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„Das andere Gespräch“„Ich bin Ossi durch und durch“ – FC-Trainer Steffen Baumgart über Heimat

Lesezeit 6 Minuten
Steffen Baumgart, Trainer des 1. FC Köln, sitzt auf einer Bank am Geißbockheim.

Steffen Baumgart, Trainer des 1. FC Köln

In unserer Reihe „Das andere Gespräch“ redet FC-Trainer Steffen Baumgart über Heimat. Er erzählt, wie es ihm als Kind in der DDR ging und was ihn an Wahlerfolgen radikaler Parteien ärgert.

Das Gespräch findet am Geißbockheim in der Mittagszeit statt. Steffen Baumgart hat sich ein Brot bereit gestellt, doch wenn der Coach einmal ins Reden kommt, bleibt keine Zeit zum Essen. Mit ihm sprach Jens Meifert.

Herr Baumgart, lassen Sie uns über Heimat sprechen. Sie kommen aus Rostock. Gibt es einen Ort, der Ihnen besonders wichtig ist?

Rostock ist meine Geburtsstadt und wird immer meine Heimat sein. Wenn Sie in Rostock-Warnemünde sind oder in der Altstadt, wenn Sie sehen, wie sich die Stadt entwickelt hat, ist das einfach schön. Meine ganze Familie ist noch da. Ich gehöre irgendwo in den Norden, auch wenn Berlin meine Wahlheimat geworden ist.

Sie sind 1972 geboren und in der DDR groß geworden. Als die Mauer fiel, waren Sie 17 Jahre alt. Sie haben mal gesagt,ich habe in der DDR eine tolle Kindheit und super Jugend gehabt.

Genauso ist es. Und ich glaube, das war bei den meisten Menschen im Osten so. Es gab viel Mangel, das stimmt, aber die Menschen haben sich behütet gefühlt. Sie hatten eine Arbeit, eine Wohnung, und aus dem Hahn kam warmes Wasser.

Wie ging es bei Ihnen zuhause zu?

Mein Vater war Angestellter und meine Mutter hat im Centrum Warenhaus gearbeitet, 45 Jahre in einem Unternehmen. Ich hatte über den Sport natürlich tolle Möglichkeiten.

Die Ferienlager haben Sie genossen?

Klar. Es war wie drei Wochen Klassenfahrt. Man hat immer neue Kinder kennengelernt, man geht schwimmen oder rudern, Tischtennis spielen, das ist wahrscheinlich viel lustiger, als den ganzen Tag mit den Eltern abzuhängen. Heute werden ja alle schon nervös, wenn ihre Kinder mal zwei Tage allein unterwegs sind. Mal war ich im Sommer in der Sächsischen Schweiz oder auch bei uns an der Ostsee, da war das Ferienlager von dem Warenhaus meiner Mutter. Das lief alles über die Betriebe. Und wenn ich zurückkam, ging es für mich auch noch ins Trainingslager. Da habe ich dann den ganzen Tag Fußball gespielt. Geht eindeutig schlechter.

Hatte Sie mit der Wende Angst, Ihre Heimat zu verlieren?

Es hat sich auf jeden Fall alles aufgelöst. Und mit dem ganz großen Jubel hatte ich Probleme. Es war ja klar, dass nicht alles besser wird, und so war es dann auch. Die Hälfte der Leute war plötzlich arbeitslos und die Betriebe dicht. Und es liefen auch ein paar krumme Dinger, die Autos, die im Osten verkauft wurden und plötzlich nicht mehr fuhren.

Was haben Sie zu der Zeit gemacht?

Ich war in der Ausbildung als Instandsetzungsmechaniker.

Was machte man da?

Maschinen instand setzen. Wir haben sie repariert und nicht ausgetauscht. Das war ein Beruf, den es hier gar nicht gab. Ich bin mit der Wende fertig geworden und dann war der Abschluss wertlos. Aber ich hatte den Fußball und habe über die Schiene dann auch eine andere Ausbildung als Kfz-Mechaniker machen können. Aber viele andere hatten keinen Job mehr.

Für Sie ist es gut gelaufen.

Hätte nicht besser sein können. Für mich hat die Wende nur Vorteile gebracht. Ich jammere auch nicht alten Zeiten hinterher, bitte nicht falsch verstehen. Viele Dinge wie das Reisen wurden möglich, und erst danach ist mir klar geworden, was alles gefehlt hat. Aber mit 17 habe ich es eben noch nicht vermisst.

Heute wird unglaublich viel in West-und Ost-Kategorien diskutiert. Über Vorteile und Benachteiligungen. Warum eigentlich?

Wir haben 33 Jahre gebraucht, um die Renten in Ost und West auf ein Niveau zu bekommen, das ist jetzt gerade passiert. Das sagt alles. Und in Ostdeutschland wird in fast allen Berufen immer noch zehn bis 20 Prozent weniger verdient. Die Infrastruktur hinkt in vielem hinterher. Ist doch klar, dass sich da Menschen nicht abgeholt fühlen. Dennoch denke ich: Wir sind verantwortlich. Wie wir reden, wie wir miteinander umgehen. Sie haben zum Beispiel vorhin zu mir gesagt, ich käme aus Ostdeutschland.

Stimmt nicht?

Ich komme aus der ehemaligen DDR, bin in Mecklenburg-Vorpommern geboren und lebe heute in Deutschland. Deswegen bin ich immer noch Ossi durch und durch und fühle mich auch so. Aber wir reden doch selbst immer von Ost- und Westdeutschland. Manchmal machen auch sprachliche Nuancen etwas aus.

Die ostdeutsche Identität wird aber gerade im Osten selbst stark betont.

Es kommt auf jeden Fall auf beide Seiten an, überhaupt wird mir zu viel gejammert. Es gibt kaum ein anderes Land mit diesen Chancen. Jetzt kann ich natürlich leicht reden, weil ich Bundesligatrainer bin. Aber ich war es auch 20 Jahre nicht und habe fast eine Privatinsolvenz hingelegt. Wir wissen gar nicht, was wir hier für ein Glück haben.

Viele Menschen fühlen sich von der Politik nicht mehr abgeholt, das spiegelt sich auch in den Wahlergebnissen wider. Macht Ihnen das Angst?

Wenn radikale Kräfte stärker werden, ist das nie gut. Da müssen sich alle die Frage stellen, wie es dazu kommt? Von den etablierten Parteien ist es zu einfach zu sagen: Die Menschen wählen die Falschen. Ich habe das Gefühl, dass sie nicht mehr richtig ernst genommen werden. Schauen Sie doch mal hier in Köln. Wir beschließen was (FC-Ausbau im Grüngürtel/Anm d. Red.), und das gilt dann nicht mehr, weil wir irgendwo zwei Frösche finden.

Wo ist denn für Sie heute Heimat?

Heimat ist da, wo ich mich wohlfühle. Wo ich zufrieden bin und angenehme Menschen um mich herum habe. Das war in Paderborn so, das ist in Köln so, wo ich mich auch heimisch fühle. Aber wir wollen ehrlich sein: Auch meine Zeit als Trainer des FC ist endlich, sie wird irgendwann vorbei sein. Und dann wird es langfristig Berlin sein, Köpenick, wo ich eine zweite Heimat neben meiner Geburtsstadt habe.

Was machen Heimatgefühle in Ihnen?

Ich bin einer der Menschen, der zufrieden mit dem ist, was er hat. Meine Frau ist jetzt hierhin gezogen, weil unsere Tochter in Australien ist und da wohl auch noch länger bleiben wird. Unser Sohn ist 24, der ist erwachsen und studiert, unsere große Tochter geht ihren Weg. Insofern müssen wir nicht mehr pendeln. Mein Lebensmittelpunkt ist hier in Köln. Und wenn meine Frau bei mir ist, ist sowieso alles gut.

Versuchen Sie, überall Wurzeln zu schlagen wo es sie hinverschlägt?

Schon. Ich habe immer noch Kontakt zu meinem Stammtisch in Paderborn. Auch wenn ich nicht mehr so viel Zeit habe, persönlich dabei zu sein.

Haben Sie zum Abschluss noch einen Ostseetipp? Doch noch einen Lieblingsort?

Prerow auf dem Darß. Das ganze Fischland ist natürlich schön und kann ich immer empfehlen, aber Prerow ist der schönste Ostseestrand, den man haben kann.