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Interview mit Martin Bechler„Wenn man in diesem Geschäft nicht bereit ist, sich zum Kaspar zu machen, ist man falsch“

Lesezeit 7 Minuten
Die Hündin ist ein Segen: Viermal am Tag zwingt Roumi Wuschelwurst Martin Bechler weg vom Schreibtisch.

Die Hündin ist ein Segen: Viermal am Tag zwingt Roumi Wuschelwurst Martin Bechler weg vom Schreibtisch.

Martin Bechler saß viele Jahre als Produzent hinter dem Mischpult, bevor er seine eigene Band „Fortuna Ehrenfeld“ gründete. Ein Gespräch über Musik, Rotwein und den Wunsch nach Entschleunigung.

„Halt mal gerade“, sagt Martin Bechler zur Begrüßung beim Italiener nahe seinem Proberaum. Während ich seinen Hund streichele, holt er sich erstmal einen Kaffee.

Der Titelsong Ihres ersten Albums heißt „Das Ende der Coolness“.

Wenn man in diesem Geschäft nicht bereit ist, sich zum Kaspar zu machen, ist man falsch. Entweder zieht man seelisch blank, oder man lässt es.

Warum ist die Coolness am Ende?

Das gehört sich so! Toxisch-männlicher als mein Aufwachsen im Bergischen geht gar nicht: Aber diese Zeiten sind vorbei, und das ist gut so. Die Coolness war immer nur ein albernes Schutzschild.

Was ist das Gegenteil der Coolness?

(denkt lange nach) Ein großes, offenes Herz!

Der Clou Ihres sehr getragenen Songs besteht darin, dass er gar keinen Text hat.

Das war ein Nierentritt Richtung Marketing-Fuzzis, die dir sagen, wie was zu funktionieren hat. Es war mir ein Bedürfnis, meine Debütplatte mit einem Instrumental zu eröffnen − im Sinne der Entschleunigung.

Sind Hippies und Punks von heute aus betrachtet das gleiche?

Das sind doch nur Etiketten von Leuten, die damit Geld verdienen wollten. Einen echten Punk im Sinne „Ich bin gegen alles“ hat es nie gegeben. Wenn Onkel Willy und Tante Uschi im Wohnmobil mit blinkenden Hörnchen zum AC/DC-Konzert fahren, empfinden die sich auch als Punk.

„Sie tragen einen „Iro“: als Zitat?“

Nein, Verzweiflungstat. (lacht)

Ich habe schon immer sehr gern sehr viel, auch zu viel gearbeitet. Hätte ich so weitergemacht, hätte ich mich umgebracht.
Martin Bechler

Sie beschreiben Ihre Musik als „Brutalen Futurismus“. Inwiefern „brutal“?

Entweder wir räumen ganz auf oder gar nicht. Wir suchen nicht nach neuer Coolness, nach einem neuen Fake, sondern nach einer grundsoliden Ehrlichkeit. Wir sehen unsere Band als weltoffene, vorurteilsfreie Gemeinschaft: der Achtsamkeitsverein Fortuna Ehrenfeld.

Praktizieren Sie die erwähnte Entschleunigung auch im Privatleben?

Ich habe schon immer sehr gern sehr viel, auch zu viel gearbeitet. Hätte ich so weitergemacht, hätte ich mich umgebracht.

Woran haben Sie das gemerkt?

Am Rücken. (lacht) Umgangssprachlich nennt man jemanden wie mich wohl Workaholic. Aber jetzt, wo die Fortuna sehr gut aufgestellt ist, will und werde ich nicht mehr dem Erfolg hinterherhecheln. Sondern einfach nur eine gute Zeit haben.

Entschleunigt ein Hund?

Sie hat mich gefunden, nicht ich sie. Eine Hündin strukturiert dein Leben, indem sie dich vier Mal am Tag vom Schreibtisch wegzwingt − segensreich!

Warum muss man mit 18 weg aus dem Bergischen Land?

Das Bergische ist schön, es gibt dort Berge, Seen, mitunter tolle Menschen, alles. Aber: Der Brexit wurde mit der Mistgabel entschieden. Gerade als junger Mensch solltest du möglichst viel von der Welt sehen, um den Ort mit der für dich richtigen Geisteshaltung zu finden.

Meine Eltern haben mich mit Beatles und Kurt Weill gefüttert. Aber meine erste Vinyl war „Highway to Hell“ von AC/DC.
Martin Bechler

Haben Sie als Kind ein Instrument gelernt?

Als wohlerzogener Arztsohn bin ich mit fünf zum Klavierunterricht gegangen. Bis heute habe ich den Geruch des Teppichs und der Cordhose des Klavierlehrers in der Nase.

Breitcord?

Klar. Der Geruch ruft in mir viele widerstreitende Erinnerungen hervor, er irritiert mich bis heute. Aus pubertärer Anti-Haltung heraus habe ich das Klavier dann später gegen ein Schlagzeug eingetauscht.

Welche Musik hat der pubertierende Martin in Nümbrecht gehört?

Meine Eltern haben mich mit Beatles und Kurt Weill gefüttert. Aber meine erste Vinyl war „Highway to Hell“ von AC/DC. Als über den kleinen Lautsprecher meines Plastik-Plattenspielers zum ersten Mal „Touch too much“ lief, war ich verzaubert und verloren zugleich.

Blur oder Oasis?

Keine Ahnung.

Klaus Lage oder BAP?

BAP.

Nina Hagen oder Doro Pesch?

Nina Hagen in der Schaffensphase bis 1984, klarer Fall!

In Ihrem Tonstudio haben Sie jahrelang andere Musiker produziert. Warum haben Sie erst mit Mitte 40 Ihre eigene Band gegründet?

Weil es erst dann an der Zeit war. Gedichte geschrieben habe ich schon mit 9. Aber alles, was folgte, war einfach schlecht − Gott sei Dank habe ich das nie rausgebracht.

Und was geschah dann?

Ich habe keinen inneren Druck verspürt, irgendwann eigene Musik zu machen. Aber ich merkte plötzlich: Was du da schreibst, ist total gut! Nach mittlerweile acht Alben bereue ich noch immer keine einzige Zeile.

Sie haben Musikwissenschaft studiert. Mit welchem Schwerpunkt?

Mozart, weil er die Popmusik erfunden hat. Zunächst schrieb er vor allem einfache Volkslieder. Aber dann kam „Das Veilchen“, ein Lied, mit dem er die klassische Songstruktur mit Strophen und Refrain einfach auflöst. Musik hatte immer schon eine große Macht, und Mozart hatte den Mut, seinen Zeitgenossen so ein Lied zuzumuten.

Fehler sind uns völlig egal, wir zelebrieren sie geradezu.
Martin Bechler

Steckt im Martin noch ein Quantum Amadeus?

Mozart war kein Denkmal, sondern ein sehr facettenreicher, zerrissener Typ mit zwei gedanklichen Mittelfingern in der Luft. Das passt schon.

„Alle berufen sich auf Dylan − und keiner macht´s“: Was meinten Sie damit?

(lacht) Geh in einen Plattenladen und hör dich durch! Dylans Antriebsfeder war nie der Umsatz, sondern der Inhalt. Es gibt Dylan-Texte, die ich bis heute nicht die Bohne verstanden habe. Aber ich trage sie mit mir herum, und ab und zu macht wieder irgendwas klick. Für mich ist Pop-Kunst nur interessant, wenn sie manches offenlässt.

Würden Sie, im Gegensatz zu ihm, den Literatur-Nobelpreis persönlich in Empfang nehmen?

Ich würde das Geld an die Helping Hands Cologne spenden.

Eines Ihrer bekannten Lieder heißt „Vereinsheim“. Erinnern Sie sich an ein bewegendes Sportereignis Ihrer Jugend?

An meinen verschossenen Elfmeter gegen Wildbergerhütte. D-Jugend, wichtiger Elfer, einfach rechts unten danebengesemmelt. Schlimm.

Kennen Sie dieses Gefühl des Versagens auch von der Bühne?

Nein. Denn auf der Bühne gibt es kein Scheitern. Fehler sind uns völlig egal, wir zelebrieren sie geradezu.

Was war Ihre Position auf dem Platz?

Was man früher „Vorstopper“ nannte.

Katsche Schwarzenbeck, der Putzer vom Kaiser.

Genau. Gegner wegsemmeln, Ball erobern und ab nach vorne.

„Vereinsheim“ entwickelt sich in der zweiten Hälfte zu einer Hymne. Entspricht das Ihrer Ironie oder Ihrem Pathos?

Pathetisch bin ich durch und durch. Ich mag die italienische Oper, ich mag die große Geste. Am Herd beim Pastakochen singe ich die Arie des Caradossi aus Puccinis „Tosca“, dass die Wände wackeln.

Sie cuvetieren Ihren eigenen Rotwein. Worauf kommt es dabei an?

Auf den Geschmack! (lacht) Die Beschäftigung mit dem Wein ist Teil meiner Entschleunigung. Einmal im Jahr für ein paar Tage in der Pfalz einen neuen Rotwein entwerfen − sagen wir mal: Es gibt Schlimmeres.

Ich habe den Anspruch, diese Welt irgendwann zu verlassen, ohne jemanden wissentlich beschädigt zu haben.
Martin Bechler

Wie gut sind Sie?

Einmal habe ich tatsächlich versucht, ganz allein zu cuvetieren. Aber unter uns gesagt, die Plörre konntest du nicht saufen. Ohne den Chef Christian Bernhard geht´s nicht.

In Ihrer Band sind Sie der Chef. Sie komponieren alles, bestimmen alles und sind total undemokratisch.

Das ist absolut korrekt. In meinen 25 Jahren hinterm Mischpult konnte ich live mitverfolgen, wie zahllose Bandprojekte aus den immer gleichen Gründen an die Wand gefahren wurden: Eitelkeiten, mangelhafte Buchführung, Basisdemokratie, weil man sich ins Koma diskutiert hat. Für mein eigenes Projekt habe ich deshalb beschlossen, dass es einen Papa Schlumpf geben muss. Ich habe allerdings einen hohen Anspruch, immer nur im Sinne der Gemeinschaft zu entscheiden.

Sie empfinden den Widerspruch zwischen Ihren Ansichten und Ihrer Bandführung nicht als Dilemma?

Wie lange haben wir für das Dosenpfand gebraucht, zwanzig Jahre? Papa Schlumpf hätte gesagt: Weil wir die verdammte Umwelt retten müssen, ist ab heute Dosenpfand.

Kölsch kann man sein, reden und trinken. Was bevorzugen Sie?

Alles zusammen. Für mich als Imi ist Köln eine Heimat geworden. Der Kölner ist besserwisserisch, weiß das aber auch. Das kleine Manko der kolossalen Selbstüberschätzung wird mit einem Augenzwinkern und dem nächsten Kölschkranz wieder weggewischt.

Sie sprechen die kölsche Selbstbesoffenheit an. Manche meinen das durchaus ernst.

Wer sich für besser als andere, als seine Nachbarn hält, macht sich lächerlich. Das ist provinzieller Pimmelscheiß.

Als Kapitän von Fortuna Ehrenfeld frage ich Sie: Ist Ehrenfeld gentrifiziert oder noch kulturell bunt?

Ehrenfeld ist vorbei! Alle hauen ab, und das zurecht.

Ins Bergische wollen Sie aber auch nicht zurück.

Meine Miete in Ehrenfeld ist bezahlbar, jenseits dessen gibt es wenige Gründe. Aber die Stadt legt ihre Prioritäten eindeutig auf lebensfeindliche Zweckarchitektur. Haben Sie Bock auf den neuen Rudolfplatz? (lacht) Oder denken Sie an das alte Underground: Das war ein lebenswertes Gelände, ein Ort, den man gern besuchte. Anstatt uns Lebensräume zu bauen, in denen wir uns gerne aufhalten, kommt der nächste Rewe, der nächste McDonalds.

Sind Sie für oder gegen die neue Einbahnstraßenregelung auf der Venloer?

Mittelfristig gibt es keine Alternative zu autofreien Städten. Das wissen Sie, das weiß ich.

Sie möchten, dass man sich an Sie als einen „feinen Kerl“ erinnert. Was macht einen feinen Kerl aus?

Ich habe den Anspruch, diese Welt irgendwann zu verlassen, ohne jemanden wissentlich beschädigt zu haben. Und wenn ich eine Situation nicht besser machen kann, will ich sie wenigstens nicht verschlechtern.