AboAbonnieren

Zentrum des Belgischen ViertelsKeine Aussicht auf Nachtruhe am Brüsseler Platz

Lesezeit 5 Minuten
Große Menschengruppen haben sich am Samstag auf dem Brüsseler Platz versammelt.

Nachtschwärmer am Brüsseler Platz.

Mit den sommerlichen Temperaturen füllen sich auch beliebte Plätze wie der Brüsseler Platz wieder. Ein Besuch am späten Samstagabend.

Samstagabend, 21.30 Uhr, im inoffiziellen Zentrum des belgischen Viertels, dem Brüsseler Platz. Der Asphalt ist noch aufgewärmt von dem sonnigen Tag, die Luft noch immer auf 20 Grad aufgeheizt und es herrscht munteres Treiben auf und um den kleinen Platz. Junge Menschen flanieren mit einem Eis oder Wegbier über die belebte Maastrichter Straße zum Brüsseler Platz und schreiten der ersten wirklichen Sommernacht am Wochenende entgegen. Genau an diesem Punkt beginnen sich die Meinungen zu teilen - und das seit Jahren.

Für die Nachtschwärmer verspricht es, ein ausgelassener Abend zu werden. Für die Anwohnenden ist es schlichtweg Ruhestörung. Auf der einen Seite des Geschehens herrscht Feierlaune mit Musik, Alkohol und guter Laune, auf der anderen Seite wirkt diese Euphorie entzaubert und stellt sich durch Lärm, Verschmutzung und Wildpinkler dar. Viele Anwohnerinnen und Anwohner fühlen sich von den spätabendlichen bis nächtlichen Ansammlungen bei gutem Wetter gestört. Doch das Verständnis für die Anwohnenden stellt sich bei einem Großteil der Feiernden erst ab 24 Uhr ein.

„Vermittler“ in grünen Westen

Nach einem jahrelangen Rechtsstreit hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster im September 2023 die Stadt Köln zur Einhaltung der Nachtruhe zwischen 22 und 6 Uhr verpflichtet. Daraufhin legte die Stadt Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein, wodurch das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Bereits vor den ersten warmen Tagen hatte die Stadt Köln jedoch angekündigt, verstärkt am Brüsseler Platz zu kontrollieren. Das Ordnungsamt und sogenannte Vermittler, zu erkennen an grünen Westen, sollen die Menschen freitags und samstags ab 22 Uhr auffordern, den Platz zu verlassen – bis spätestens 24 Uhr. Sanktionen können sie nicht aussprechen. Weitere Maßnahmen sind, ab 23.30 Uhr die Außengastronomie zu schließen, sowie ein Alkoholkaufverbot in einem umliegenden Supermarkt und zwei Kiosks.

An diesem Samstag kommen Jung und Alt, FC-Fans, Nachtschwärmer und Passanten zusammen. Menschentrauben stehen vor dem Kiosk. In den umliegenden Restaurants sind alle Außenplätze belegt. Auf dem Brüsseler Platz sitzen Menschen auf Bänken, Stufen, Gemäuern, mitgebrachten Campingstühlen, Picknick-Decken oder einfach auf dem Boden in Grüppchen zusammen. Aus vereinzelten, tragbaren Lautsprechern tönt Musik und mischt sich mit einem Grundgeräusch aus unzähligen Gesprächen, klirrenden Bierflaschen, Fahrradklingeln oder Motorengeräuschen vorbeifahrender Autos. Gegen 21.40 Uhr beginnen Mitarbeiter der AWB, die ersten überquellenden Mülleimer zu entleeren und fahren mit einer Kehrmaschine über den Platz. Um 22 Uhr beginnt hier aber nicht die Nachtruhe – die Ausgelassenheit fängt gerade erst an.

Die Vermittler der Stadt laufen in Warnwesten über den Brüsseler Platz.

Die Vermittler sollen die Besucher ansprechen und auffordern, den Platz zu verlassen.

So auch für Alex (32), der mit seinen zwei Freunden hier ist. Für ihn ist der Brüsseler Platz der Startpunkt jeder Partynacht. „Hier ist das Epizentrum des Kölner Nachtlebens. Alle, die ich kenne, treffen sich hier. Man sagt erstmal, ‚lass am Brüsseler Platz treffen‘ und dann guckt man weiter.“ Er findet nicht, dass sich die Lage verschlimmert hat. „Vor fünf oder auch vor zwei Jahren war hier mehr los an einem Tag wie heute, aber natürlich ist hier nicht wenig los.“ Die Familien, die hier mit Kindern wohnen, tun ihm dennoch leid. „Familien haben Freitag und Samstag hier natürlich keine Chance, da ist im Sommer die Hölle los. Das ist an manchen Tagen dann natürlich ein Geräuschteppich, der sich nach oben in die Stockwerke ausbreitet.“ Fern würde er dem Platz ab 22 Uhr den Anwohnenden zur Liebe trotzdem nicht bleiben, aber: „Klar, um 0 Uhr würde ich woanders hingehen. Dann zieht man halt weiter.“

Während sich viele Cliquen auf dem Brüsseler Platz treffen, um zu reden und entspannt ein Bier zu trinken, laufen die „Vermittler“ der Stadt mit Handzählern umher und kontrollieren jede Stunde die Zahl der Menschen auf dem Platz. Knapp 400 Leute sind am Samstag gegen 23 Uhr. Laut den Vermittlern der Stadt ist es relativ ruhig. Sie hätten es dieses Jahr schon voller erlebt. Meistens würde der Andrang gegen 24 Uhr wieder abnehmen. Marie (30) steht mit ihren Freunden in einem äußeren Abschnitt des Brüsseler Platzes. Sie sind sich uneinig: „Es gibt Pro und Kontra für den Lärmschutz“, findet Marie. „Wenn jemand hier 30 Jahre wohnt, kann ich schon verstehen, dass man genervt ist. Unter der Woche ist es wahrscheinlich stiller, da geht hier nicht so viel und es geht nicht so lange, aber im Sommer am Wocheneden ist hier viel los. Für mich wäre das auch zu viel, wenn ich hier wohnen würde.“ Ihr Freund Marius findet jedoch: „Ich glaube, mit geschlossenen Fenstern geht es.“

Geteilte Meinungen

So ähnlich sieht es auch Dietmar. Der 82-Jährige wohnt laut eigenen Angaben seit 60 Jahren unweit des Brüsseler Platzes in der Neuen Maastrichter Straße. Er lebt trotz der Lautstärke gerne am Brüsseler Platz. „Es ist nun mal ein Ort, wo sich die Leute treffen. Ich wohne hier, kriege von dem Lärm aber nichts mit. Wenn ich die Fenster aufmachen würde, würde ich vielleicht was mitkriegen, aber sagen wir mal so: Wer mitten in der Stadt wohnt, in einem, wie es heißt, angesagten Viertel, kann nicht erwarten, dass am Samstag um 22 Uhr Friedhofsruhe ist.“ Wenn er abends am Platz vorbeigehe, sei es voll, aber es würde ihn nicht stören. „Es wurde schon oft versucht, etwas zu ändern, aber es hat nicht geklappt. Den Leuten gefällt es hier nun mal besser als zum Beispiel am Aachener Weiher. Das habe ich für mich akzeptiert.“

Bis zu 75 Dezibel in der Spitze

Nicht akzeptieren will den Lärm ein Ehepaar, das seit fast 40 Jahren in einer Wohnung am Brüsseler Platz lebt. In ihrer Wohnung misst es regelmäßig die Lautstärke, verursacht durch das lebendige Treiben auf dem Platz. In den ersten wärmeren Nächten im April zeigte ihr Messgerät bereits zwischen 66,7 Dezibel und 75,4 Dezibel an - gemessen in der Zeit zwischen 22 und 0.30 Uhr. Das OVG Münster hatte im vergangenen Herbst festgelegt, dass eine Lautstärke über 60 Dezibel bereits die Gesundheit der Anwohner gefährde.

Der Rechtsstreit, den die Anwohner mit der Stadt führen, läuft schon über acht Jahre. „Einige sind schon gestorben“, so der 81-jährige Anwohner. Aufgeben wolle er nicht. Über die Fußball-Europameisterschaft wird das Ehepaar aber verreisen. „Das tun wir uns nicht an.“