Vor rund 1300 Gästen ist das Kölner Dreigestirn im Gürzenich proklamiert worden. Warum der Abend ein Aufruf zum Träumen war.
Regenbogen und tosender ApplausDas Dreigestirn begeistert bei der Pripro in Köln
Es gehört zum Selbstverständnis des Karnevals, der Obrigkeit den Spiegel vorzuhalten und mit den Werkzeugen Sarkasmus und Übertreibung Missstände anzuprangern. Zu Beginn der Dreigestirns-Proklamation im großen Gürzenich sitzt am Freitagabend ein kleiner Junge vor einem goldgerahmten Spiegel, um – in Anlehnung an eine Szene aus Peter Maffays Tabaluga-Musical – in die Zukunft zu schauen. Natürlich will der Junge Prinz werden, wenn er mal groß ist, so will es das Drehbuch an diesem Abend, an dessen Ende die Stadt ein neues Dreigestirn zu bieten hat.
Riesenstimmung durch die Stattgarde
Verwegene Träume und die Liebe zum lokalen Brauchtumsfest sind die Konstanten dieses galahaften Entrées zum Sitzungskarneval. Mit „FasteLOVEnd – wenn Dräum widder blöhe“ hat das Festkomitee ein hippiehaftes und blumig verspieltes Sessionsmotto ausgerufen. Für Prinz René I. (René Klöver), Bauer Michael (Michael Samm) und Jungfrau Marlis (Hendrik Ermen) geht im Gürzenich ein lang ersehnter Traum in Erfüllung – erstmals dürfen sie sich im feinen Ornat präsentieren. "Wir leben die Tradition, brechen sie aber immer wieder auf mit neuen Ideen", sagt der Prinz und freut sich über "die Farbenvielfalt der Proklamation im Zeichen des Regenbogens."
Bei den Mitgliedern der Stattgarde Colonia Ahoj, die erstmals in ihrer noch jungen Geschichte das Dreigestirn stellen darf, ist der Jubel riesig. Schon zu Beginn werden euphorisch die Vereinsfahnen mit integrierten Regenbogenfarben geschwenkt.
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Jörg Weber begeistert mit frechen Sprüchen
Der Komödiant Jörg P. Weber betritt den Saal pflicht- und mottobewusst mit einem bunten Blumenstrauß, den er zunächst wortlos und mit spärlicher Gestik an Oberbürgermeisterin Henriette Reker übereicht. Wie schon im Vorjahr mimt Weber den mitunter recht krawalligen Redner Horst Muys und meint lapidar: „Ich reker mich heute mal nicht auf.“ Dann zündet er sich provokativ eine Zigarette an und meint: „Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, da war das Rauchen gesund. Heute ist Rauchen verboten, aber Kiffen erlaubt“, scherzt er.
Den kommenden US-Präsident Donald Trump nennt er eine „Putschblos“ und meint: „Im Sauerlandstern dürfte der kein Tablett tragen. In den USA trägt er dafür den Atomkoffer.“ Zu Ehren der Stattgarde singt er „Verliebte Jungs“, meint „ein bißchen schwul steht uns allen gut“ und schlägt dem Festkomitee-Präsidenten eine Liaison vor: „Ich bin tot, Du bist Bestatter. Das passt“, witzelt er. Dann ist die Zigarette zu Ende geraucht, der Applaus für seine Rede ist groß.
Am Anfang ist das Wort, so will es die von Programmgestalter Ralf Schlegelmilch erdachte Dramaturgie der Veranstaltung. Die Inthronisierung der Tollitäten präsentiert er in drei Akten, wobei die Bühne im mit 1300 Menschen voll besetzten Festsaal zunächst den Rednern gehört.
Nicht nur der Auftritt von Jörg P. Weber ist ein launiges Schwelgen in der Karnevalshistorie, auch Ex-Prinz Boris Müller lässt einen Redner der alten Garde aufleben und imitiert Hans Hachenberg, der einst als „Doof Nuss“ seine Späße machte.
Kabarettist Fatih Cevikkollu schlüpft in die Rolle des „kölschen Paten“, hat es aber mit seiner Rede sichtlich schwer, im Saal Gehör zu finden. Marc Metzger rundet den verbalen Auftakt mit einem einem Traum-Krätzjer ab, sein Gesang ist im Saal wegen einer Mikrofon-Panne nur phasenweise zu verstehen. Ansonsten hat der übertragende WDR die Tonprobleme gelöst, die im Vorjahr noch für viel Unmut gesorgt hatten. „Es ist ein wichtiges Zeichen, dass wir den Rednern des Fastelovends eine große Bühne bieten. Und in unsicheren Zeiten ist die Anderswelt des Karnevals wichtig“, sagt Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn.
Dreigestirn muss zwei Stunden warten
Die geänderte Dramaturgie führt auch dazu, dass die Hauptpersonen in ihren Ornaten zwei Stunden ausharren müssen, bis sie Teil der Show werden dürfen. Scheinwerferlicht, Kunstnebel, dann werden Prinz, Bauer und Jungfrau mit frenetischem Jubel empfangen und von der Oberbürgermeisterin proklamiert. „Was für eine Farbenvielfalt, die Proklamation steht im Zeichen des Regenbogens“, freut sich der Prinz und verspricht, „die Tradition zu leben, aber sie immer wieder mit neuen Ideen aufzubrechen.“ Die meiste Redezeit gönnt sich Jungfrau Marlis, die sich den Karneval „als eine Zeit der Unbeschwertheit, der Lebesfreude und der Liebe“ wünscht. Ihren Appell bschließt sie mit dem Gruß: „Ich hab Euch lieb“ - das gab es noch nie bei einer Proklamatin im Gürzenich.
Ab diesem Wochenende wird das Dreigestirn bis Rosenmontag gut 400 Auftritte absolvieren. Die Proklamation ist der zweite Akt und zugleich der Höhepunkt des Abends, für das musikalische Intro sorgt Höhner-Gründungsmitglied Hannes Schöner.
Köln: Finanzielle Lage im Festkomitee ist angespannte
Bei der Proklamation bietet das Festkomitee die Tickets ausschließlich ausgewählten Gästen an – der Preis pro Karte ist dieses Mal auf 200 Euro gestiegen. Mit Essen kostet der Spaß gleich 260 Euro, ein deutlicher Anstieg gegenüber den Vorjahren. Und ein Hinweis auf die Teuerungen im Veranstaltungssektor sowie die finanziell angespannte Lage des Festkomitees. Nach der Corona-Pandemie, der 200-Jahr-Feier vor zwei Jahren und den Kostensteigerungen rund um den Rosenmontagszug, haben sich die Verbindlichkeiten des Dachverbands auf mehr als 1,5 Millionen Euro summiert.
Eine Sparversion ist die Proklamation deshalb nicht, auch wenn im finalen Akt statt drei Bands dieses Mal ausschließlich Kasalla die Bühne gehört. Begleitet werden die fünf Musiker jedoch von einem Orchester, anschließend zelebriert die Gruppe ihr Lied „Mer sin eins“ und setzt damit ein musikalisches Zeichen der Einheit. Ein wenig ist dies auch als Antwort zu verstehen auf den anfänglichen Blick in den Spiegel und die Frage, wie die Zukunft zu bewältigen ist.