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Mit Gewalt konfrontiertKölner Schau zeigt die Menschen hinter der Uniform – und die Dramen

Lesezeit 5 Minuten
Vom 12. Juni bis 12. Juli ist im Stadthaus West in Deutz die Ausstellung zu sehen.

Vom 12. Juni bis 12. Juli ist im Stadthaus West in Deutz die Ausstellung zu sehen.

In über 50 Porträts und Fließtexten werden die Geschichten von Menschen „hinter“ den Uniformen erzählt. Darunter auch Interviews mit elf Kölnern und Kölnerinnen.

Jeden Tag treffen wir auf sie: Einsatzkräfte in Uniform. Ob Polizist oder Polizistin, Notarzt oder Notärztin, Feuerwehrmann oder Richterin – wir scheinen nicht mehr den Menschen abseits der Uniform zu sehen. Das möchten die Kölner Polizei und die Stadt Köln in Kooperation mit der „Initiative für Respekt und Toleranz“ ändern. Vom 12. Juni bis 12. Juli ist im Stadthaus West in Deutz die Ausstellung „Der Mensch dahinter“ zu sehen.

Domschweizerin Nicole Arnold-Reitgruber

Domschweizerin Nicole Arnold-Reitgruber

Die Rettungskräfte sind täglich mit aggressivem und respektlosem Verhalten konfrontiert. Dabei müsse Respekt gegenüber den Einsatzkräften im Alltag eigentlich selbstverständlich sein, so Stadtdirektorin Andrea Blome. „Es ist unklar, woher die Gewalt und Respektlosigkeit kommt“, ergänzt Polizeipräsident Falk Schnabel. „Aber ein Verfall von gutem Benehmen ist offensichtlich.“ Solle man die Augen vor zunehmender Respektlosigkeit und teilweise auch Gewalt verschließen? Für Andrea Wommelsdorf von der „Initiative für Respekt und Toleranz“ ist die Antwort klar: Nein.

Notärztin Flavia Nobili

Narkose- und Notärztin Flavia Nobili

In über 50 Porträts und Fließtexten werden die Geschichten von Menschen „hinter“ den Uniformen erzählt. Darunter auch Interviews mit elf Kölnern und Kölnerinnen.

Liebe zur Kunst ist geblieben

Anna-Magdalena Gewehr wollte ursprünglich Kunst studieren, doch sie erkannte die schwierige Zukunft dieses Berufs schnell. Ihr Großvater war Leiter des Landeskriminalamts in Baden-Württemberg, ihr Vater beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – sie entschied sich für eine Polizeilaufbahn. Ihre Bachelorarbeit schrieb sie über ein für Polizisten und Polizistinnen alltägliches Thema: „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte – ein Täterprofil“. Mittlerweile arbeitet sie bei einer Koordinierungsstelle für Amok, Terrorismus-Extremismus und lebensbedrohliche Einsatzlagen. Sie ist Teil eines Teams, das sich mit der Eigensicherung von Polizistinnen und Polizisten beschäftigt.

In ihrer Freizeit geht die Beamtin ihrer künstlerischen Neigung nach, bastelt Geburtstagskarten und verziert diese mit Comic-Zeichnungen.

Empathie hilft

„Ob man sich mit dem Blatt in den Finger geschnitten, Kopfschmerzen oder Brechdurchfall hat, in Deutschland ist man sehr verwöhnt“, sagt die Narkose- und Notärztin Flavia Nobili. Als Kind wollte sie an einer Tankstelle arbeiten. Dass sich die gebürtige Römerin dann doch für ein Medizinstudium entschied, mag Familientradition sein; ihr Vater war Arzt. Sie studierte Medizin in Rostock und Regensburg, heute arbeitet sie im Kölner Rettungsdienst.

Michael Mader vom Kommunalen Ordnungsdienst der Stadt Köln

Michael Mader vom Kommunalen Ordnungsdienst der Stadt Köln

„Jeden Tag ist man woanders“, erzählt die Notärztin. „Und man weiß nie, was kommt. Das ist spannend und manchmal nicht ungefährlich.“ Sie berichtet von einer Kollegin, die mit einer Waffe bedroht wurde und sich auf den Balkon retten musste. „Ich fühle mich trotzdem immer sicher, wenn wir im Team unterwegs sind“, sagt Nobili. Sie könne sich immer auf die Besatzung des Rettungswagens verlassen.

Nächstenliebe und Respekt gegenüber jedermann ist ihre Maxime. Privat bleibt Flavia Nobili ihrer italienischen Seele treu: Sie kocht leidenschaftlich mediterran, wünscht sich Ruhe und ein kleines Haus auf Sizilien.

Aggression im Kölner Dom

Wenn der Dom um 6 Uhr in der Früh für den ersten Gottesdienst aufgeschlossen wird, warten oft schon viele Touristen und obdachlose Menschen vor dem Eingang, sagt Nicole Arnold-Reitgruber. Sie ist eine von 30 Domschweizern und Domschweizerinnen, die in rot-schwarzen Talaren Hüter des Doms und Ansprechpartner sind. Sie sorgen den ganzen Tag über für Ruhe und die Einhaltung der Regeln dort. Nicht alle Besucher reagieren verständnisvoll auf ihre Hinweise, manche von ihnen werden aggressiv.

„Leider wird die Missstimmung gegen die Kirche oft an uns, vorrangig an den männlichen Kollegen, ausgelassen“, sagt die Frau im Talar, die Sport studiert und 20 Jahre am Flughafen gearbeitet hat – bis sie ihren Traumjob fand. „Im Kölner Dom zu arbeiten ist mir eine Ehre und genau mein Ding.“

Aktiv gegen Gewalt

„Meine Robe ist keine Uniform im engeren Sinn“, sagt Harald Hürtgen, der seit 2006 als Staatsanwalt in seiner Heimatstadt Köln tätig ist. Zu seinem Arbeitsbereich gehört die Verfolgung von Gewalt gegen Einsatzkräfte.

Die Staatsanwaltschaft Köln hat im Jahr 2017 als erste NRW-Behörde eine Sonderzuständigkeit für diesen Deliktbereich eingerichtet. Die Mitarbeitenden bearbeiten Straftaten wie tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte, Bedrohung und Beleidigung. „Ich war von Anfang an dabei“, sagt Hürtgen.

Mit seiner Berufswahl ist er nach wie vor glücklich. Spannend findet er auch die Bereitschaftsdienste, bei denen er oft nachts geweckt wird, um beispielsweise eine vorläufige Festnahme anzuordnen.

Verständnis und Sanktion

„Lob ist in solchen Berufen selten“, sagt Michael Mader vom Kommunalen Ordnungsdienst der Stadt Köln. Während der Corona-Pandemie habe sich auch das hässliche Gesicht der Gesellschaft gezeigt. Menschen haben ihn absichtlich ohne Maske angehustet und als Faschisten bezeichnet. „Manche Erlebnisse wird man durch das Ausziehen der Uniform nicht los. Bei Bombenevakuierungen kommt es vor, dass sich alte Menschen, die den Krieg noch erlebt haben, bedanken“, fügt er hinzu.

Die halbstündige Fahrt nach Hause nutzt Mader, um die Ereignisse des Tages zu verarbeiten. „Unser tägliches Arbeiten ist ein Spagat zwischen Verständnis und Sanktion“, sagt er. Als Inhaber einer Dauerkarte für den 1. FC Köln und Vater von zwei Kindern nutzt Michael Mader seine Freizeit wie viele Kölner auch.


„Initiative für Respekt und Toleranz“

Die heftigen Ausschreitungen in Stuttgart im Juni 2020 gingen nicht unberührt an den vier Münster Bürgern und Bürgerinnen vorbei. Damals wurden 32 Beamte verletzt. Unter dem Eindruck der Ereignisse gründete das Team um Andrea Wommelsdorf die „Initiative für Respekt und Toleranz“. Das Ziel der Initiative: Mitarbeitenden der Einsatzkräfte und des öffentlichen Dienstes eine Stimme zu geben und ein Gesicht zu verleihen. „Es ist uns wichtig, die Menschen zu Wort kommen zu lassen,“ sagt Andrea Wommelsdorf .

Die Ausstellung „Der Mensch dahinter“ kann vom 12. Juni bis 12. Juli im Stadthaus West, Willy-Brandt-Platz 2, in Deutz zu den üblichen Öffnungszeiten des Stadthauses besichtigt werden. Der Eintritt ist frei. Ein Ausstellungskatalog kann gegen eine Spende für das Sozialwerk der Kölner Polizei e.V. erworben werden. (mfa)