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Kölner „Spurensuche“Dorothee Sölle, die Streitbare

Lesezeit 5 Minuten

Es braucht auch die Hände, nicht nur gute Gesinnung: Dorothee Sölle appellierte bei den Nachtgebeten in der Antoniterkirche für Wachsamkeit und Engagement.

KölnWo hat sich Friedrich Nietzsche den Tod geholt? Wo kam Martin Luther auf die Idee, die römisch-katholische Kirche zu reformieren? In unserer Serie „Spurensuche“ stellen wir berühmte Personen und ihre Zeit in Köln vor. Der Historiker Anselm Weyer spürt Orten nach, an denen Großes begann oder seinen Lauf nahm. Am Samstag geht es um Dorothee Sölle und ihre Nachtgebete in der Antoniterkirche.

Die Montagsdemonstrationen in Leipzig führten 1989 zum Fall der Mauer. Hervorgegangen war der Massenprotest aus den „Friedensgebeten“ in der Nikolaikirche, die schon 1982 von Pfarrer Christoph Wonneberger ins Leben gerufen worden waren. Und der wiederum hatte sich eigenen Aussagen zufolge dabei von den Politischen Nachtgebeten inspirieren lassen, die von 1968 bis 1972 regelmäßig in der Antoniterkirche in der Schildergasse Köln begangen wurden und seitdem Nachahmer auf der ganzen Welt gefunden haben. Deren zentrale Figur: Dorothee Sölle.

Dorothee Sölle 1969 nach der Trauung mit Fulbert Steffensky in der Antoniterkirche.

Politische Nachtgebete

Die Antoniterkirche war voll, als die Politischen Nachtgebete gefeiert wurden, die Menschen standen in den Gängen, ja, sie saßen sogar auf dem Boden, dicht gedrängt bis in den Altarbereich hinein. Zeitungen, Radio, Fernsehen und der Verfassungsschutz beobachteten das Geschehen. Und die Kirchenleitung tobte. Josef Kardinal Frings verbot schlichtweg, dass Derartiges in Räumlichkeiten der katholischen Kirche zelebriert würde. Und sein evangelisches Pendant, Präses Joachim Beckmann, hätte es gerne verboten, konnte es aber nicht verhindern, dieses Experiment, bei dem Dorothee Sölle und ihre Mitstreiter, darunter als Sympathisant Heinrich Böll, Theologie mit Politik, konkret mit dem Sozialismus, verbanden.

Dorothee Sölle hatte keinen klassenkämpferischen Hintergrund. Sie wurde am 30. September 1929 in der Wolfgang-Müller-Straße 15, Köln-Marienburg, als Tochter von Arbeitsrechtler Hans Carl Nipperdey geboren. Ihr Bruder Thomas Nipperdey wurde ein berühmter Historiker. Dorothee besuchte die Volksschule in der Annastraße Raderberg, dann die Kaiserin-Augusta-Schule. Nach Studium und Promotion wurde Dorothee Deutsch- und Religionslehrerin am Genoveva-Mädchen-Gymnasium in Köln-Mülheim, sie heiratete und wurde dreifache Mutter.

Und dann wurde sie zur wohl streitbarsten und einflussreichsten Theologin ihrer Zeit. Sie opponierte gegen die Amtskirche, die, so Sölle, zu hierarchisch war, Frauen unterdrückte, kein Ohr für Arme hatte und keine Konsequenzen aus der Zeit des Nationalsozialismus zog. Beim Evangelischen Kirchentag 1965 in Köln provozierte sie mit dem Vortrag „Kirche ist auch außerhalb der Kirche“, in dem sie sagte: „Wie man nach Auschwitz den Gott loben soll, der alles so herrlich regieret, das weiß ich nicht.“

Die Antoniterkirche liegt direkt an der Schildergasse.

Gute Gesinnung reicht nicht

Sölle folgerte, dass Gott nicht allmächtig sein könne, sondern auf die Hände der Menschen angewiesen sei. Gute Gesinnung reicht also nicht. Sölle wollte Aktion.

Dafür fand sie bald Mitstreiter. In Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils hatte sich an Neu St. Alban am Stadtgarten eine ökumenische Gruppe zusammengefunden, die sich mit Politischer Theologie auseinandersetzte – unter ihnen Dorothee Sölle. An einem Adventsgottesdienst 1967 sollte sich eine Diskussion über den Vietnamkrieg anschließen. Das Generalvikariat verbot dies, weil die Kirche nicht Schauplatz politischer Diskussionen werden dürfe. Also wurde trotz eisiger Kälte vor dem Portal diskutiert.

Auf die Aussprache sollten Taten folgen. Zunächst wurden Flugblätter verteilt, dann folgte zur Karnevalszeit ein kleiner Autokorso durch die Kölner Innenstadt mit den Transparenten „Christen helfen Vietnam“.

Ein Medienereignis war dann der Schweigemarsch mit 2000 Menschen an Karfreitag 1968, mit Gottesdienst auf dem Kölner Neumarkt. An prominenter Stelle das Plakat „Vietnam ist Golgatha“. Ein Skandal.

Beim Essener Katholikentag im September 1968 schließlich wurde der politische Gottesdienst von den Organisatoren auf 23 Uhr gelegt: Das Politische Nachtgebet war geboren. Und es sollte keine einmalige Sache bleiben. Die Plakate für den ersten Gottesdienst in St. Peter hingen bereits, alles war bereit, als Kardinal Frings sein Veto einlegte. Verzweifelt wandten sich die Organisatoren an die evangelische Antoniterkirche, wo der Gottesdienst schließlich eine Heimat fand. Monatlich wurde fortan hier während des Gottesdienstes über Politik informiert und auch agitiert.

Die Antoniterkirche in der Schildergasse.

Stets provokativ

Nicht nur der Gottesdienst war eine Provokation, Sölle selbst war es für die damalige Zeit – etwa, weil sie am 24. Oktober 1969, mittlerweile wohnhaft am Pauliplatz 7 in Köln-Braunsfeld, mit vierzig Jahren in zweiter Ehe den fünf Jahre jüngeren Mönch Fulbert Steffensky heiratete, der ihretwegen ohne Erlaubnis das Kloster verlassen hatte.

Dieser gab kurz vor seiner Hochzeit ein Interview, in dem er sagte: „Es ist ja nicht wahr, dass katholische Priester nicht ,verheiratet’ sind. Viele sind mit tausend Dingen verheiratet, angefangen vom guten Essen und Trinken über viele andere Dinge bis hin zur Selbstbefriedigung, zur Freundin und zur Homosexualität.“

Hatte Steffensky da wirklich behauptet, dass katholische Priester mitunter masturbieren oder schwul sind? Die Reaktion kam, als Sölle und Steffensky in der „etage“, Räumen einer ehemaligen Wäscherei in der Engelbertstraße, Hochzeit feierten und eine Strafanzeige des Erzbischofs Joseph Kardinal Höffner wegen Beleidigung zugestellt bekamen.

Dorothee Sölle kämpfte gegen den Vietnamkrieg, gegen den Nato-Doppelbeschluss zur Nachrüstung und gegen den Irakkrieg. Sie wurde wegen versuchter Nötigung verurteilt, weil sie an den Sitzblockaden vor den Massenvernichtungsmitteln in Mutlangen und vor dem Giftgasdepot in Waldfischbach teilnahm.

Der Kampf der Kölnerin hat sich gelohnt. Als Dorothee Sölle am 27. April 2003 starb, waren ihre zentralen Anliegen keine Außenseiterpositionen in der Kirche mehr. Seit einigen Wochen ist nun offiziell ein Platz nahe der Christuskirche nach ihr benannt.

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