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Kölner „Spurensuche“Heinrich Bölls verlorenes Köln

Lesezeit 5 Minuten

Heinrich Böll gilt als einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit.

KölnWo hat sich Friedrich Nietzsche den Tod geholt? Wo kam Martin Luther auf die Idee, die römisch-katholische Kirche zu reformieren? In unserer Serie „Spurensuche“ stellen wir berühmte Personen und ihre Zeit in Köln vor. Der Historiker Anselm Weyer spürt Orten nach, an denen Großes begann oder Dinge ihren Lauf nahmen. Dieses Mal: Heinrich Böll und wie ihm Köln nach dem Krieg und vielen Umzügen fremd wurde.

Heinrich Bölls erste eigene Wohnung in der Kleingedankstraße 10 hatte, wie Böll sich erinnert, „hohe Räume, altmodische Stuckdecken, schöne Möbel und – das war das wichtigste – ein Telefon; ich habe dort, einmal Kaffee getrunken, mir im Badezimmer die Hände gewaschen, befand mich wenige Stunden später schon in einem Transportzug.“

Die gemeinsame Wohnung von Heinrich Böll und Annemarie Cech in der Kleingedankstraße 10 wurde schon wenige Wochen nach ihrer Hochzeit zerstört. Heute steht dort ein Nachkriegswohnbau.

Bezogen hatte Heinrich Böll die Wohnung während eines Heimaturlaubs und nach seiner standesamtlichen Hochzeit am 6. März 1942 mit Annemarie Cech, und schon sechs Wochen später brachte sie ihm eine Woche Urlaub ein. Was war geschehen? Er hatte ein Telegramm erhalten: „Wohnung total zerstört, bin unverletzt, Annemarie“. Böll erinnert sich, wie sein Kompanieführer, „ein allerdings außergewöhnlich dümmlicher Mensch“, angesichts der zerstörten Bleibe die Hoffnung äußerte, dass „von nun an mein Kampfgeist gegen die Engländer stärker sein werde“.

Auch die zweite gemeinsame Wohnung des Ehepaars, diesmal in der Neuenhöfer Allee 42, brachte den Bölls, am 31. Dezember 1942 auch kirchlich in St. Paul getraut, kein Glück: „Jedesmal, wenn wir uns dort trafen, war ein besonders schwerer Bombenangriff fällig; wir fegten Glasscherben und Putz zusammen und fuhren am Morgen dann so rasch wie möglich in das Ahrweiler Hotel“.

Am 6. März 1942 heirateten Heinrich Böll und Annemarie Cech im Kölner Rathaus.

Die deutsche Nachkriegsliteratur zeichnet sich zu großen Teilen dadurch aus, dass verlorene Welten beschworen werden. Siegfried Lenz beispielsweise schrieb über das verlorene Ostpreußen, Günter Grass über das verlorene Danzig. „Es fällt auf, dass man immer nur an den Osten Deutschlands denkt, wenn das Wort heimatvertrieben fällt“, wundert sich Heinrich Böll 1965.

Er nahm auch für sich in Anspruch, durch die Zerstörung Kölns seiner Heimat beraubt worden zu sein. Heinrich Böll schrieb entsprechend viel über das verlorene Köln, obwohl dieses im Sinne von Grund und Boden noch immer ein Teil von Deutschland war. Es war aber bis zur Unkenntlichkeit zerstört, und mit ihm die Stadt, die Heinrich Bölls Kindheit ausgemacht hatte. „Als wir Köln wiedersahen, weinten wir“, schreibt Heinrich Böll dann auch über seine Rückkehr nach dem Krieg: „Wir kamen über die geländerlose, von Lehm glitschige Behelfsbrücke von Deutz herüber, ein englischer Panzer, der uns entgegenkam und ins Rutschen geriet, drängte uns fast in den Rhein“.

Die Familie Böll ist oft umgezogen

Das Haus in der Teutoburger Straße 26, in dessen ersten Stock Böll die ersten fünf Lebensjahre wohnte, steht noch, doch viele andere von Bölls Wohnungen sind vom Krieg nicht verschont worden – und die Bölls sind oft umgezogen. „Mein Vater liebte Umzüge und zog sogar gern innerhalb der Wohnung um“, schreibt Böll, „das Schlafzimmer wurde also woandershin verlegt und das andere Zimmer dann dahin und das andere wieder dorthin, es war eine dauernde Unruhe“.

Mit dieser Begeisterung verfrachtete der Vater die Familie 1922 in die Kreuznacher Straße 49 in Raderberg, einen laut Böll „halb ländlichen Vorort“, wobei der kleine „Hein“ auf der ersten Umzugsfuhre saß, „eingekeilt zwischen Stühlen, Kochtöpfen, Kissen auf dem Handwagen, den ein Gehilfe meines Vaters zog“. Und mit der gleichen Begeisterung ging es 1930 wieder zurück in die Stadt – ein abrupter Umzug, wie sich Böll erinnert: „Mein Bruder und ich bekamen nur gesagt, wir sollten nach der Schule nicht in die ,Straße am Park' zurück, sondern zu Fuß über Severin- und Silvanstraße in die neue Wohnung am Ubierring kommen.“

Die meisten Häuser in Köln sind vom Krieg nicht verschont geblieben

Notwendig geworden war der Umzug vom Eigenheim in die Mietwohnung aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch das Domizil mit Hausnummer 27, in heute noch recht teurer Wohnlage, überstieg in Zeiten der Wirtschaftskrise die Möglichkeiten der Familie. Und so klebte schon bald der Gerichtsvollzieher so manchen Kuckuck ans Mobiliar: „Wir rissen sie ab“, schreibt Böll, „solange sie noch frisch waren, missachteten diese vorläufige Besitzergreifung; später ließen wir sie, gleichgültig geworden, kleben, und es kam vor, dass es an Möbelstücken (am Klavier) regelrechte 'Kuckucksnester' gab.“

Schon 1931 kam es zum nächsten Umzug in die 2. Etage der Maternusstraße 32, wo Böll am 30. Januar 1933 „an einer schweren Grippe erkrankt“ zu Bett liegt und die Machtergreifung Hitlers erlebt. Beim dritten Umzug in sechs Jahren schließlich ging es 1936 wieder „in eine etwas teurere Gegend, zum Karolingerring, in eine Wohnung, die dreißig Jahre vorher als 'hochherrschaftlich' gebaut worden war“. Auch dieses Haus (Nr. 17) fiel den Bomben zum Opfer, so dass ein Großteil der Architektur Köln, die Böll aus seiner Kindheit kannte, 1945 in Trümmern lag.

„Köln ist für mich eine verschwundene, versunkene Stadt“

Die Zerstörung kam hierbei in Bölls Wahrnehmung zu seinem Leidwesen auch nach dem Krieg nicht zu einem Ende. „Man kann mit dem Auto durch eine Stadt fahren, kann sie vom Flugzeug aus betrachten, schließlich die abenteuerliche Perspektive des Radfahrens wählen, aber die abenteuerlichste bleibt die des Fußgängers, der gelegentlich die Straßenbahn benutzt“, findet Heinrich Böll.

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Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass ihn besonders die Nord-Süd-Fahrt, die seinen alten Schulweg von der Südstadt zum Kaiser-Wilhelm-Gymnasium in der Heinrichstraße 4-6 zerschneidet, maßlos erzürnte. Der Literaturnobelpreisträger kritisiert mit der Wortschöpfung „Auto-Köln“ die Stadtentwicklungspolitik der Nachkriegszeit hin zu einer auf die Bedürfnisse von Kraftfahrzeugen zugeschnittenen Stadt, in der „ganze Viertel zu Friedhöfen“ gemacht worden seien. Mittlerweile wohnhaft in der Hülchrather Straße 7 im Agnesviertel beklagt Böll 1979 die Einstellung des Fährverkehrs zwischen Bastei und Rheinpark, die ihm die Möglichkeit nimmt, „ohne größere Verkehrsumwege (Bahn, Bus, Auto) in den stilleren Rheinpark zu gelangen“.

Und so kommt Heinrich Böll 1984, ein Jahr vor seinem Tod, zur bitteren Erkenntnis, dass es von der Stadt Köln, die er kannte, nur noch Spuren gibt: „Köln ist für mich eine verschwundene, versunkene Stadt, in der ich einige Punkte noch erkenne, und das sind eben hauptsächlich die Kirchen, die romanischen Kirchen.“

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