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Interview mit Christian Joisten„Köln braucht eine Taskforce für Schulbau und Wohnen“

Lesezeit 7 Minuten
Joisten bei der Rundschau

Christian Joisten, Fraktionschef der Kölner SPD und Ratsmitglied

  1. Christian Joisten (49) ist Vorsitzender der SPD-Fraktion im Stadtrat, die bei der Kommunalwahl zweitstärkste Kraft wurde.
  2. Im Gespräch mit der Rundschau spricht er über Wohnungsnot, Kritik am Ratsbündnis und den Wandel in der Kölner SPD.

In Umfragen zur Bundestagswahl dümpelt die SPD derzeit bei 14 bis 16 Prozent. Hat Olaf Scholz überhaupt noch eine Chance, Kanzler zu werden?

Natürlich! Olaf Scholz ist sehr gut aufgestellt. Er kann Kanzler, trifft bei den Menschen auf viel Zustimmung. Wenn man den Umfragen Glauben schenkt, liegt Olaf Scholz im direkten Vergleich zu beiden Mitbewerbern vorne.

Wie viele Wahlkreise gewinnt die SPD bei der Bundestagswahl?

Wir kämpfen in jedem einzelnen Wahlkreis um den Sieg. Mit unserem starken Kanzlerkandidaten Olaf Scholz haben alle Kandidatinnen und Kandidaten Chancen, in ihren Wahlkreisen siegreich zu sein. Egal ob Karl Lauterbach in Mülheim und Leverkusen, Rolf Mützenich im Kölner Norden, Sanae Abdi im Osten und auch Marion Sollbach im Südwesten.

Die Grünen sitzen der SPD ja inzwischen überall im Nacken. Wie sehr fürchten Sie diese Partei?

Grün ist vielleicht im Moment ein trendiges Lebensgefühl, das diese Partei ein Stück weit zum Ausdruck bringt. Alle sind für mehr Klimaschutz, wollen sich aber in ihrem persönlichen Leben nicht einschränken – wie zum Beispiel der SUV-fahrende Grünen-Wähler in Lindenthal. Doch vielen wird so langsam klar, was „Grün“ bedeutet, wenn es um konkrete Politik geht. Nehmen wir das Beispiel Schulbau. Da haben die Grünen im Stadtbezirk Lindenthal in den letzten Jahren alles verhindert. Und nun gab es in diesem Jahr genau in diesem jetzt „grünen“ Stadtbezirk dramatisch zu wenig Schulplätze. Diese Zusammenhänge werden wir deutlich machen und zeigen, welche Alternativen die SPD anbietet.

Das klingt, als wäre Klimaschutz für Sie ein vorübergehendes Thema. Aber es wird uns doch auf Jahrzehnte begleiten...

Ja, und zwar zu Recht. Die SPD hat gute, zielgerichtete und sozialverträgliche Antworten zum Klimaschutz. Und zwar nicht erst, seit Olaf Scholz das zum Wahlkampfthema gemacht hat. Wenn es nach SPD-Umweltministerin Svenja Schulze gegangen wäre, hätte das Bundesklimaschutzgesetz ganz anders ausgesehen. Dann hätte das Verfassungsgericht es auch nicht kippen müssen. Beim Klimaschutz hat die CDU gebremst, nicht die SPD.

Die Grünen reden neben dem Klima immer mehr von sozialer Gerechtigkeit. Kapern sie jetzt den Markenkern der SPD?

Nein, sie versuchen, umzuetikettieren, weil sie erkannt haben, dass sie mit Öko-Fundamentalismus nicht die Mehrheit der Wähler gewinnen können. In Deutschland gibt es nur eine Partei, die glaubhaft für soziale Gerechtigkeit steht. Was mich zuversichtlich stimmt: Soziale Kompetenz trauen die Menschen in Umfragen am ehesten der SPD zu. Wir sind die Partei, die die Dinge sozial ausgestalten kann. Also auch den Klimaschutz.

Annalena Baerbock will Kurzstreckenflüge verteuern. Sollte es noch Inlandsflüge geben?

Je weniger Flüge es gibt, desto besser fürs Klima. Das setzt allerdings eine entsprechende Schienen-Infrastruktur voraus. Der Großraum Rhein-Ruhr/Main ist bereits so gut mit der Bahn erschlossen, dass wir da kein Flugzeug mehr brauchen. Wenn Sie aber an einem Tag von Köln nach Berlin und zurück müssen, ist das mit der Bahn in vertretbarer Zeit nicht zu schaffen. Da müssen wir die Schiene massiv ausbauen. So funktioniert gute Klimaschutzpolitik.

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In der letzten Wahlperiode war die Kölner SPD lange Zeit zutiefst zerstritten und mehr mit sich selbst beschäftigt als damit, Inhalte zu vermitteln. Dauern diese Konflikte an?

Das war damals eine schwierige Phase und sicher keine Glanzleistung. Da gibt es nichts zu beschönigen. Seit der Kommunalwahl haben wir das hinter uns gelassen. Die neue Fraktion steht geschlossen hinter dem Ziel, die inhaltliche Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen und auf öffentliche Konfliktaustragung, wie es sie in der Vergangenheit gegeben hat, zu verzichten.

Wie steht es um Ihr Verhältnis zur Parteivorsitzenden, das ja bereits als zerrüttet galt?

Christiane Jäger und ich wollen beide, dass die SPD nach vorne kommt, bei der nächsten Kommunalwahl wieder stärkste Kraft im Rat wird und die nächste Oberbürgermeisterin oder den nächsten Oberbürgermeister stellt. Das funktioniert nur, wenn wir geschlossen sind und gemeinsam an den Themen arbeiten. Unsere Zusammenarbeit funktioniert auf der Basis dieser gemeinsamen Zielsetzung sehr gut.

Wie will die SPD nach dem schwachen Ergebnis der letzten Kommunalwahl die Wähler 2025 wieder überzeugen?

Wir legen jetzt die Grundlagen dafür, dass 2025 wieder mehr Menschen in Köln der SPD das Vertrauen schenken. Weil sie wissen: Die SPD ist die Partei, die sich um sie und ihre realen Probleme kümmert. Wir werden wieder verstärkt zu den Menschen in die Veedel gehen, um ganz konkret vor Ort, gemeinsam mit ihnen, an Lösungen für die lokalen Herausforderungen zu arbeiten.

Müssen Sie Vertrauen zurückgewinnen, nachdem jahrelang parteiinterner Streit im Vordergrund stand?

Ja, durchaus. Ich kann verstehen, dass wir viele Menschen abgeschreckt haben, weil wir als Partei den Eindruck vermittelt haben, wir wären nur mit uns selbst beschäftigt. Ich denke, das haben alle in der Kölner SPD verstanden. Die SPD hat in Köln eine sehr gute Basis, 2025 wieder stärkste Kraft zu werden. Diese Chance wollen wir nutzen. Viele kommen zu uns und sagen: Wir wollen eine starke SPD. Tut doch bitte alles dafür, dass ich bei der nächsten Wahl wieder bei euch mein Kreuzchen machen kann. Genau das werden wir tun.

Geht die SPD 2025 mit einem eigenen OB-Kandidaten ins Rennen? Oder könnten Sie sich vorstellen, einen gemeinsamen unabhängigen Bewerber zu unterstützen, wie es Grüne und CDU mit der parteilosen Henriette Reker getan haben?

Es wird Sie wenig überraschen, dass ich der Überzeugung bin, dass die älteste Partei Deutschlands den Anspruch hat, ihre Politik mit einer Sozialdemokratin oder einem Sozialdemokraten als OB umzusetzen. Als eher theoretische Option würde ich aber nicht ausschließen, dass es Konstellationen geben könnte, in denen die SPD über eine Person ohne Parteibuch, aber mit klarem sozialdemokratischem Profil, nachdenkt. Das käme dann sehr auf die Person an.

Grüne, CDU und Volt haben 92 Seiten Bündnisvertrag vorgelegt. Wie bewerten Sie das Papier?

Das ist ein Sammelsurium einzelner Wahlziele der drei Parteien, sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner. Da vermisse ich eine stringente Gesamtstrategie. Wie sollen denn die großen Themen wie Wohnungsbau, Mobilität und Klimaschutz zu einer Gesamtidee verbunden werden? Fehlanzeige! Das ist ein Konglomerat von Forderungen, Thesen und unerfüllbaren Wünschen.

Ein Aufreger ist das Thema Anwohnerparken...

Das ist ein schönes Beispiel, wie es nicht geht! Grün-Schwarz-Lila will das Anwohnerparken verbieten, ohne irgendeine Alternative anzubieten. Das ist dogmatische, nicht zu Ende gedachte Politik. Unser Ansatz wäre gewesen, zuerst einmal ein Konzept für den Ausbau von Quartiersgaragen zu entwickeln und umzusetzen. Wo sollen denn die ganzen Autos hin, die bisher in den Wohnquartieren stehen?

Sie sind also nicht gegen höhere Anwohnerparkgebühren?

30 Euro für ein Jahr ist kein hoher Preis. Ihn anzuheben, kann legitim sein, dafür ist der öffentliche Raum zu wertvoll. Aber es muss sozialverträglich geschehen. Und man sollte differenzieren zwischen der Innenstadt, wo es viele andere Mobilitätsangebote gibt, und der Peripherie, die mit Bus und Bahn nicht so gut erreichbar ist wie mit dem Auto. Da wäre ich für eine gestaffelte Preisgestaltung.

Was vermissen Sie im Bündnisvertrag am meisten?

Visionen und pragmatische Lösungen! Für uns stehen die Themen Wohnungsnot und Bildungsgerechtigkeit weiterhin ganz oben auf der Agenda. Zu diesen zentralen Fragen bleibt Grün-Schwarz-Lila die Antworten schuldig. Allen Ankündigungen zum Trotz hinkt die Stadt beim Schulbau immer noch weit hinterher. Von den viel beschworenen Totalunternehmer-Projekten ist noch kein einziges nennenswert vorangekommen.

Was würde die SPD anders machen?

Endlich anpacken! Die Prozesse in der Verwaltung dauern zu lange. Um sie für die Zukunftsthemen unserer Stadt zu beschleunigen, brauchen wir eine Taskforce Schulbau und eine Taskforce Wohnen, die direkt beim OB-Büro angesiedelt sind. Darin müssen alle relevanten Akteure an einem Tisch sitzen, damit Entscheidungen schnell getroffen und umgesetzt werden können. Köln hat die Flüchtlingskrise damals gut bewältigt, weil es dafür eine solche Taskforce gab. Es ist mir unverständlich, warum die OB trotz Wohnungs- und Schulbaunotstand dieses erfolgreiche Format für diese Themen nicht wieder eingerichtet hat. 4000 Wohnungen zu wenig sind ein wohnungspolitischer Offenbarungseid für Frau Reker und ihr Verhinderungs-Bündnis. Den Preis werden die Menschen in Köln durch weiter überhöhte Mieten zahlen müssen.

Soll die Stadt verstärkt Grünflächen nutzen, um dort vorübergehend Schulen zu bauen?

Eindeutig ja. Angesichts des dramatischen Mangels an Schulplätzen muss die Stadt auf alle Möglichkeiten zurückgreifen. Dazu gehört die temporäre Nutzung von Grünflächen, um dort für einige Zeit in Modulbauweise Ausweichstandorte für Schulen zu errichten, die gerade saniert werden. Da müssen sich auch die Grünen bewegen. Es ist bezeichnend, dass im Schulausschuss erst alle Parteien dafür gestimmt haben, dass auf jeden Fall schnellstmöglich neue Schulplätze geschaffen werden müssen, die Grünen aber kurz darauf verhindert haben, dafür auch Grünflächen in Betracht zu ziehen.