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Blick in die GeschichteWie die Kölner allem zum Trotz Karneval feiern

Lesezeit 6 Minuten
Tanzmariechen historisch

Die Uniform der Tanzmariechen hatte sich erstaunlich gut gehalten. 

  1. Keine Umzüge, keine Bälle, viel Raum für Spontanes: Die Pandemie bestimmt erneut das Sessionsgeschehen.
  2. Findet der Karneval so zurück zu seinem Ursprung?

Köln – Am Anfang war das Chaos. Das Unorganisierte. In kleinen Gruppen liefen die Menschen maskiert durch die Straßen. Im Mittelalter genossen sie wild und allen kirchlichen Verboten zum Trotz die „Fastnachtsfreuden“. Im 18. Jahrhundert feierten die armen Bürger auf den Straßen und den Spelunken, während der Adel auf Masken- und Kostümbällen tanzte. „Man kann den Menschen den Karneval nicht verbieten“, sagt der Historiker und Karnevalsforscher Michael Euler-Schmidt. „Er hat immer einen Weg gefunden, sich neu zu erfinden – egal, wie die Zeiten waren.“

Wie Ordnung in das Chaos kam – zumindest ein wenig

Ein scheinbare Ordnung ins Chaos brachte das Jahr 1823. Das war die Geburtsstunde des Rosenmontagszuges. Der führte damals rund um den Neumarkt, die Menschen saßen auf den Dächern und sahen zu. „Das war alles noch sehr improvisiert“, sagt Euler-Schmidt. Und das Unorganisierte blieb – auch, als das Festkomitee entstand und es Vereine gab, die allem Ordnung und Struktur gaben. Auch als Gremien den Ablauf der Feiern bestimmten und Garden das Militär auf die Schippe nahmen und dabei trotzdem so etwas wie Ordnung brachten. „Die kleinen Umzüge, das Feiern auf den Straßen, den Kneipenkarneval – das hat es weiter gegeben.“ Egal wie die Zeiten waren.

Auch in den Kriegstrümmern wurde gefeiert

Der Kölner feiert eben Karneval – allem zum Trotz: Als die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern lag, zogen die Menschen eben durch die Ruinen der Stadt. Mit ihnen Löwen und Elefanten aus dem Zoo. Vor den eingefallenen Häusern tanzten sie. Ein paar Funken Hoffnung mitten im Chaos.

Lachende Karnevalisten nach dem Krieg

Trotz Trümmern hatten einige ihr Lachen nicht verlernt.

Und wenn eine weltweite Pandemie dafür sorgt, dass ganz Köln zu einer „Brauchtumszone“ wird, die großen Karnevalssitzungen ausfallen müssen und der Rosenmontagszug skurrilerweise durch das Rheinenergiestadion zieht? „Dann erleben wir eben wieder einen etwas urtümlicheren Karneval – wie vor 1823“, sagt Euler-Schmidt. Ohne die Sitzungen und die großen Shows werde der Karneval wieder so, wie er einmal war. Kein großes Bohei mit Prinzen und Gefolge. „Es gibt kleinere Formate, Veranstaltungen in den Veedeln, die Menschen feiern auf der Straße.“

Karneval historisch Elefant

Tierische Zugteilnehmer fanden ihren Weg in den Zug. 

Das sei auch gut so, sagt Euler-Schmidt. „Vor der Pandemie war es einfach zu viel. Man ist von Sitzung zu Sitzung geeilt. Man könnte fast sagen, wir waren überfeiert.“ Mit dem Wegfall der großen Veranstaltungen und Züge sei nun wieder die Zeit für Entdeckungen. „Jetzt setzt man sich an Weiberfastnacht die Pappnase und die Maske auf, tritt auf die Straße und schaut einfach mal, was passiert.“ Es sei gut, den Blick wieder auf die Grundfeste des Karnevals zu richten. „Nicht auf die Saufenden, sondern auf die Musik, die Lieder, unsere Figuren und das Brauchtum.“

Und das braucht der Mensch, sagt Wolfgang Oelsner, den manche „den Karnevalspsychologen“ nennen. Der Kinder- und Jugendpsychologe beschäftigt sich neben dem Beruf intensiv mit dem Karneval. Er sagt: „Diese Auszeit vom Alltag, das Hineinschlüpfen in eine andere Rolle, die Welt als Spielfeld – all das tut uns gut.“

Die Neuentdeckung der Anfänge ist auch möglich

Aber geht das in einem durch Corona-Auflagen reglementierten Karneval überhaupt? „Ja“, sagt Oelsner. „Natürlich ist das kein Ersatz fürs große Ganze, aber die Situation in diesem Jahr gibt uns einen Wink für das, was im Laufe der Zeit verloren ging.“ Das seien eben die kleineren Veranstaltungen, die Suche nach kreativen Lösungen. „Wir haben in den letzten beiden Jahren gesehen, wie der Karneval seinen Weg gefunden hat, trotz Pandemie gefeiert zu werden. Da wurden neue Konzepte aus dem Boden gestampft und andere Formate entwickelt.“ Auch er sagt: „Der Karneval lebt davon, sich neu zu erfinden. Vieles davon kann übernommen werden.“

Und genau das sei der Unterschied zwischen einem Event, wie der Karneval manchmal inszeniert werde, und einer Brauchkultur. „Die Brauchkultur hat ein Vorher und ein Nachher – und in der Mitte passiert was.“ Und das könne eben auch eine Neuentdeckung seiner selbst sein – wie in den Anfängen, wo der Karneval der Anarchie frönte. Ob er glaubt, dass der Karneval heute sein anarchisches Element verloren hat? „Heute geht es vor allem um die Anarchie mit sich selbst. Man wird jemand anders, testet seine Grenzen aus und probiert Dinge, die man im Alltag vielleicht nicht tut.“ Und natürlich sei der Karneval immer noch ein Spiegel des gesellschaftlichen Stimmungsbildes gegenüber der Politik. Sei es die Parodie auf die Uniformen des Militärs, die Reden auf den Sitzungen oder die Persiflagewagen im Rosenmontagszug. Das sei auch oder gerade in Pandemiezeiten nicht verloren gegangen.

Corona bedeutet zwar Frust, aber kein Trauma

Mit einer großen Eskalation an Weiberfastnacht nach zwei Jahren Feierpause rechnet Oelsner allerdings nicht. Die Coronazeit habe die Leute sicherlich frustriert – „aber ein Trauma ist das nicht.“ Er rechnet mit einem kontrollierten Kontrollverlust, nicht mit Eskalation. „Es ist ein gutes Zeichen, zu sagen: Ja, wir haben hier jetzt diese Situation, aber wir machen es trotzdem. Genau das macht ja einen Hochburg wie Köln auch aus. In diesem Sinne kann man sagen: Alles hat seine Zeit – und jetzt ist Karneval.“

Für Viele macht genau dieses unorganisierte Losziehen, ohne festen Plan, ohne Zeit und festgelegte Wege den Karneval aus. Der Kabarettist Jürgen Becker feiert jedes Jahr genauso mit seinen Freunden. „Man trifft sich in der Kölner Südstadt, dann gibt es eine Hühnersuppe, damit der Magen mit Fett ausgekleidet wird, und dann geht es los.“ In die Kneipen reinzukommen ist ohnehin schwer, in Corona-Zeiten noch dazu risikobehaftet. Also trifft man sich am Platz „An der Eiche“ und schaut, was passiert. „Das Unorganisierte ist doch gerade das Schöne“, sagt Becker. Rituale seien wichtig, aber es sei toll, die Dinge einfach laufen lassen zu können. „Es wird bestimmt viel passieren auf den Straßen.“

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So wie 1991. Da fiel der Rosenmontagszug aus, weil am Golf Krieg herrschte. Becker, damals Präsident der Stunksitzung, organisierte einen Traktor von einem Bauern aus Frechen, für den er früher Rüben gefahren hatte. Auf dem Hänger fuhren die Musiker von Köbes Underground mit, das Motto: „Kein Blut für Öl(lisch)!“ Tommy Engel stieg auf der Severinstraße zu und sang „En unserem Veedel“. Dieser spontane Zoch ist längst Legende. Zig Jecken schlossen sich im dichten Schneegestöber an, Becker traf auf den damaligen Chef des Festkomitees, Gisbert Brovot, und fragte: „Gisbert, wo ist denn jetzt der Zugweg?“

„Es war ein Vakuum entstanden, da haben wir gesagt: Wir machen einen Wagen, wir machen einen Zug.“ Jeder habe damals gespürt, es passiert etwas Besonderes, sagt Becker. Tausende folgten am Ende dem Spontan-Zoch. Diese Bereitschaft sei vielleicht ähnlich hoch heute: „Wenn der Karneval fehlt, gerät der Psychohaushalt des Kölners schwer durcheinander.“ Also nimmt er sich den Karneval. 1991 ist auch der Geisterzug entstanden. Noch so eine spontane Bewegung, die längst ihren festen Platz im Brauchtumskalender hat. Auch die Geister ziehen nicht los in dieser Session, aber wer sagt denn, dass es nicht einige spontan tun? Oder dass sich nicht eine andere jecke Gruppe findet, die in 30 Jahren eine ähnliche Geschichte erzählen kann.