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Serie „Babylon Köln“Wie aus dem Schieber Jean Mörs ein Schlitzer wurde

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Beste Lage für den Schmuggel: Mit dem Rhein und der Nähe zu den Niederlanden und Belgien war Köln ein El Dorado für Schieber.

Beste Lage für den Schmuggel: Mit dem Rhein und der Nähe zu den Niederlanden und Belgien war Köln ein El Dorado für Schieber.

Eine Liebe im Schmuggler-Milieu: Das konnte ja nicht gut gehen. Eine neue Folge der Rundschauserie Babylon Köln, die Kriminalfälle der 20er-Jahre beleuchtet.

In diesen Tagen hatte wenig Bestand: nicht das Geld, nicht die Versorgungslage und oftmals auch nicht die Liebe. Agnes Trommelschläger und „Jean“ Mörs waren Schieber und ein Pärchen – obwohl beiderseits verheiratet. Das konnte ja nicht gut gehen. Eine neue Folge der Rundschauserie Babylon Köln.

Alle paar Kilometer andere Bestimmungen gab es und Grenzen und Straßensperren, seit die linke Rheinseite von den Alliierten nach dem Waffenstillstand 1918 besetzt und aufgeteilt worden war. Auf der rechten Rheinseite wiederum war eine fünfzig Kilometer breite entmilitarisierte Zone entstanden. Überall wurde kontrolliert, überprüft und nicht selten auch verboten. Das hatte empfindliche Folgen für die Versorgung selbst mit dem Nötigsten, angefangen bei Nahrungsmitteln und Kohlen bis zu Zigaretten, Schokolade und Kaffee. Das Rheinland war quasi vom Rest des Reiches abgeschnitten. Die Wirtschaft brach zusammen. Das Geld war immer weniger wert.

Neben die zu versorgenden heimgekehrten Kriegsversehrten kam das Heer der Arbeitslosen. Um dem Wucher zu entgegnen, waren für etliche Waren Höchstpreise festgesetzt worden. In Zeiten solcher Restriktionen und wirtschaftlicher Probleme aber wachsen immer Schmuggel und Schwarzmarkt. Auch mancher Besatzungssoldat kooperierte mit örtlichen Schmugglern, um den eigenen Sold aufzubessern. Regelmäßig sprengte die Polizei Schmuggelringe. Allein im Dezember 1920 stand zunächst ein zuvor schon wegen Falschmünzerei verurteilter Kokainschieber vor Gericht. Als der Staatsanwalt acht Monate Gefängnis und zehntausend Mark Geldstrafe für ihn beantragte, sprang der Angeklagte auf, warf sich auf den Anklagevertreter und würgte diesen, bis einer der beisitzenden Richter die beiden auf dem Boden ringenden Männer trennte.

Große Feste musste man sich leisten können in den Tagen nach dem Ersten Weltkrieg. Selbst wer Geld hatte, hatt damit nicht unbedingt Waren.

Große Feste musste man sich leisten können in den Tagen nach dem Ersten Weltkrieg. Selbst wer Geld hatte, hatt damit nicht unbedingt Waren.

Reiche Beute machte die städtische Polizei auch, als sie systematisch die aus Aachen kommenden Passagiere der Eisenbahn kontrollierte. An einem Tag wurden nicht weniger als achtzig Personen unterschiedlichster Berufe und Altersgruppen festgenommen, die Schmuggelware bei sich führte – meist in den Unterkleidern versteckt. Ein Schleichhändler brachte es auf zehn Zentner Kaffee, ein anderer auf fünfzig Sack Buchweizenmehl, die konfisziert werden konnten.

Da habe er ein Rasiermesser aus der Tasche gezogen, sei auf sie losgestürzt und habe ihr den Hals durchschnitten. Er sei aber bei der Tat von Sinnen gewesen
Die Aussage des Täters bei der Gerichtsverhandlung

Wenig später hielt die Polizei am Kölner Hauptbahnhof eine Frau aus Elberfeld fest, weil deren unmäßig dicken Beine Misstrauen erregt hatten. Tatsächlich verbarg sie tausende unversteuerte Zigaretten in ihren sackartigen Strümpfen. Bei Nachforschungen stellte sich heraus, dass sie auch ihre zehn Kinder beim Schmuggel mit Kaffee und Tabakwaren unterstützten. Das Gericht, vor das sie umgehend gestellt wurde, beließ es in Anbetracht des reichlichen Kindersegens bei 1500 Mark Geldstrafe.

Der Dezember 1920 klang aus, als unter der Leitung von Kommissar Heinrich Franken nicht nur in einem von Holland eintreffenden Waggon unter 120 Zentner Zwiebeln versteckt 5000 Pfund eingeschmuggelter Rohkaffee entdeckt, die in eine Stadt am Oberrhein verschoben werden sollte. Beschlagnahmt wurde in Folge nicht allein der Kaffer, sondern auch die Zwiebeln, weil, so erklärte die Zeitung „nach einer gesetzlichen Bestimmung auch diejenigen Waren der Beschlagnahme verfallen, die zur Verdeckung von Schmuggelware dienen“. Am gleichen Tag wurden auch ein mehrfach vorbestrafter Schieber und ein Landwirt festgenommen und vor das Wuchergericht gestellt, die Landbutter zu hohen Preisen an Hotels verkauften. Gleich 72 Pfund Butter wurden hier beschlagnahmt.

Die Geliebte lernte in Holland einen anderen kennen

Von Schiebergeschäften lebten auch Agnes Trommelschläger und der Bohrer Johann, genannt Jean, Mörs, wofür sie beide oft gemeinsam nach Holland reisten. Beide waren eigentlich anderweitig verheiratet, doch seit etwa 1917 miteinander liiert. Das ging gut, bis die 29 Jahre alte Agnes Trommelschläger bei einem der Ausflüge in die Niederlande einen anderen Mann kennenlernte. Die beiden verliebten sich, weshalb Agnes Trommelschläger dem 51 Jahre alten Mörs, geboren am 22. Oktober 1869 in Eschweiler, schließlich den Laufpass gab.

Dieser war davon wenig begeistert. Er wollte nicht von seiner Geliebten lassen, stellte ihr immer wieder nach, tauchte in ihrer Wohnung in der Ägidiusstraße 65 auf und bedrängte sie. Bei einem dieser Besuche schließlich traf er bei Agnes Trommelschläger deren neuen Geliebten an. Mörs tobte. Er drohte, Agnes den Hals durchzuschneiden. Schließlich aber schien er sich wieder zu beruhigen. Seine Worte seien nicht ernst gemeint gewesen, versicherte er.

Agnes Trommelschläger beschäftigte sich offenkundig ebenfalls nicht mehr mit der Drohung. Sie hatte ja auch anderes zu tun. Sie plante, zu ihrem neuen Geliebten nach Holland überzusiedeln. Und währenddessen sah man ihren Geschäftspartner Mörs immer noch in ihrer Wohnung ein- und ausgehen. So auch am 17. Januar 1921.

Tags darauf, am 18. Januar 1921, besuchte Mörs noch einmal seine alte Familie am Mauritiussteinweg 102. Einen verstörten Eindruck gemacht habe er, berichtete seine Frau. Und er habe ihr den Schlüssel zur Wohnung der Trommelschläger gegeben. Dann sei er fortgegangen. Schließlich erhielt sie einen Brief von ihrem Ehemann, den er am 19. Januar 1921 in Eschweiler aufgegebenen hatte. Er schrieb von Selbstmordabsichten. Außerdem bat er sie, bei Agnes Trommelschläger ein paar Sachen abzuholen. Irritiert stattete sie der Wohnung ihrer Konkurrentin einen Besuch ab. Die Haustür war verschlossen, als sie am 21. Januar gegen sechs Uhr abends in der Ägidiusstraße 65 eintraf. Drinnen lag mit von einem Rasiermesser durchschnittener Kehle Agnes Trommelschläger. Ein Kampf schien nicht stattgefunden zu haben. Auch war offenbar nichts entwendet worden.

Sofort wurde die Polizei in Eschweiler verständigt, um den flüchtigen Mörs zu fassen. Am 29. April 1921 meldete die niederländische Polizei, dass Mörs gefasst und ins Gefängnis in Maastricht überführt worden sei. Von da brachte man ihn schließlich zurück nach Köln.

Am Dienstag, 26. September 1922 verhandelte das Schwurgericht zu Köln. Mörs war geständig. In Trommelschlägers Wohnung sei es zum Streit gekommen. Da habe er ein Rasiermesser aus der Tasche gezogen, sei auf sie losgestürzt und habe ihr den Hals durchschnitten. Er sei aber bei der Tat von Sinnen gewesen, beteuerte Mörs. Das Schwurgericht aber sprach ihn des Mordes schuldig und verhängte die Todesstrafe.