niederflurbahn zu kommen, stellt Horst Ladenberger im Juli 2022 an dem dann fertiggestellten Design-Mock-up fest. „Zuerst muss man über die fünf Zentimeter Erhöhung zwischen Bahnsteig und Innenraum kommen. Und sofort danach eine 95 Zentimeter lange Rampe mit sechsprozentiger Steigung überwinden.“ Das sei nur zu schaffen, wenn man mit großem Schwung durch die Tür fahren könne. „Im Alltag, wenn Menschen ein- und aussteigen und im Eingangsbereich stehen, ist das unmöglich.“ Er organisiert einen Ortstermin mit Politikern und KVB-Mitarbeitenden. Und manuelle Rollstühle, damit die Entscheider die Einstiegssituation selbst erfahren können. „Alle Beteiligen hatte in unterschiedlichem Maß Schwierigkeiten, mit dem Rollstuhl in den Mock-up zu gelangen, und das ohne Zeitdruck und Fahrgäste“, so Caren Müller und Dirk Michalski vom ABK. Sehr schwierig sei auch, in einem vollen Fahrgastabteil von der knapp einen Meter langen Rampe auf die nur 60 Zentimeter breite Fläche in der Mitte zu kommen. Danach falle die Rampe in Richtung der anderen Tür wieder ab, schildert Ladenberger. Nur auf der geraden Fläche sei ein sicherer Stand möglich.

Nachbesserung zu teuer?

„Diese Probleme hätten man sehr früh erkennen könne, wenn die KVB ein professionelles Verfahren, etwa mit Hilfe der Studiengesellschaft für Tunnel und Verkehrsanlagen, durchgeführt hätten“, kritisiert Michalski.„Dabei werden mehr Testpersonen einbezogen und auf kritische Bereiche explizit hingewiesen.“ Bei solchen Verfahren sei er als Rollstuhlfahrer selbst mehrfach dabei gewesen. Zum jetzigen Zeitpunkt mache ein Nachtrag zur Anpassung des Fahrzeugkonzeptes zwingend eine Neuausschreibung des des NF12-Auftrages erforderlich, teilen die KVB in einer Ausschussunterlage mit. Voraussichtlich seien damit Mehrkosten bis zu einem dreistelligen Millionenbetrag verbunden. Ein von den KVB Ende im März vorgelegtes Stuva-Gutachten zeigt auf, dass alle technischen Normen zur Barrierefreiheit eingehalten wurden; Testpersonen wurden nicht einbezogen. In Frankfurt und Mannheim, wo das Niederflurmodell bereits fahre, gebe es keine Probleme, so die KVB. „Wo diese Bahnen schon fahren, können die Menschen im Rollstuhl ja nichts mehr ausrichten. Sie bleiben dann ‚still‘ zu Hause“, fürchtet Ladenberger. „Deshalb müssen wir jetzt dringend alles ändern, was noch zu ändern ist.“