Ein Zusammenwachsen der begehrten Stadtteile Ehrenfeld und Nippes in reiner Wohnform wird es nicht geben.
Gewerbeflächen sollen erhalten bleibenWie das Liebigquartier die Stadtteile Nippes und Ehrenfeld verbinden soll
130 Hektar innerstädtisch, linksrheinisch, zwischen Ehrenfeld und Nippes: Das Liebigquartier zwischen S-Bahnhof Nippes und A 57 weckt Begehrlichkeiten. Und zwar von vielen Seiten. Wohnen, Gewerbe, Industrie und Grün – irgendwie soll das alles unter einen Hut gebracht werden. Die zwei Büros Reicher Haase und Stadtraumkonzept entwickelten dazu das räumliche Entwicklungskonzept (REK) Liebigquartier, das bereits auf Veranstaltungen vorgestellt und diskutiert wurde (die Rundschau berichtete).
Diskutiert wurde es auch noch einmal im städtischen Wirtschaftsausschuss, wenn auch nur am Rande. Doch die Aussagen, die dort getroffen wurden – auch durch den Stadtentwicklungsdezernenten Andree Haack – waren eindeutig: Alles, was heute Gewerbe ist, bleibt auch Gewerbe. Ein Zusammenwachsen der begehrten Stadtteile Ehrenfeld und Nippes in reiner Wohnform wird es nicht geben.
Gewerbe gab und gibt es tatsächlich noch vergleichsweise viel im Kölner Nordwesten. Die ehemalige Campina-Molkerei, der Schlachthof, verarbeitende Betriebe, die Rheinenergie und nicht zuletzt die immer freundlich weggelächelten Großbordelle an der Hornstraße bergen einiges an Potenzial, auch wenn die gar nicht weg wollen. Das Odonien ebenfalls nicht, das steht bislang aber auch gar nicht zur Disposition – eingepfercht zwischen Bahngleisen wäre eine Bebauung hier ohnehin nur unter heftigen Verrenkungen möglich.
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Verschiedene Szenarien werden durchgespielt
Letztlich werden im REK verschiedene Szenarien für das Gelände durchgespielt. Als da wären „Lebendige Impulse“, „Frische Impulse“ und „Innovative Impulse“. Bei ersterem stehen Begegnung und Austausch im Fokus, gemischte Wohn- und Arbeitsbereiche, eventuell Gemeinschaftswerkstätten und kulturelle Einrichtungen.
Im zweiten Szenario würde die Tradition der Lebensmittelproduktion aufgegriffen, übersetzt in zeitgemäße, kleinteiligere Formen. „Dies könnte die Schaffung von urbanen Landwirtschaftsflächen wie Dachfarmen, Gewächshäusern oder vertikalen Farmen und Produktionsstätten sowie die Um- und Nachnutzung von bestehenden Gebäuden umfassen. Die Integration von Märkten oder gemeinschaftlichen Verarbeitungsstätten kann hierbei die Verbindung zwischen Produzenten und Verbrauchern stärken“, heißt es im REK.
Bleiben noch die innovativen Impulse: Hier fokussiert man sich auf die Weiterentwicklung von neuen und bestehenden Gewerbeflächen sowie deren logistische Anbindung. Dabei, daraus macht man kein Geheimnis, „steht in diesem Entwicklungsszenario die Attraktivierung als Wohnstandort an sekundärer Stelle“. Dennoch berücksichtige das Szenario die heterogene Nutzungsmischung und reagiere vor allem an den Übergängen zwischen Wohnen und Gewerbe mit Pufferzonen.
Entschieden ist noch nichts, alle Szenarien sind mittelfristig angelegt und nicht von heute auf morgen realisierbar. Eine erste Einschätzung wird aber schon mal mitgegeben. Im ersten Szenario scheinen den Autoren die Flächen für die Bildungs- und Sozialinfrastruktur — etwa in Form eines Bildungscampus auf dem Schlachthofareal — über den Bedarf hinauszugehen. „Das würde die Weiterentwicklung der vorhandenen gewerblichen Nutzung erschweren“, heißt es.
Das zweite Szenario scheint den Autoren da schon etwas interessanter. Die Nutzungsabstufungen von gewerblichen Mischnutzungen bis zu ausschließlich gewerblich genutzten Flächen und die Tatsache, dass Teilbereiche des Schlachthofareals über unterschiedliche Zeiträume entwickelt würden, werden durchaus positiv bewertet. Zudem biete das Szenario mit einer Freiraumausweitung Richtung Westen die Möglichkeit einer Vernetzung vorhandener Grünflächen.
Und die dritte Option? Auch wenn aus wirtschaftlicher Sicht die Produktivität im Szenario „Innovative Impulse“ wohl am höchsten ist, entstünde auf dem Schlachthofareal oder den Molkereiflächen kaum Mehrwert für Anwohnende. Es wäre mehr oder weniger die einzige Möglichkeit, auch „emittierende“ Gewerbeformen anzusiedeln, vor allem Richtung Gleisdreieck. Soll heißen, im Rahmen des innerstädtisch Erlaubten würden auch Lärm und Abgase vertreten werden müssen.
Geschichte und Lage
130 Hektar umfasst das Plangebiet nordwestlich der Innenstadt. In Teilen gehört es zu Neuehrenfeld, in Teilen zu Bilderstöckchen. Die Grenze der Stadtbezirke Ehrenfeld und Nippes verläuft direkt durch das Liebigquartier. Die Hauptachsen sind die Liebigstraße sowie die Escher Straße. Stand 2022 lebten dort rund 6500 Menschen, 4300 Arbeitsplätze wurden bereitgestellt.
Das Areal ist sehr heterogen: Kleinteilige Wohnbebauungen mit Grünstreifen wechseln sich mit weitläufigen Gewerbeflächen ab, im Norden und Westen ist der Stadtraum durch Grünanlagen eingerahmt. Die gewerblichen Nutzungen sind vielfältig und beinhalten neben DHL, Schlachthof und Rheinenergie kleinteilige Werkstätten, Lebensmittelgroßhändler, Einzelhandelsflächen und die beiden großen Laufhäuser an der Hornstraße.
Geschlossen wurde nach fast 100 Jahren der Molkereibetrieb an der Geldernstraße, zuletzt vom Müller-Konzern betrieben. Auch über die Zukunft des ehemaligen Schlachthofes die Fleischverarbeitung ist längst eingestellt wird immer wieder spekuliert, er liegt an der Liebigstraße. Direkt gegenüber, auf dem Gelände eines ehemaligen Autohauses, sollen Wohnungen und Stadthäuser entstehen. Nach dem Abriss des Autohauses allerdings hat sich hier nichts mehr getan, die Frist, innerhalb derer die Bebauung erfolgen muss, wurde bis 2028 verlängert.
Ehrenfeld und Nippes sind begehrte Wohngegende
Die Stadtteile Nippes und Ehrenfeld waren und sind in den letzten Jahren einem starken Wandel unterworfen. Früher klassische Arbeiterbezirke, sind sie heute begehrte Wohngegenden mit entsprechenden Preisen und zumindest, was Ehrenfeld angeht Partylocations. Das Liebigquartier wirkt auch aufgrund seiner scharfen räumlichen Abtrennung (Bahn, Autobahn, Gürtel) wie ein Puffer zwischen den Stadtteilen, der mit der Neuentwicklung aufgehoben werden soll.
Der Zeitpunkt für die Neuentwicklung des Quartiers könnte laut Stadtentwicklungs- und Wirtschaftsdezernent Andree Haack kaum besser sein: „Durch die Schließung des Molkereibetriebs Friesland Campina eröffnen sich viele neue Möglichkeiten. Die Chancen liegen vor allem in der Entwicklung der Potenzialflächen, der Schaffung von neuen Grün- und Wegeverbindungen, der Aufwertung von Quartierseingängen und der Umgestaltung von Verkehrsflächen“, erklärt der Beigeordnete im Vorwort des räumlichen Entwicklungskonzeptes (REK).
Die noch vorhandenen Gewerbeflächen sollen erhalten und neue geschaffen werden. „Wir wollen mit dem REK dazu beitragen, die innerstädtischen Gewerbeflächen und Potenziale zu sichern und weiterzuentwickeln“, so Haack. Auch die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses sprachen sich in ihrer jüngsten Sitzung noch einmal dafür aus, dringend benötigte Arbeitsplätze in Köln zu halten und entsprechende Voraussetzungen zu schaffen. (two)