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Interview mit Kölner Zoo-Chef Pagel„Werden ganzen Tierbestand durchgehen“

Lesezeit 5 Minuten
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Bedroht ist auch der weiße Balistar, den Zoochef Theo Pagel hier präsentiert. 

  1. Heute ist der internationale Tag des Artenschutzes.
  2. Über den „Artenschutzeuro“ hat der Kölner Zoo ab 2022 soviel Geld für Schutzprojekte wie noch nie.
  3. Mit Zoo-Chef Theo Pagel sprach Gabi Bossler über neue Wege im Artenschutz.

KölnSeit Februar leisten die Zoobesucher mit dem „Artenschutzeuro“ als Teil des Eintrittsgeldes einen direkten Beitrag zum Erhalt bedrohter Arten. Was haben Sie mit den zusätzlichen Einnahmen vor?

Viel. Wir prüfen gerade, wo wir in Afrika in ein Schutzprojekt für Giraffen einsteigen können. Denn wir wollen mit jedem neuen Haus ein entsprechendes Artenschutzprojekt finanziell unterstützen. Die Giraffenanlage wird bald erweitert und später in einer Savanne aufgehen, in der mehrere afrikanische Arten leben. Im Vorgriff darauf wollen wir jetzt auch etwas für den Nashornschutz tun.

Hier wird die Zeit knapp?

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Wenn es mit der Vernichtung dieser Art so weitergeht, werden die Nashörner noch zu meiner Lebzeit aussterben. In manchen Ländern erschießen Wilderer die Tiere aus der Luft, schlagen ihnen die Hörner ab und sind weg, bevor die Wildhüter vor Ort sind. Weil das Horn so extrem begehrt ist, wird unser Nashorngehege hier im Zoo auch nachts videoüberwacht.

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Auch das goldgelbe Löwenäffchen wurde im Kölner Zoo nachgezüchtet. 

Wo setzt die Hilfe an?

Bei einer besseren Ausrüstung der Ranger und Alternativen für die Wilderer. Die müssen ihre Familien ernähren, tragen ein großes Risiko. Den Profit machen Hintermänner. Wir müssen dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen ein Auskommen durch die lebenden Tieren in Reservaten haben, als Führer oder in der Tourismusbranche.

Funktioniert das?

Bei unserem Artenschutzprojekten in Vietnam etwa haben wir diejenigen als Führer angeheuert, die zuvor bedrohte Reptilien verkauft haben.

Gibt es auch neue Projekte mit heimischen Arten?

Wir wollen den bedrohten Kammmolch nachzüchten, neue Biotope anlegen und bestehende auf dem Stadtgebiet nutzen, um ihn auszuwildern. Zusammen mit den Stadtentwässerungsbetrieben, der biologischen Station Leverkusen, dem Nabu und wissenschaftlich begleitet durch Studierende der Uni Köln. Die am besten bewachten Kammmolchteiche in ganz Köln wird es im Zoo geben – in den Gehegen von Schneeleoparden und persischen Leoparden.

Artenschutz im Zoo

Auf vielfältige Weise versuchen wissenschaftlich geführte Zoos, bedrohte Tierarten zu erhalten.

205 Zuchtprogramme von Tieren aus aller Welt unterstützt der Zoo durch eigene Nachzuchtbemühungen oder Wissenstransfer. Mit Hilfe von Zuchtbüchern können genetisch variable und überlebensfähige Bestände nachgezüchtet werden.

Von Köln aus wurden unter anderem das hochbedrohte Philippinenkrokodil, Balistare, Moorenten, Vietnamesische Krokodilmolche, Przewalskipferde, Wechselkröten und Löwenäffchen in ihren ursprünglichen Lebensräumen ausgewildert.

Forschung in Zoos und im Freiland ist Teil der Artenschutzbemühungen. Das in Zoos erworbene Wissen ist bedeutend für das Gelingen von Nachzuchten und Auswilderungen. Auch Studierende der Uni Köln werden in die Artenschutzarbeit unmittelbar einbezogen.

111 neue Arten hat Thomas Ziegler, Kurator für Fische und Reptilien, zumeist in Vietnam entdeckt. Auch ihre Lebensräume versucht der Zoo durch Projekte vor Ort so gut wie möglich zu schützen.

Besucher sensibilisieren: Mit dem Artenschutzeuro am Eingang werden Tierfreunde auf das zentrale Anliegen aufmerksam gemacht. Durch einen ansprechende Präsentation der Tiere in naturnahen Lebensräumen will der Zoo seine Gäste für deren Schutz begeistern. (bos)

Manche Säugetierarten haben einen großen Platzbedarf und können nicht ausschließlich in Zoos erhalten werden...

Alle Arten, die riesige Flächen benötigen, müssen wir vor allem in ihrem Lebensraum schützen. Wir haben in Zoo und Aquarium relativ viele kleinere bedrohte Arten, die wir mit relativ wenig Aufwand züchten können. Auch wenn sich unterschiedliche Arten einen Lebensraum teilen – wie etwa im Hippodom oder dem Arnulf-und-Elizabeth-Reichert-Haus – erleichtert uns das die Arbeit.

Schützt man lieber zehn kleine Arten oder eine große?

Das ist immer eine schwierige Entscheidung. Wir sind ja quasi der Mann von der Arche, der sagt „Du kommst drauf und Du nicht“. Ein Kriterium ist: Wenn eine Art viele Unterarten hat, ist sie als schwächer schützenswert einzustufen als eine, bei der es nur eine einzige Unterart gibt. Bei 20 Hektar Zoofläche kann ich eher 50 kleine Arten dazunehmen als drei große Säugetierarten. Und dann kommt es auch auf die Expertise an; wir haben etwa eine Superexpertise im Fisch- und Reptilienbereich.

In Sachen Artenschutz-Expertise haben Sie ja gerade Verstärkung bekommen...

Unsere neue Kuratorin für Huftiere und Primaten, Dr. Johanna Rode-Margono, war zwei Jahre bei der Stiftung Artenschutz tätig, die kleinere Zoos begleitet. Jetzt ist unser Wissenschaftsteam komplett. Wir werden unseren ganzen Tierbestand durchgehen und überlegen, bleibt diese Antilopenart im Zoo oder ersetzen wir sie durch eine höher bedrohte, bei der der Zoo auch in einem Artenschutzprojekt mitarbeiten kann. Und auch überlegen, wie wir bei unseren Schwerpunkten wie etwa Mittelamerika mehr tun können.

Stehen alle Arten zu Disposition?

Unsere Hauskamele bleiben, das ist sicher. Die Elefanten auch. Und Hennes. Egal in welcher Liga er spielt.

Wieviel kommt durch den Artenschutzeuro, der mit der Erwachsenen-Tageskarte erhoben wird, im Jahr zusammen?

Zwischen 300 000 und 400 000 Euro ganz sicher. Wenn wir an die guten Jahre vor Corona anknüpfen, könnte es auch eine halbe Million Euro werden. Und das Geld ist zweckgebunden.

...ausschließlich für externe Artenschutzmaßnahmen?

Ja, die Flugreisen der Kuratoren zu unseren Projekten oder interne Forschungen zahlen wir aus dem Zoo-Etat.

Bleibt der alte Artenschutz-Etat von rund 180 000 Euro pro Jahr erhalten?

Wenn die wirtschaftliche Situation des Zoos es zulässt, können wir auch über den Artenschutzeuro hinaus etwas dazugeben. Unsere Kuratoren sind sehr gut vernetzt, wir finden immer sinnvolle Projekte.

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Gibt es auch Überlegungen für ein „Besucherzentrum Artenschutz“, wie es der Zoo in Leipzig hat?

In die Richtung arbeitet unser Team der Zooschule schon. Allerdings werden wir die Informationen im Laufe der nächsten ein, zwei Jahre an verschiedenen Stellen im Zoo präsentieren. Auch bei den öffentlichen Fütterungen sollen die Besucher mehr darüber erfahren, was sie für den Artenschutz tun können. Etwa, Zoos bei der wichtige Aufgabe zu unterstützen, die Lebensräume bedrohter Arten zu schützen. Denn nur so haben die Bemühungen um Nachzuchten bedrohter Arten langfristig wirklich Sinn.