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Interview mit Kölner Mediziner„Bis Ostern müssen wir durchhalten“

Lesezeit 5 Minuten

Plädiert für eine harte Bremse spätestens an Weihnachten: Michael Hallek fürchtet den Kollaps des Gesundheitswesens.

  1. Die Zahl der Neuinfektionen steigt, Ärzte und Pfleger arbeiten an der Belastungsgrenze.
  2. Die Lage ist sehr ernst , sagt Prof. Michael Hallek, Direktor für Innere Medizin der Uni-Klinik.
  3. Im Gespräch mit Diana Haß fordert er einen harten Lockdown.

Als Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina gehören Sie zu den Experten, die von der Politik einen harten Lockdown fordern. Warum?Prof. Michael Hallek: Die Situation ist brisant und sehr ernst. Die bisherigen Maßnahmen waren nicht ausreichend. Die Zahl der Neuinfektionen sinkt einfach nicht. Die Krankenhäuser arbeiten seit Wochen an der Belastungsgrenze. Wenn wir nach den Weihnachtsferien noch mehr Neuinfektionen haben würden, dann droht dem Gesundheitswesen der Kollaps. Man muss es so drastisch formulieren: Wir wollen keine Bilder haben wie in Italien oder New York, wo man im Minutentakt die Särge aus den Krankenhäusern trug. Das müssen wir unter allen Umständen vermeiden. Diese Ernsthaftigkeit der jetzigen Situation hat meines Erachtens ein großer Teil der Bevölkerung leider noch nicht verstanden. In den Krankenhäusern arbeiten wir seit Wochen am Anschlag.

Zur Person

Professor Michael Hallek (61) leitet den Pandemie-Stab der Uniklinik Köln. Er ist Direktor der Klinik I für Innere Medizin der Uniklinik Köln und des Centrums für Integrierte Onkologie (CIO) Aachen Bonn Köln Düsseldorf. Hallek ist Internist mit Schwerpunkt internistische Onkologie und molekulare Hämatologie (Bluterkrankungen) und erhielt zahlreiche Auszeichnungen für seine Arbeit.

Im Jahr 2011 wurde er als Mitglied in die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina gewählt. (dha)

Wie äußert sich die angespannte Lage in Ihrer täglichen Arbeit?

Wir können schon jetzt nicht mehr jeden Noteingriff zeitnah versorgen. Wir haben beispielsweise letztes Wochenende händeringend ein Intensivbett gesucht für einen Patienten mit einer Blutung aus dem Magen-Darmtrakt. Den haben wir dann lange in der Notaufnahme versorgen müssen. Manchmal können wir Patienten nicht aufnehmen, die eine dringende Operation benötigen. Dann versuchen wir, sie hier in der Region weiterzuleiten. Es geht zurzeit hoffentlich immer gerade noch gut. Aber ich habe kein gutes Gefühl. Man weiß jetzt schon: Viel geht da nicht mehr. Dazu kommt ja, dass das Personal „ausbrennt“. Viele Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte arbeiten an der Belastungsgrenze. Das kann man nicht mehrere Monate durchhalten.

Was spricht für einen harten Lockdown?

Wir haben derzeit jeden Tag 300 bis 500 Tote – und zwar vermeidbare Tote. Covid-19 ist eine Krankheit, die kann man vermeiden. Es gibt Länder, die haben kein Covid-19 mehr. Wir können nicht einfach hinnehmen, dass es in einer Woche mehr Tote durch Coronavirus gibt als Verkehrstote in einem ganzen Jahr. Bei 3000 Verkehrstoten im Jahr sagen wir zu Recht, das müssen weniger werden. Da können wir nicht einfach sagen, dass 3500 Covid-Tote pro Woche normal sind. Der Vorschlag ist also, noch einmal hart zu bremsen. So schnell wie möglich, spätestens aber an Weihnachten, wo das öffentliche Leben in Deutschland sowieso etwas runterfährt und das dann leichter durchzusetzen ist.

Was ist die Perspektive?

Wir müssen alles daransetzen, nach dem leider notwendigen Lockdown die Pandemie zu beherrschen. Und nicht: uns von der Pandemie beherrschen zu lassen. Da müssen wir jetzt vorausplanen. Wenn die Fallzahlen wieder unter 50 oder besser 35 pro 100 000 wöchentlich sind, können und müssen wir die Einzelfälle wieder wirksam verfolgen. Wichtig wäre dann eine wirksame Einzelfallisolierung – anstelle der jetzigen Maßnahmen, welche die ganze Gesellschaft betreffen. Wir machen ja jetzt gewissermaßen eine Gesamtquarantäne, also einen tiefen Eingriff in bürgerliche Freiheiten aller. Die muss ersetzt werden durch eine wirksame Einzelquarantäne.

Was müsste sich ändern?

Man muss darüber nachdenken, die digitale Verfolgung von Kontakten auf freiwilliger Basis zu erlauben. Ich weiß, dass es da Datenschutz-Bedenken gibt, aber es ist lösbar. Möglich wäre auch, die Quarantäne deutlich strenger zu handhaben. Das heißt: Das Gesundheitsamt kontrolliert. Das muss umfassend, mit Mut und Klarheit angepackt werden, damit es nicht immer wieder von vorne losgeht.

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Wann sehen Sie Licht am Horizont?

Wenn wir die Infektionszahlen senken und dann nach dem Reset das Infektionsgeschehen wirksam kontrollieren, dann können wir langsam wieder mehr Leben erlauben. Ich denke, bis Ostern müssen wir durchhalten. Und dann helfen auch die Impfungen, die ja zum Jahreswechsel beginnen. Und danach beginnt eine bessere Zeit.

Was ist Ihrer Meinung nach an diesem Weihnachten möglich?

Die geplanten Lockerungen über das Weihnachtsfest wären aus meiner Sicht unverantwortlich. Im Privaten kann man natürlich Weihnachten begehen. Mit kleinen Festen. Aber von Feier zu Feier zu pendeln, wäre unverantwortlich. Und eine große Party zu Silvester geht einfach nicht.

Aber Oma und Opa könnten Heiligabend kommen, wenn man vorher in Selbstquarantäne geht?

Ja. Man kann sich fünf bis sieben Tage zurückziehen und niemand treffen. Das wäre eine Möglichkeit.

Inzwischen weiß man mehr über Covid 19. Langzeitfolgen sind immer häufiger im Gespräch.

Dazu machen wir an der Uniklinik gerade eine sorgfältige Erhebung. Wir schätzen zehn bis 25 Prozent der Patienten haben Langzeitfolgen, teilweise über viele Monate. Dazu gehören zum Beispiel Müdigkeit, reduzierte Leistungsfähigkeit, oder die Patienten fühlen sich wie benebelt, „Brain Fog“ hat Dr. Fauci das genannt. Sie sind teilweise desorientiert. Andere Patienten entwickeln Autoimmunkrankheiten, anhaltende Atemnot, anhaltende neurologische Symptome inklusive Geruchs- und Geschmacksverlust.

Weiß man, ob das reversibel ist?

Das weiß man noch nicht. Es gibt bisher Verläufe, wo es auch nach zehn Monaten nicht verschwindet. Und was besonders neu und bedrückend ist, ist dass es nicht nur Menschen betrifft, die einen schweren Verlauf hatten. Langzeitfolgen betreffen auch Menschen, die zunächst nur eine leichte Infektion haben und erst später Symptome entwickeln. Es gibt Spätsymptome auch bei Menschen, die am Anfang scheinbar eine komplett harmlose Infektion hatten. Auch bei jüngeren. Covid-19 ist ein neues Krankheitsbild mit Verläufen, die wir in dieser Form noch nie gesehen haben.

Wie ist die aktuelle Situation in der Uniklinik?

Wir behandeln seit Wochen zeitgleich zwischen 25 bis 40 Intensivpatienten mit Covid-19. Zurzeit auf vier Intensivstationen. Was Wenige wissen: Wir behandeln viele relativ junge Patienten. Es ist eben nicht so, wie es oft falsch verstanden wurde, dass wir ausschließlich sehr alte Patienten beatmen. Das Durchschnittsalter unserer Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen der Uniklinik liegt knapp über 60 Jahren. Die haben normalerweise noch ein gutes Stück Leben vor sich.