Experiment unseres RedakteursNach 14 Jahren in Köln der erste Sitzungsbesuch
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Köln – Nach einer guten Stunde liegt die Wahrheit auf dem Tisch, sieben Wörter reichen: „Das hier ist nicht so deins, oder?“, sagt Lucie Willemsen zu mir. Willemsen und ihr Mann Leo sitzen mit mir an diesem Abend in den Sartory-Sälen am Tisch. Mit „das hier“ meint sie die große Prunksitzung der Nippeser Bürgerwehr. Meine erste traditionelle Kölner Karnevalssitzung: Samstagabend im Sartory – verkleidet als Revolutionär Che Guevara. Mal schauen, wie das so abläuft.
Wo bitte ist der Untertitel?
Die erste Stunde erinnert mich an meine Anatomie-Vorlesung an der Sporthochschule: Ich verstehe nichts. Als Student hatte das inhaltliche Gründe, nun versuche ich als gebürtiger Rheinland-Pfälzer dem Kölsch des Sitzungspräsidenten zu folgen. Vergebens. Wo bitte ist der Untertitel? Nicht vorhanden. Mist.
Ah, da, Licht am Ende des Tunnels: Ich höre Jeschmölz. Das kenne ich irgendwoher, das meint doch so was wie Narrenschar, oder? Für langes Überlegen bleibt keine Zeit, vorne bewegen sich Männer in Strumpfhosen auf der Bühne. Das folgt sicher einer bestimmten Logik, mir erschließt sie sich nicht. Ich bin verwirrt. Das fällt Frau Willemsen wohl auf, sie stellt die Frage nach meiner Karnevalstauglichkeit. Was soll ich sagen? Ich mag Karneval, wohne seit 14 Jahren in Köln: Aber auf eine Sitzung gehen? Der Gedanke ist mir noch nie gekommen, mich verschlägt es eher in die Kneipen.
Da biegt auch schon der nächste Rückschlag ums Eck: Ich frage mich Minute um Minute, warum hier keiner Kölsch trinkt, während vorne die Höhner Köln als schönste Stadt besingen. „Hier gibt es nur Wein und Wasser, für Kölsch muss man raus ins Foyer“, erklärt Leo Willemsen. Warum das so ist, weiß auch er nicht. An einem Abend, an dem Köln in einer Tour gelobpreist wird, muss ich also den Saal verlassen, um das Bier zu trinken, das nach der Stadt benannt ist. Verstehe ich nicht.
Egal, jetzt sind erstmal die Höhner dran, Frontmann Henning Krautmacher schreit in den Saal: „Jetzt müsst ihr nur noch den Text kennen.“ So ist es, Problem erkannt. Dann aber, meine Chance: „Wenn nicht jetzt, wann dann“ kommt. Kenne ich, von wegen Handball-Weltmeisterschaft in Köln und so. Das erste Erfolgserlebnis, es geht aufwärts. Endlich. Der Saal tobt. Schön.
Zeit für den ersten Comedian, der hier Redner genannt wird: Guido Cantz. Ach, der mit den Möbelhäusern, denke ich, Werbefigur Cantz kennt ja gerade kein Entrinnen. Und: Cantz redet hochdeutsch, ich verstehe ihn. Per Handy schreibt mich ein Kumpel an, fragt, wie es um mein Experiment steht. Ich schreibe, dass ich über Guido Cantz lache, ihn tatsächlich witzig finde. Die Antwort: „Bald findest du auch noch Mario Barth gut.“ Ich muss lachen. Aber Cantz ist wirklich gut an diesem Abend.
Danach erzählt der Sitzungspräsident, dass der Verband für das deutsche Hundewesen 350 Euro gespendet hat. Im Sartory ist die Welt noch in Ordnung. Jetzt wieder Musik, die Bläck Fööss. Vor zehn Jahren im Praktikum habe ich mal verkündet, dass das doch wohl übersetzt schwarze Füße heißt. Ups. Die Redaktion tobte. Der Saal am Samstag auch.
Auf Musik folgt: Comedian, richtig, Marc Metzger alias „Dä Blötschkopp“. 27 Tuschs in 25 Minuten. Unübertroffen an diesem Abend. Mittlerweile ist es kurz vor elf, Pause. Vermutlich, damit die Leute im Foyer endlich Kölsch trinken dürfen.
Danach marschieren die Blauen Funken ein, direkt an meinem Tisch vorbei. Ich frage mich, warum einer der Männer einen riesigen Messinglöffel dabei hat? Kochen die jetzt ihr eigenes Süppchen? Nein, es wird getanzt. Mir erschließt sich erneut der Sinn nicht. Und was ist noch gleich ein Stippeföttche? Ich brauche Nachhilfeunterricht. Dringend.
Genau gezählt: 20,4 Tuschs pro Stunde
Später vielleicht, erstmal Bernd Stelter. Ich denke an seinen Song „Drei Haare auf der Brust“ und die TV-Talkrunde „7 Tage, 7 Köpfe.“ Aber heute sind weder Köpfe noch Brustbehaarung ein Thema, Stelter dichtet bekannte Songs um. Das ist ganz nett, der Saal steht, will eine Zugabe. Aber nur zwölf Tuschs. Vorteil Marc Metzger, eindeutig. Der hatte aber auch mehr Zeit. Mittlerweile, es ist halb eins, nach viereinhalb Stunden sind 92 Tuschs notiert. Das macht 0,35 pro Minute oder 20,4 pro Stunde. Keine Ahnung, was das bedeutet.
Nach dem Tanz der Zunft Müüs – wirklich beeindruckend – mache ich mich auf, verabschiede mich vom Ehepaar Willemsen. Zwar folgen noch Brings und Querbeat, aber die kenne ich bestens. Mein erstes Mal ist leicht vorzeitig vorbei. Hat gar nicht wehgetan. Vielleicht bis zum nächsten Mal.