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Wenn Schmerzen nicht mehr auszuhalten sindDirk-Stefan Droste leidet an Morbus Sudeck

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Dirk-Stefan Droste leidet an  Morbus Sudeck –  eine Spezialtherapie an der Uniklinik brachte endlich Linderung

  1. Im Jahr 2012 bildeten sich bei Dirk-Stefan Droste unerklärliche Schmerzen aus, die kaum zu ertragen waren.
  2. Irgendwann kamen die Ärzte auf die Spur: Der Patient litt an einer recht seltenen und bis heute geheimnisvollen Krankheit, die der deutsche Arzt Paul Sudeck erstmals als komplexes regionales Schmerzsyndrom beschrieben hat.
  3. Was half, war eine außergewöhnliche Spezialtherapie an der Uni Köln.

Köln – Es war an einem Tag im Jahr 2012, als sich das Leben von Dirk-Stefan Droste (45) von einem auf den nächsten Moment schlagartig änderte, ohne dass dies sofort abzusehen gewesen wäre. Er war auf einer Treppe gestürzt und hatte sich das Fersenbein gebrochen. Keine angenehme Sache sei das gewesen, sagt er, aber letztlich doch ein Bagatellfall, der - wie üblich - konservativ behandelt wurde und nach sechs Wochen geheilt schien.

Die Hölle begann für den damals 38-Jährigen erst einige Zeit später. Am betroffenen Fuß bildeten sich unerklärliche Schmerzen aus, die kaum zu ertragen waren. Bildgebende Untersuchungsverfahren brachten keine Klärung – einen Zusammenhang mit der Erstverletzung schien es nicht zu geben. Nach vielen Besuchen verschiedener Ärzte wurde Droste als Simulant angesehen, wie es auch anderen Betroffenen schon oft passiert war.

Irgendwann kamen die Ärzte auf die Spur: Der Patient litt an einer recht seltenen und bis heute geheimnisvollen Krankheit, die der deutsche Arzt Paul Sudeck Anfang des letzten Jahrhunderts erstmals als komplexes regionales Schmerzsyndrom beschrieben hat und die deshalb Morbus Sudeck genannt wird. Heute spricht man von CRPS (Complex Regional Pain Syndrom).

Von CRPS nie etwas gehört

Von CRPS hatte Droste – wie viele andere Betroffene – noch nie etwas gehört. „Auch vielen Kollegen ist die Krankheit unbekannt“, erklärt der behandelnde Arzt Dr. Georgios Matis vom Zentrum für Neurochirurgie an der Uniklinik Köln, ebenso die Möglichkeiten für Diagnose und Therapie. Morbus Sudeck ist ein chronischer Schmerzzustand, der meistens an den Extremitäten auftritt und sich nach Verletzungen wie Knochenbrüchen und Bänderrissen entwickelt. Auch nach Operationen, ja sogar nach einem Insektenstich, kann sie auftreten.

Die Ursachen sind bis heute weitgehend unbekannt geblieben, Überlegungen zur genetischen Veranlagung haben sich nicht hinreichend bestätigt. Sichtbare äußere Zeichen sind blaue Hände und Füße oder massive Schwellungen und Schmerzen bei leichtesten Berührungen. Als weitere Folgen sind Muskelabbau, Osteoporose, Tastempfindlichkeit und Funktionsstörungen zu beobachten bis hin zum Verlust von Händen und Füßen.

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Dr. Georgios Matis vom Zentrum für Neurochirurgie an der Uniklinik Köln.

Ob und wie die Urverletzung und das Syndrom in Zusammenhang stehen, ist unbekannt. Das macht auch die Therapie so schwierig. Die konservative Behandlung durch Physiotherapie, Ergotherapie oder Lymphdrainagen bringen dem Schmerzpatienten oft nur kurzfristig und mäßige Linderung. Eine sichere, erfolgreiche Methode gibt es bis heute nicht.

In Deutschland sind etwa 87 500 Menschen betroffen, die Dunkelziffer wird von Ärzten als sehr hoch eingeschätzt. Jährlich kommen 2000 Neuerkrankungen hinzu.Droste war oft der Verzweiflung nahe. Der Schmerz, der als brennend beschrieben wird, sei so groß, dass er nicht zum Aushalten sei. Deshalb würde die Krankheit nicht selten unschön auch als Selbstmordkrankheit bezeichnet.

Spezialtherapie bringt den Durchbruch

Droste hatte zwischen 2012 und 2019 rund ein Dutzend mehrwöchige Krankenhausaufenthalte zu bestehen, ohne dass sich etwas Entscheidendes besserte. Im Gegenteil: Nach einem Bänderriss trat die Krankheit am zweiten Fuß auf, später an der linken Hand nach einem Stoß. Zwei Füße und Unterschenkel mussten abgenommen, seine mehrfach wieder aufgenommene Tätigkeit im Personalwesen immer wieder unterbrochen werden.Finanzielle Belastungen kamen hinzu.

Der Durchbruch kam für den gelernten Kaufmann erst durch eine von Dr. Matis weiterentwickelte Spezialtherapie, die Droste von seinen Leiden weitgehend befreite. Dr. Matis, Fachbereichsleiter für Schmerz-Spastik an der Uniklinik Köln, erklärt das Verfahren: Es handelt es sich um eine Methode, bei der, vereinfacht gesagt, das Gehirn getäuscht wird. Mittels rückenmarksnaher Stimulation durch Elektroimpulse kann der Schmerz gelindert werden. Dabei wird dem Patienten unter lokaler Betäubung eine dünne Elektrode in der Nähe des Rückenmarks implantiert. Diese ist an ein externes Neurostimulationsgerät angeschlossen.

Wenn die Testsimulation erfolgreich verlaufen ist, wird der Neurostimulator in einer minimal invasiven Operation dauerhaft unter die Haut am Bauch oder Gesäß implantiert. Elektrische Impulse „maskieren“ nun den Schmerz, und der Patient spürt stattdessen ein leichtes, angenehmes Kribbeln.

Die Impulsgeber sind intelligente Geräte, die die Lage des Patienten erkennen und ständig weiterentwickelt werden. Insgesamt, so Dr. Matis, braucht die Krankheit ein fächerübergreifendes und multimodales Ärzteteam, zu dem unbedingt auch Psychologen gehören sollten.

Der Zusammenhalt in der Familie ist stärker geworden

Inzwischen ist Droste weitgehend schmerzfrei und aus der Uniklinik entlassen worden. Er will bald seine Berufstätigkeit wieder aufnehmen. Mit modernen Prothesen ist er mobil genug für seinen Job und die häusliche Selbstversorgung.

Dringenden Handlungsbedarf sieht er vor allem aber darin, anderen Betroffenen zu helfen und die Öffentlichkeit über diese rätselhafte Krankheit aufzuklären. Denn aus eigener Erfahrung weiß er, dass es jeden treffen kann. Deshalb hat er ein bundesweit arbeitendes Netzwerk von CRPS-Selbsthilfegruppen und einen Bundesverband gegründet, die gemeinsam am 4. November einen CRPS-Weltaufklärungstag durchführen (siehe Kasten).

Schwere Jahre lägen hinter ihm, sagt er, aber eine positive Sache brachten sie mit sich. Der Zusammenhalt der Familie sei durch die Krankheit viel stärker geworden. Jetzt freut er sich über die wiedergewonnene (Schmerz-)Freiheit.