Geht es nach einigen Eltern und Bürgern in Neubrück, soll dort eine Gesamtschule entstehen. Die Stadtpolitik hatte sich bereits dagegen entschieden, doch ans Aufgeben denkt dort niemand.
Was dafür sprichtNeubrück soll eine Gesamtschule bekommen – Bürgerinitiative startet nach Absage Protest
Anne Ratzki nervt es gewaltig, dass Deutschland wohl das einzige Land auf der Welt ist, in dem die Schüler nach der vierten Klasse sortiert werden: Für die einen gibt’s eine Empfehlung für die Hauptschule mit auf den Lebensweg, andere sollen auf die Realschule, die dritte Gruppe aufs Gymnasium. Das sei zu früh, meint die ehemalige Leiterin der Gesamtschule Holweide, die auch Mitglied des Arbeitskreises Schulentwicklung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist. Sie spricht sich entschieden für das Modell Gesamtschule aus: „Dort können Schüler ihre Talente entfalten.“
Das sieht nicht nur Anne Ratzki so, auch viele Kölner Eltern stimmen dem zu. Doch in der Stadt mangelt es an Gesamtschulplätzen, jedes Jahr werden 600 bis 1000 entsprechende Bewerbungen abgewiesen. Deshalb war die Empörung groß unter betroffenen Eltern in Neubrück, als der Rat 2022 die Umwidmung der Neubrücker Kurt-Tucholsky-Hauptschule in eine Gesamtschule mit den Stimmen von CDU, Grünen, Volt und FDP ablehnte. Die Hauptschule habe doch einen sehr guten Ruf, lautete eines der Argumente.
Der Neubrücker Bürgerverein will sich mit dieser Entscheidung nicht abfinden, sondern gründete eine „Bürgerinitiative für eine Gesamtschule“ und hatte kürzlich gemeinsam mit dem GEW-Arbeitskreis und der Gesamtschulstiftung zur Auftaktveranstaltung in seine Räumlichkeiten geladen. „Es geht nicht darum, die Hauptschule plattzumachen“, sagte Sylvia Schrage, Vorsitzende des Bürgervereins gleich zu Beginn vor den knapp 60 Versammelten. „Die leisten sehr gute Arbeit, gerade wenn es um Fragen der Integration geht.“
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Großer Einsatz für Gesamtschule in Köln-Neubrück
Integration sei in Neubrück ein wichtiges Thema, weil hier aufgrund der günstigen Mieten nicht nur sehr viele junge Familien lebten, oft hätten sie auch einen Migrationshintergrund, der Anteil liege im Stadtteil bei etwa 66 Prozent. „Die können sich oft nicht für eine Gesamtschule einsetzen, wie das vielleicht die Leute in Nippes machen, weil ihnen die Sprachkenntnisse fehlen. Deshalb müssen wir das tun“, sagte Schrage und erhielt dafür großen Beifall. Aber auch die Kinder aus zugewanderten Familien, so Schrage, sprächen oft kein ausreichend gutes Deutsch. Deshalb empfehle man ihnen häufig den Besuch einer Hauptschule, obwohl ihre sonstigen Fähigkeiten sie für die Realschule oder das Gymnasium qualifizierten.
Das konnte Martin Süsterhenn, Leiter der Katharina-Henoth-Gesamtschule Vingst/Höhenberg, bestätigen: „Von unseren Schülern haben nicht mal zehn Prozent eine Empfehlung für das Gymnasium, aber die Hälfte schafft es bis in die Oberstufe, das freut uns sehr.“ Höhenberg/Vingst sei von den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen her durchaus mit Neubrück zu vergleichen, die rund 1370 Schülerinnen oder Schüler hätten zu etwa 90 Prozent einen Migrationshintergrund und stammten aus 46 Nationen. In einem kleinen Vortrag schilderte Süsterhenn, wie die sprachlichen Fähigkeiten nicht nur im Deutschunterricht gefördert werden, sondern gezielt auch im Rahmen von Wahlpflichtfächern, AGs und Angeboten im Rahmen der Ganztags-Schule. Ob es sich um Fußball- oder Fitness-Kurse, um Yoga, Schulzeitung oder die Vorbereitung von Ausflügen handele: „Die Kinder lernen Deutsch viel leichter, wenn sie es in der Garten-AG sprechen als im Unterricht.“
An Neubrücker Kurt-Tucholsky-Hauptschule ist noch Platz für Erweiterungsgebäude
Noch allerdings sind Gesamtschulen für Neubrücker Eltern weit weg, im wahrsten Sinne des Wortes: Denn sowohl die Gesamtschule Höhenberg/Vingst als auch die Gesamtschule Holweide nehmen zunächst einmal Schüler aus ihrer näheren Umgebung auf, für die abgelehnten Neubrücker Kinder heißt das nicht selten, dass sie an eine Realschule in Porz oder Deutz wechseln müssen – ein weiter Weg für Fünftklässler.
Hoffnung macht der Initiative aber, dass neben der Kurt-Tucholsky-Hauptschule noch Platz für ein Erweiterungsgebäude wäre, eine vierzügige Gesamtschule könnte hier eröffnet werden. Und der Rat hat in seinem Beschluss auch zugesagt, die Lage werde noch einmal neu geprüft, wenn die Gesamtschule des erzbischöflichen Bildungscampus 2024 in Kalk an den Start gegangen ist. Wenn dann immer noch Bedarf herrscht, könnte Neubrück seine Chance bekommen.
Mit einer Unterschriftenliste will die Initiative das Thema im Gespräch halten. Die Liste liegt demnächst in Kitas, Schulen und anderen Einrichtungen aus, natürlich auch beim Bürgerverein. Auf dessen Internetseite kann man bald auch online seine Stimme abgeben. Eine Whatsapp-Gruppe wird ebenfalls eingerichtet, dafür kann man sich unter Telefon 0172/285 02 77 anmelden. Auch Bürger aus den umliegenden Stadtteilen wie Brück, Rath-Heumar, Merheim oder Ostheim sind eingeladen mitzumachen. (hwh)
www.bürgerverein-neubrück.de