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Auf den Spuren des Sokratesphil.cologne läuft zur Corona-Krise im Radio

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Gert Scobel und Jürgen Wiebicke (beide Programmredaktion phil.cologne. Beim Spezial interviewte der Journalist und WDR5-Moderator des philosophischen Radios Jürgen Wiebicke den Journalisten und Philosophen Gert Scobel)

Köln – Wenn mal ein Thema so richtig für Furore sorgte, trieb sich Urvater Sokrates bekanntlich mit Vorliebe auf dem Marktplatz herum, wo er Passanten zu antiken Talk-Runden zwecks gemeinsamer Problembewältigung einlud. Seine Nachfolger wollten da nicht nachstehen: „Dies ist eine gute Zeit für die Philosophie, für gesellschaftliche und ethische Reflektionen“, betonte der Kultur- und Wissenschaftsjournalist Gerd Scobel zu Beginn des zehnstündigen Gesprächs-Marathons „Denken, das ansteckt: Was uns Corona lehrt“ auf WDR 5.

„Denken, das ansteckt: Was uns Corona lehrt“ war eine Spezial-Ausgabe der phil.cologne. Das Kölner Philosophie-Festival sollte in diesem Juni zum achten Mal stattfinden, musste wegen der Corona-Auflagen aber auf den September verlegt werden. Die Audio-Dateien der Gespräche im Rahmen der Sendung können bereits unter www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/philosophie-spezial im Internet angehört werden. (hwh)

Scobel war einer der 14 Denker und Denkerinnen, die am Samstag zwischen zehn Uhr morgens und acht Uhr abends jeweils für maximal eine Stunde im Hörfunk-Studio saßen oder von außerhalb zugeschaltet waren, um sich mit den Moderatoren über die Maßnahmen der Regierung, die Folgen für die Gesellschaft oder Visionen für die Zeit nach der Pandemie zu unterhalten. Orientierung in unübersichtlichen Zeiten bieten, auch mal „in die Tiefe bohren“ lautete das Ziel der Kooperation zwischen phil.cologne und WDR. Zuhörer konnten sich per Telefon oder Email einmischen.

Wissenschaftler zoffen sich

Nicht zu erwarten aber sei die Verkündung von letztgültigen Wahrheiten, so Scobel, auf diesem Missverständnis beruhe auch die öffentliche Kritik an den häufig widersprüchlichen Aussagen der Virologen: „Es ist aber normal für Wissenschaftler, dass sie unterschiedliche Hypothesen aufstellen und sich dann zoffen, welche richtig ist.“ Menschliches Wissen sei nun einmal begrenzt, durch die geduldige Reduzierung des Nichtwissens aber könne man beispielsweise Politiker in die die Lage versetzten, nachhaltige Entscheidungen zu treffen: „Bisher haben die das doch relativ gut gemacht.“

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Christiane Woopen und Rainer Osnowski (lit.COLOGNE Geschäftsführer und Vorsitzender phil.e.V.)

Selbstverständlich waren nicht wenige Argumente, Meinungen oder Prophezeiungen schon bekannt. Auch am Tag selbst tauchte einiges mehrfach auf. Interessant war aber die im Vergleich zu den vielen anderen Talk-Runden etwas weiter gespannte Perspektive der Berufsdenker. So zog sich eine Erkenntnis wie ein roter Faden durch die Gespräche: Unerbittlich führe die Pandemie vor Augen, wie unbegründet der menschliche Optimismus sei, die Welt mittels Wissenschaft und Technik beherrschen oder auch nur verstehen zu können.

Starphilosoph Richard David Precht pessimistisch

Petra Bahr, Regionalbischöfin des Sprengels Hannover und Mitglied im Deutschen Ethikrat, bezog dies durchaus auch auf den Allerhöchsten. Wenn sie großem Leid begegne, klage sie zuweilen Gott an, gestand sie: „Aber ich mache das in der Sprache der Psalmen, die Bibel liefert uns ja Stilvorgaben.“ Der Vorstellung von einem „strafenden Gott“ jedoch widersprach sie energisch. ER hätte ganz sicher nicht so zielgerichtet vor allem Alte und Kranke als Opfer ausgewählt. Auch von dem idyllischen Gedanken, der Lockdown gewähre endlich einmal Zeit zum Innehalten und zur Muße, wollte Bahr nichts wissen: „Ich kenne nur Menschen, deren Kinder zu Hause sitzen, die sich Sorgen um Angehörige machen.“

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Richard David Precht

Einen besonders defätistischen Tag hatte Starphilosoph Richard David Precht erwischt. Auch er glaubt nicht daran, dass das erzwungene Daheimbleiben automatisch zu tollen neuen Erkenntnissen führt: „Viele werden sich gedanklich im Kreis drehen und diffuse Gefühle entwickeln, dabei wird viel Negatives herauskommen“, sagte er in Anspielung auf Verschwörungstheoretiker und Impfgegner. Einem Anrufer, der eine gesellschaftliche Zäsur nach dem Ende der Pandemie forderte, antwortete er, an der Konsumgesellschaft mit ihrem unverantwortlichen Ressourcenverbrauch werde sich „danach“ wenig ändern: „An echte Veränderungen traut sich niemand heran, am meisten enttäuscht mich das Versagen der Grünen.“

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Christiane Woopen dagegen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrats, kann durchaus Veränderungen erkennen. Auf europäischer Ebene sei man dabei, gemeinsam Stargeien zu entwickeln, wie man Institutionen krisenfester machen könnte, beispielsweise im Gesundheitswesen. Und dass neben technischen Innovationen auch soziale Innovationen notwendig sind, um die freiheitliche Demokratie zu festigen, sei „bei der Politik angekommen.“ Doch nicht alle Entwicklungen gefallen der Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Uni Köln: „Jetzt werden wir wieder zum Konsumieren angehalten, um die Wirtschaft zu unterstützen. Aber Konsum trägt nicht zu einem gelingenden Leben bei, er fördert nur die Wegwerfgesellschaft.“