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30. Januar 1933„Köln war genauso braun wie der Rest“

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Am 13. März 1933 besetzten die Nationalsozialisten das Kölner Rathaus. In den sechs Wochen seit Hitlers Machtübernahme hatten sie Hunderte politische Gegner  verschleppt und misshandelt.

Köln – Der 30. Januar 1933 ist ein nasskalter Tag in Köln, „mit Schneebuckeln auf den Bürgersteigen“. Die Nachricht von der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler wird um zwölf Uhr mittags im Radio verkündet und verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Stadt. Extrablätter werden verkauft, der Neumarkt ist schwarz vor Menschen, berichten Zeitzeugen. Heinrich Böll, damals 15 Jahre alt, liegt mit einer Grippe im Bett, als ihm ein Freund von den Neuigkeiten erzählt. Seine Mutter habe ausgerufen: „Das ist der Krieg“, erinnert er sich später.

Doch nur wenige Kölner ahnen zu diesem Zeitpunkt, dass nun endgültig der Weg in die NS-Diktatur bereitet ist. „Die Leute waren vor allem überrascht. Am meisten überrascht waren die Nationalsozialisten selbst. Sie konnten ihr Glück kaum fassen“, sagt Dr. Werner Jung, der Leiter des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln. Man dürfe nicht vergessen, dass die NSDAP bei der Reichstagswahl am 6. November 1932 eine Schlappe erlitten hatte. Ihr Stimmenanteil sank von 37,3 auf 33,1 Prozent, in Köln von 24,5 auf 20,4 Prozent. „Zum Jahreswechsel 1932/33 kommentierten viele Zeitungen, der braune Spuk sei bald vorbei“, so der Historiker.

Dass die Nazis doch an die Macht kamen, lag maßgeblich an dem Geheimtreffen von Hitler mit Ex-Reichskanzler Franz von Papen, das am 4. Januar 1933 in der Villa des Kölner Bankiers Kurt Freiherr von Schröder am Stadtwaldgürtel 35 stattfand und als „Geburtsstunde des Dritten Reichs“ gilt. „Hitler erreichte, was er wollte: Papen nutzte seinen Einfluss auf Reichspräsident Hindenburg, bis dieser seinen Widerstand gegen eine Kanzlerschaft Hitlers aufgab“, so Jung.

Papen sei wie viele andere rechtskonservative Politiker „davon ausgegangen, Hitler in der Regierung zähmen zu können – leider eine fatale Fehleinschätzung. Und selbst viele Linke auch in Köln haben anfangs geglaubt, die neue Hitler-Regierung würde bloß ein paar Wochen halten.“

Weit gefehlt. Die Nazis beginnen sofort damit, ihre politischen Gegner mit brutaler Gewalt kaltzustellen. Noch am selben Abend ziehen betrunkene SA-Leute grölend durch die Straßen Kölns und zwingen Passanten zum Hitlergruß. In Mülheim überfallen 80 SA-Leute das KPD-Büro. Schüsse fallen, Schaufenster werden zertrümmert. In den folgenden Wochen werden Hunderte Kommunisten und Sozialdemokraten in Köln verschleppt, in Kerker gesperrt, misshandelt und umgebracht – mit Duldung und unter Beteiligung der Kölner Polizei.

Ein Fackelzug wie in Berlin findet in Köln erst mit einem Tag Verspätung statt. Nach einer „deutschen Weihestunde“ in den Messehallen marschieren die braunen Horden am Abend des 31. Januar von Deutz zum Rudolfplatz. Laut Zeitzeugen verfolgen zahllose Kölner das Spektakel eher teilnahmslos, einige machen sogar flapsige Bemerkungen.

Die oft geäußerte These, in Köln habe es weniger Begeisterung für die Nazis gegeben als anderswo, lasse sich durch solche Details aber nicht belegen, betont Jung. „Das ist ein Mythos. Köln war genauso braun wie der Rest des Reiches.“ Dass die NSDAP hier bis 1933 weniger Stimmen bekam, liege am katholischen Milieu und den vergleichbar starken Arbeiterparteien. Doch nach der Machtübernahme habe sich schnell ein Großteil der Kölner Bevölkerung für die Nazis begeistert. „Man wollte dabei sein.“ So habe sich etwa die Kölner Universität „gleichgeschaltet, ehe sie es musste“, und der Personaldezernent der Stadt habe schon am 1. April die Verwaltung beauftragt, alle Juden zu melden. „Seine Anweisungen gingen bereits über die erst 1935 beschlossenen Nürnberger Gesetze hinaus“, so Jung.

Als der „Führer“ am 19. Februar 1933 nach Köln kommt, weigert sich der noch amtierende Oberbürgermeister Konrad Adenauer, ihn am Flughafen abzuholen. Begründung: Hitler sei nicht als Kanzler, sondern als Wahlkämpfer in der Stadt. Am 12. März stehen Kommunalwahlen an. Adenauer lässt auch die Hakenkreuzfahnen auf der Deutzer Brücke entfernen.

„In der Folgezeit drohen ihm die Nazis immer unverhohlener und zugleich erlebt er, wie sich Parteifreunde von ihm abwenden und zur NSDAP überlaufen“, so Jung. Um seiner Gefangennahme zuvorzukommen, flieht Adenauer am Morgen nach der Wahl nach Berlin.

Obwohl sie keine Mehrheit erzielt haben, übernehmen die Nazis nun endgültig die Macht in Köln und besetzen mit viel Pomp das Rathaus. Zwölf Jahre später liegt es in Trümmern.