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Interview mit Prof. Dr. MarschallWie ein Politologe die Wahl-Ergebnisse einordnet

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Wahlunterlagen für die Kommunalwahl 2020 (Symbolbild)

Köln – Amtsinhaberin Henriette Reker (parteilos, unterstützt von CDU und Grüne) holt 45,05 Prozent und muss in zwei Wochen in die Stichwahl gegen Andreas Kossiski (SPD, 26,77 Prozent). Die Grünen sind mit 28,52 Prozent stärkste Kraft, CDU und SPD brechen massiv ein auf rund 21 Prozent. Politikwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Marschall hat die Kölner Wahlergebnisse am Montagmorgen im Interview mit der Rundschau analysiert.

Herr Prof. Dr. Marschall, eine Umfrage sah Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Vorfeld klar vorne bei 61 Prozent. Was ist da passiert?

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Prof. Dr. Stefan Marschall

Das finde ich auch bemerkenswert. Möglicherweise gibt es den Effekt, dass solche Umfragen sich auswirken, nach dem Motto:

Wenn eine Kandidatin einen solch klaren Vorsprung hat, steigt nicht unbedingt die Motivation, sie zu wählen. Auffällig ist auch, dass ihr stärkster Widersacher, Andreas Kossiski von der SPD, davon kaum profitieren konnte, sondern eher andere Kandidaten das nutzen konnten.

Reker ist eine parteilose Kandidatin unter anderem der Grünen, die massiv zugelegt habe, zudem hätte sie als Amtsinhaberin einen Bonus haben können. Warum verliert Reker im Vergleich zu 2015 (52,66 Prozent) sogar an Zustimmung?

Das ist in der Tat nur schwer zu erklären. Ich denke, es hängt wirklich damit zusammen, dass sie im Vorfeld schon als klare Siegerin galt, das hat sie Stimmen gekostet. Denn eine echte Wechselstimmung ist in Köln ja nicht auszumachen.

Hat Reker Fehler gemacht?

Kein Mensch macht keine Fehler. Die Corona-Krise hat die kommunalen Verantwortungsträger stärker in den Mittelpunkt gerückt und da hat Köln nicht schlechter abgeschnitten als andere Städte. Daran kann es nicht gelegen haben.

Was heißt das für die Stichwahl?

Rekers Abstand zu Kossiski ist sehr deutlich und riesengroß. Es ist rein rechnerisch nur sehr schwer vorstellbar, dass Kossiski das noch aufholt. Der Abstand liegt ja bei rund 20 Prozent.

Ohne die Grünen geht in Köln nichts, sie sind klarer Wahlsieger, stärkste Kraft im neuen Stadtrat. Überrascht das überhaupt noch?

In dieser Deutlichkeit schon, ja. Dass die Grünen einen Lauf haben, war klar, aber das Ergebnis in Köln mit knapp 29 Prozent ist schon sehr bemerkenswert. Köln ist jetzt eine grüne Stadt.

Das heißt aber auch, die Zeit der Ausreden für die Grünen ist vorbei.

Na klar, jetzt müssen zeigen, was sie können. Sie können nun nicht mehr andere verantwortlich machen. Aber sie brauchen auch weiterhin Bündnispartner.

Die CDU bricht stark ein auf rund 21,5 Prozent. Warum?

Die CDU ist im Stadtrats-Bündnis mit den Grünen unsichtbarer geworden. Sie hat es nicht geschafft, den Wählern zu vermitteln, dass sie ein Teil der Regierung und auch Oberbürgermeister-Partei ist.

Was heißt das für Schwarz-Grün?

Zunächst mal, dass es künftig Grün-Schwarz heißt – wenn das Bündnis weiter besteht. Rein rechnerisch könnte das gerade so funktionieren. Aber die Rollen wären dann andere, die CDU wäre der Kellner, die Grünen der Koch. Für die CDU würde es deutlich ungemütlicher.

Ist die Opposition eine Alternative?

Manchmal ist das tatsächlich besser, als in einem Bündnis als Juniorpartner zu verkümmern. Die Partei muss nun schauen, was sie macht. Es könnte auch eine Überlegung sein, in die Opposition zu gehen und einen eigenen OB-Kandidaten langsam aufzubauen.

Die SPD jubelt mittlerweile schon über knapp 27 Prozent für ihren Kandidaten Andreas Kossiski, früher wären sie über solche Zahlen ziemlich zerknittert gewesen.

Zunächst mal jubelt sie über die Stichwahl, in die es ihr Kandidat überraschenderweise dann doch geschafft hat. Der Jubel ist eher ein Pfeifen im Walde. Es zeigt den Zustand einer Partei, die lange in Köln ziemlich bestimmend war und nun nur noch eine nachgeordnete Rolle spielt.

Der SPD geht wie es der CDU, sie verliert massiv. Warum?

Weil die SPD personelle und programmatische Probleme hat. Sie schafft es nicht mehr, die Arbeiterschaft an sich zu binden. Die Gesellschaft hat sich zudem verändert, gerade in Großstädten sammeln die Grünen das urbane Milieu auf. Und wenn die SPD beim Thema Klima punkten will, spielt das eher den Grünen in die Hand, weil die Wähler das Thema mit ihnen verbinden.

Der Rat wird insgesamt bunter mit elf Parteien und Gruppen. Wird es schwieriger, Mehrheit zusammenzubekommen?

Klar. Je mehr Parteien im Rat sind, desto schwieriger wird es. Aber auch weiterhin gibt es ja große Parteien und es werden sich Mehrheiten finden. Die vielen Parteien und Gruppierungen sind mittlerweile typisch für die Kommunalpolitik, es wird die Arbeit im Stadtrat etwas erschweren.

Volt holt aus dem Stand knapp fünf Prozent.

Ja, Volt hat eine gute Kampagne gemacht und damit gepunktet. Sie wandeln etwas auf den Spuren der Piraten-Partei, das kommt offenbar im urbanen Milieu in Köln an.

Auch die Spaßpartei „Die Partei“ hat zwei Sitze im Rat. Reicht es mittlerweile, witzige Plakate aufzuhängen und eine gute Kampagne fahren, um die etablierten Parteien zu ärgern und sich Sitze zu holen?

Ein bisschen zeigt das eben auch das Problem der fehlenden Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen. Und es macht klar, dass einige die Wahl leider nicht so ernst nehmen, wie es angebracht wäre. Meiner Meinung nach ist das zudem eine Form der Protestwahl.