Muss man das Gendern verteufeln? Braucht es die üblichen Witze über vegane Ernährung und Laktoseintolerenz? In der Bütt ist die Zeit stehen geblieben.
Kommentar zum Start ins neue Karnevalsjahrhundert in Köln„Käselutscherscheißdreck“ - Gehts noch?
Mit einer ordentlichen Schimpftirade beginnt die Proklamation des Dreigestirns im Gürzenich. Jörg P. Weber lässt den vor mehr als 50 Jahren verstorbenen Randale-Redner Horst Muys auferstehen und vehement über die neue Gendersprache ablästern. „Liebe Jeck: innen. Wem fällt so eine Scheiße ein?“, empört er sich über „links-grüne frankophile Käselutschertypen“, die eben auch mal Jeck:innen sagen.
Es ist nach dem großen Jubiläum im vergangenen Jahr zugleich der Start ins neue Karnevalsjahrhundert. Und es ließe sich großzügig über diese Schelte hinweghören, stünde sie nicht symptomatisch für eine der bedeutendsten Herausforderungen, die der organisierte Karneval nach 200 Jahren noch immer zu bewältigen hat. Abgesehen von Sängerin Linda Teodosiu stehen bei der Proklamation wieder fast ausschließlich Männer auf der Bühne. Den Frauen bleibt die Rolle der Mariechen, die sich im kurzen Rock nett lächelnd übers Parkett wirbeln lassen.
Der Frauenanteil ist ausbaufähig
Vor allem der organisierte Karneval ist seit jeher eine Männerdomäne, daran hat sich in vielen Vereinen und auch bei der Besetzung der Vorstände kaum etwas geändert. Vielfach werden die Sitzungssäle noch immer von älteren Herren dominiert, die sich gegenseitig mit Orden schmücken und ein gutes Stück selbst feiern. Natürlich kennt der Karneval multiple Spielarten, es gibt Familien- und auch Damengesellschaften. Unter dem Strich bleibt der Frauenanteil ausbaufähig. Diese Kernaufgabe hat auch der Festkomitee-Präsident für die kommenden Jahre identifiziert.
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Der musikalisch hochtalentierte Jörg P. Weber steht in diesen Tagen erneut auf der Bühne. Dieses Mal nicht als Horst Muys, sondern als Jörg P. Weber. Am Sonntag echauffierte er sich im Sartory über den „janze links-jrön jedrisse frankophile Käselutscherscheißdreck“ und meinte erneut das Gendern. Und das war eben nicht der Zeitmaschinen-Sprung in die 1960er Jahre, das war nicht die Theaterrolle, auf die das Sessionsmotto abzielt, sondern der Karneval des Jahres 2024.
Noch stärker als im Gürzenich wird Weber bei der Herrensitzung der Willi-Ostermann-Gesellschaft für seine Darbietung abgefeiert und erst nach einer Zugabe von der Bühne gelassen. In anderen Sälen lästern die Redner über vegane Ernährung und Laktoseintoleranz. Das passt natürlich nicht zum Karneval, der schon vom Namen her das Fleisch feiert, bevor die Fastenzeit beginnt.
Wer im Karneval stets politische Korrektheit erwartet, hat den Sinn des Festes nicht verstanden. Doch der Karneval sollte sich offen zeigen für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen. Alles andere wäre aus der Rolle gefallen. Und aus der Zeit.