Autorin Husch Josten ist im Juni für ihren Roman „Land sehen" mit dem Konrad-Adenauer-Preis ausgezeichnet worden.
Der Roman handelt von einem Familiengeheimnis und thematisiert Glaubensfragen.
Während der Recherchen zum Roman, kehrt Josten zurück ins Hohe Venn. Wir starten unsere Wanderung in Küchelscheid.
Inwiefern die sagenumwobene Landschaft sie zu der Geschichte inspiriert hat und wie sie selbst die Glaubensfrage für sich beantwortet, erzählt sie bei einer Wanderung mit unserer Reporterin und Hund Heinrich.
Venn – Husch Josten fällt quasi aus dem Auto. Ihr Labrador-Rüde Heinrich zerrt sie entschlossen an der Leine hinter sich her. „Er hat eigentlich Rücken“, lächelt die Autorin aus Köln, als sie sich am vereinbarten Treffpunkt im Örtchen Küchelscheid einfindet.
Anmerken tut man das dem braunen 40-Kilo-Koloss von einem Hund nicht. Er freut sich sichtlich auf die Runde in der Eifler Natur, die sein Frauchen ausgeheckt hat. Küchelscheid liegt gerade eben hinter der belgischen Grenze, gefühlt gehört es noch zu Kalterherberg, dem letzten Städtchen auf deutscher Seite, das den beeindruckenden Eifeldom mit zwei Türmen zu bieten hat.
Wanderoute aus Kindheitstagen
Die Route führt nach Ruitzhof und zum Kloster Reichenstein, zwei zentralen Schauplätzen ihres jüngsten Romans „Land sehen“, für den Husch Josten im Juni den Konrad-Adenauer-Preis bekam. Während Heinrich dem Waldrand entgegenspurtet, erzählt seine atemlos folgende Besitzerin von ihrer Vertrautheit mit der Landschaft des Hohen Venn.
Das 600 Quadratkilometer große deutsch-belgische Naturschutzgebiet kennt die 50-Jährige gut. „Als Kind war ich hier sehr oft mit meinen Eltern und den drei älteren Geschwistern wandern. Mein Vater hat uns dazu angehalten, Blätter zu sammeln und zu bestimmen“, erzählt Josten.
Die Nähe zum Venn ist familiär bedingt. Beide Elternteile stammen aus Aachen, beide haben im Krieg bewegte Zeiten in dieser Eifel-Region erlebt. „Meine Mutter war in Monschau evakuiert und bekam dort die heftigen Kesselschlachten gegen Kriegsende hautnah mit. Mein Vater sollte als 16-Jähriger noch als Kanonenfutter eingezogen werden, doch er wurde auf der belgischen Seite des Venns versteckt.“
Die Frage nach dem Glauben
Der letzte Kriegswinter 44/45 kommt auch in „Land sehen“ vor, in dem es um ein Familiengeheimnis geht, das den Protagonisten Georg zeitlebens umtreibt. Der unstete Lebemann verschwindet zunächst jahrelang, um am Ende seines Lebens ausgerechnet als erzkatholischer Priester und Mitglied der Piusbrüderschaft wieder aufzutauchen. Sein Neffe, der Georg stets bewundert und vermisst hat, begibt sich fortan auf eine Spurensuche in Sachen Glauben.
„Ich wollte schon immer ein Buch über den Glauben schreiben“, sagt Josten. „Mir war aufgefallen, dass das ein Thema ist, das bei Unterhaltungen meist ausgeklammert wird. »Was glaubst du?« ist eine Frage, die man nicht stellt. Und wenn man sie stellt, antwortet kaum jemand »An Gott«. Das finde ich interessant.“
Josten stammt aus einer gutbürgerlichen Familie. Der Vater Jurist, das Familienheim ausgestattet mit nicht nur einer Bibliothek, sondern gleich mehreren. „Die waren thematisch geordnet und ich habe meine Studienkollegen oft mit zu mir nach Hause genommen, weil wir dort leichter an Bücher rankamen“, erinnert sich Josten, die Geschichte studierte und schon als Kind wusste, dass sie Bücher schreiben möchte. „Mit fünf bekam ich meine erste Schreibmaschine und nervte die Familie mit meinen Geschichten.“
Nach einem Stück durch den Wald, geht es auf einer asphaltierten Straße in die Ortschaft Ruitzhof, eine winzige deutsche Exklave in Belgien. Rechter Hand liegt ein hübscher Fachwerkhof, der von gigantischen Hecken umgeben ist, die Torbögen bilden.
Husch heißt eigentlich Hildegard
„Das sind Prachtexemplare der typischen Monschauer Hecken. Man lässt sie traditionell so hoch wachsen, um Schnee und Wind abzuhalten, “ weiß Husch Josten, die ihren eigentlichen Vornamen Hildegard schon im Alter von einem Jahr ablegte.
„Bei der Namenswahl hatte sich mein Vater durchgesetzt. Meine Mutter mochte ihn nicht und nannte mich Husch, weil ich so schnell war.“ Das taten fortan alle. Als auf ihrer Hochzeitseinladung vor 25 Jahren ihr echter Name erschien, fragten einige Freunde ihren bis heute amtierenden Ehemann, was denn bloß mit Husch sei.
Die Legende vom Teufel mit dem Felsbrocken
Vom zentralen Ruitzhofer Parkplatz aus folgen wir dem Hinweisschild „Kreuz im Venn“. Rechter Hand erhebt sich auf einmal ein riesiger Steinhaufen: Der Richelsley. Oben auf dem Brocken, der aus vielen kleineren Felsen besteht, ragt das Kreuz im Venn in die Höhe. Es wurde 1890 errichtet aus dem damaligen Werkstoff der Stunde: Eisen.
„Die Legende sagt, dass der Teufel mit diesem Felsbrocken in der Hand Richtung Aachen unterwegs war, um die dortige Pfalz zu zerstören, hier im Venn wurde er müde und ließ den Stein fallen“, erzählt Josten. Das Eisenkreuz, das den gigantischen Brocken krönt, ist sechs Meter hoch und wurde zu Ehren des Priors Stephan von Horrichem errichtet, der zur Zeit des 30-jährigen Krieges viele Menschen in der Gegend mit Essen und dem Nötigsten versorgte.
Rechts am Brocken vorbei führt der Weg nun in den tiefen Wald, der hier noch so aussieht, als strotze er vor Vitalität. Der Boden ist bemoost, Pilze wachsen hier und da, das Licht fällt schattentanzend durch die Baumkronen. Der Weg quert schließlich einen Radweg, die Vennbahntrasse.
Die ehemals von Aachen nach Luxemburg führende Schienenstrecke wurde zu einem komfortablen Radweg ausgebaut, der sich über 125 Kilometer in Deutschland, Belgien und Luxemburg erstreckt. Ein Wegweiser zeigt unser nächstes Ziel an: Reichenstein. Ein Stück über die asphaltierte Straße und der Seerosenteich, der zum ehemaligen Gut gehört, liegt auf der anderen Straßenseite.
Die Digitalisierung der Brüderschaft
Das Kloster stammt aus dem 13. Jahrhundert, 200 Jahren lebten keine Mönche mehr hier. Doch seit einigen Jahren wird das Gebäude renoviert. Es sind Mönche des Ordens Notre Dame de Bellaigue eingezogen, die der Piusbrüderschaft nahestehen.
„Als ich vor zwei Jahren hier war, um für das Buch zu recherchieren, hing da ein Bauschild mit einer E-Mail-Adresse der Piusbrüder. So hatte ich es mir für das Buch ausgedacht, plötzlich hatte mich die Realität eingeholt.“ Josten hat sich viel mit der erzkonservativen Glaubensgemeinschaft beschäftigt. „Wenn Sie deren Geisteshaltung begreifen wollen, schauen Sie sich auf Youtube ein Anwerbe-Video der Piusbrüder an.“
Kein Fortschritt in der Praxis
Die Brüder propagierten ein überkommenes Weltbild, zelebrieren die Messe wie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil: auf Latein, der Priester steht mit dem Rücken zur Gemeinde. Frauen spielen nur als Familienfürsorgerin eine Rolle. Doch der Orden hat Zulauf.
„Die Mönche hier stammen aus der Auvergne und wollen mit ihrem neuen Standort Reichenstein in Deutschland missionieren“, weiß Josten, die Parallelen zur Politik sieht. „Einfache Antworten stehen hoch im Kurs und Parteien und Personen, die diese propagieren, haben Zulauf.“
Zweifel an der Kirche
Josten stammt aus einer katholischen Familie, hat ihre Zugehörigkeit zur Kirche aber durchaus immer wieder in Frage gestellt. „Doch die Botschaft der Christen bleibt für mich überzeugend. Viele suchen Sinn von A wie Ayurveda bis Y wie Yoga. Aber Liebe, Nächstenliebe, Vergebung, Achtung vor ausdrücklich allen Menschen, das sind auch Pfeiler der Kirche, zumindest meiner Kirche.“
Josten geht gerne in die romanischen Kirchen Kölns, aber auch zu den Dominikanern in Düsseldorf. „Ich gehe gerne zu Pfarrern, die mich mit ihrer Predigt berühren, zum Nachdenken bringen.“
Natürlich mache die Kirche furchtbare Fehler. „Tief erschütternd“ seien die Missbrauchsskandale. „Aber es gibt nicht die eine Kirche. Es gibt in ihr das Gute genauso wie die Abgründe“, erklärt Josten ernst, während wir an der Norbertuskapelle dem Schild mit der Aufschrift Kulturweg Eifel folgen, um zurück nach Küchelscheid zu gelangen.
„Es ist so still in der Eifel“, schwärmt Josten auf den letzten Metern vor Erreichen des Ortes. Auf Familienausflügen in ihrer Kindheit erklärte ihr älterer Bruder den kleinen Schwestern nachts gern die Sternbilder. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass die Sterne in der Eifel nachts heller leuchten als in Köln. Der Magie dieser Landschaft kann sich Husch Josten bis heute nicht entziehen.
Der Wanderweg durchs Venn:
1) Wir starten am ehemaligen Bahnhof von Kalterherberg: Ecke „Auf dem Hau“/„Küchelscheid“ in 4750 Küchelscheid (Belgien) am Schwarzbach. Von „Auf dem Hau“ biegen wir rechts ab auf den „Geisberg“, dem wir bis zu seiner zweiten Abbiegung (einer Haarnadelkurve) nach links folgen, bis er zur Straße „Ruitzhof“ wird — hier liegt im Roman „Land sehen“ (fast am Ende der Straße rechter Hand) das Vorbild des kleinen Fachwerkhofs von Protagonist Georg hinter einer der typischen Hainbuchen-Hecken des Monschauer Lands. Der „Ruitzhof“ ist die kleinste Exklave Deutschlands: Der Weiler ist von Belgien umgeben.
2) Weiter geradeaus, dann geht es auf einem Feldweg (linker Hand) weiter zum „Kreuz im Venn“ (den Holzschildern: „Kulturweg Eifelverein“ und „Kreuz im Venn“ folgen). Am Fuß eines zwölf Meter hohen Felsens (den — der Sage nach — der Teufel auf seinem Weg zur Zerstörung der Aachener Pfalz erschöpft fallen ließ) sieht man das darauf zu Ehren von Prior Stephan Horrichem errichtete sechs Meter hohe Eisenkreuz. Über steinerne Treppenstufen gelangt man hinauf zum Kreuz und nach dem Abstieg kann man den Fels umlaufen, um die Grotte mit der Marienstatue („Richelsley“) zu besichtigen.
3) Gegenüber der Grotte geht es abwärts weiter bis zu einem Querweg, an dem wir links abbiegen und nach etwa 200 Metern eine Schranke passieren, dann einen Radweg überqueren und schließlich die Straße von Kalterherberg nach Mützenich erreichen, wo wir links abbiegen (Schilder: „Kulturweg Eifelverein“). Bald darauf ist „Kloster Reichenstein“ mit dem Reichensteiner Weiher zu sehen.
4) Nach dem Besuch des Klosters etwa bis 80 Meter vor der Straße den Klosterweg zurückgehen und scharf rechts abbiegen in einen kleinen „Privatweg“, an dem wieder das Schild „Kulturweg Eifelverein“ zu sehen ist. Dem Weg folgen über eine Holzbrücke über die Rur, über den Forstweg bis zur Rurbrücke aus Stein. Links ist die „Norbertuskapelle“ zu sehen (Norbert von Xanten war der Gründer des Prämonstratenserordens). Nun geht es auf der Reichensteiner Straße nach Nordwesten Richtung Rosengasse, von wo man nach 110 Metern links Richtung Vennbahnweg abbiegt. Dort geht es zwei Kilometer geradeaus, dann leicht rechts zur Bahnhofstraße und schließlich geradeaus weiter zur Straße „Auf dem Hau“. Dort liegt, fast am Ende der Straße“ das „Le Café“ für Kaffee und Kuchen.
Informationen zur Wanderung:
Start Parkplatz in Küchelscheid am alten Bahnhof
Länge/Dauer etwa neun Kilometer von Küchelscheid über Ruitzhof, das Kreuz im Venn, Kloster Reichenstein zurück nach Küchelscheid.
Anfahrt mit dem Pkw die A1 Richtung Euskirchen, dann B 266 und L 207 bis Schleiden, dann B 258 bis Monschau, dort Bahnhofstraße bis Küchelscheid, Auf dem Hau, folgen
Profil Waldwege, teilweise asphaltierte Straßen. Festes Schuhwerk empfohlen.
Einkehr Im Le Café, Auf dem Hau 46, 4570 Bütgenbach (Ortsteil Küchelscheid), Belgien. Die resolute Wirtin Carmen serviert, was sie gekocht oder gebacken hat. Sie vermietet auch Zimmer, Tel. 0032/ 80 330608