Rheinland statt CornwallUnsere Autorin hat getestet, wie sich Urlaub zu Hause anfühlt
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Wie viele andere Kölner hatte unsere Autorin für den Sommer eigentlich Urlaub im Ausland geplant.
Doch dann kam Corona - und damit die Entscheidung: wir bleiben hier.
Doch Urlaub in Köln, wie soll das gehen? Ist NRW nicht ein reiner Städtedschungel?
Von wegen! Unsere Autorin verrät, wie man Urlaub zu Hause machen kann und gibt Ausflugstipps von der Genkeltalsperre im Bergischen bis zur Eifel.
Oft muss ich in letzter Zeit an diesen Song von Casper denken. „Auf und Davon“. Da heißt es: „Alltag ist Treibsand, du steigst ab, je stärker du trittst // Immer nur langleben von Mahnung zu Mahnung und Ratenabzahlung // Für ein Mal im Jahr, 14 Tage Malle // Ich bin raus, kann schon nach dem Ende 'nen Anfang sehen.“ – Ich mochte diesen Song schon immer. Doch meine Interpretation hat sich in den vergangenen Wochen verändert.
Früher fühlte ich mich erhaben über diese Menschen, die der Rapper da porträtiert. Menschen, die in ihrem gleichförmigen Alltag versumpfen, angetrieben von Leistungsdruck und dem Bestreben, alles richtig zu machen. Menschen, an denen das echte Leben vorbeirauscht. Menschen, die nur für diese zwei Wochen Auszeit auf der beliebtesten deutschen Ferieninsel hart schuften. Heute fühle ich mich wie eine von ihnen. Irgendwie.
Die Reiseplanung als Seelentröster - und plötzlich ist alles abgesagt
Doch von Anfang an. Eigentlich sollte der Sommerurlaub in diesem Jahr ein Roadtrip durch Cornwall werden. Wir hatten lange über das Reiseziel nachgegrübelt. Den Ausschlag gab schließlich, dass wir wegen des Klimas nicht fliegen wollten und der Weg das Ziel sein sollte. Außerdem hatte mich meine erste Reise nach Südengland nach dem Abi so verzaubert, dass ich unbedingt nochmal hin wollte. Die Reiseplanung rettete mich, wie jedes Jahr, als Seelentröster über die dunklen und kalten Wintermonate hinweg. Anfang März war ich fertig: Route, Unterkünfte und Besichtigungen standen fest, wir mussten nur noch die Fähre buchen. Und dann kam Corona.
Mitte April stornieren wir alle privat reservierten Unterkünfte in England. Ende April beginne ich, mich über Ziele in Deutschland zu informieren. Mitte Mai beschließen wir, zu Hause zu bleiben. Das haben wir noch nie gemacht. Zwar kündigt Mecklenburg-Vorpommern irgendwann an, seine Landesgrenzen ab dem 25. Mai, unserem ersten Urlaubstag, wieder zu öffnen, doch darauf wollen wir nach dem langen Lockdown nicht vertrauen. Dazu kommt, dass wir bis heute die Corona-Regeln strikt umsetzen, uns nur draußen und nur mit wenigen Personen treffen. Der Gedanke, in einer Ferienwohnung oder einem Hotelzimmer zu schlafen, macht mich unruhig. Ich sehe mich schon panisch jede Türklinke desinfizieren, mein eigenes Bettzeug durch halb Deutschland karren, aber nachts trotzdem schlaflos auf einer fremden Matratze liegen.
Und mal ganz abgesehen von diesen persönlichen Befindlichkeiten denke ich: Ist es nach all diesen wirtschaftlichen, finanziellen und privaten Einschränkungen nicht total unlogisch, durch ein Land zu reisen, in einer fremden Wohnung zu schlafen, in einem fremden Supermarkt einzukaufen und mit fremden Menschen in Kontakt zu kommen? Jetzt, einen Monat später, ist die Situation natürlich anders, die Infektionszahlen sind gesunken, die innerdeutschen und europäischen Grenzen wieder offen. Vieles ist gelockert, vieles ist möglich. Und doch ist das Virus ja noch da. Und ich frage mich nach wie vor, was die zurückgewonnene Reisefreiheit langfristig mit Eindämmung der Pandemie machen wird.
Der neue Plan: Urlaub in Köln! Aber geht das überhaupt?
Mein Freund und ich jedenfalls schließen Mitte Mai einen Deal: Wir bleiben in Köln, sagen wir uns, machen aber so viel Urlaub wie möglich. Und das kann man gerade in Nordrhein-Westfalen total einfach umsetzen, findet Julie Sengelhoff von Tourismus NRW. „Viele haben das Vorurteil, dass es in Nordrhein-Westfalen nur Städte und kein Grün gebe. Aber das stimmt nicht. Stadt und Land halten sich die Waage. Und das Tolle ist ja gerade, dass man schnell von der Stadt im Grünen ist. Eine kurze Bahn- oder Autofahrt von Köln aus und schon steht man in der Eifel oder im Bergischen.“ Tatsache: Unsere längste Tagestour zu Rursee und Wildem Kermeter in der Eifel liegt gut 70 Kilometer Autofahrt von zu Hause entfernt.
Doch da muss man ja erstmal hinkommen. Nicht physisch, sondern mental. Denn nur, weil man in Köln geboren ist, dort an jeder Ecke einen Supermarkt kennt, das Straßenbahnnetz auswendig aufsagen kann und zehn kleine Lieblingsrestaurants hat, sieht man die Stadt oder Region ja noch lange nicht aus dem Blickwinkel eines Urlaubers, eines Abenteurers. Das ist mir zum ersten Mal vor zehn Jahren bewusst geworden, als mich Freunde aus dem Auslandssemester besuchten und ich keine Ahnung hatte, was ich außer einer Dom-Besichtigung mit ihnen unternehmen sollte. Die eigene Heimat ist einem ja oft so vertraut, dass man sie doch sehr schlecht kennt.
Von der Rodenkirchener Riviera bis zum Rursee - NRW ist vielseitig
Ich beginne also zu recherchieren – so wie für jeden anderen Urlaub auch. Die meisten Touristen verbringen in NRW übrigens nur ein paar Tage, die langen Urlaube finden an der Küste oder in den Bergen statt. Eine Tatsache, die sich durch Corona vielleicht ändern könnte, glaubt Sengelhoff. Sie schickt mir Ausflugstipps für die Region zu. Das Land, sagt sie, sei so abwechslungsreich. „Am Niederrhein ist es flach, im Sauerland kann man Berge erleben und in der Eifel gibt es den einzigen Nationalpark in NRW – Wildnis quasi direkt vor unserer Haustür.“
Zusätzlich klicke ich mich von Tourismus-Seite zu Tourismus-Seite, wälze alte Rheinland-Reiseführer meiner Eltern, lese Blogs und lasse mir Entfernungen bei Google Maps ausrechnen. Und am Schluss habe ich eine Liste mit 15 Tagestouren zusammen. Alles draußen in der Natur, alles auf Abstand, alles coronatauglich. Keine Städte, keine Schlösser, keine Architektur. Für sechs Ausflüge entscheiden wir uns, dazwischen gibt es Ruhetage, denn alle Ausflüge haben irgendwie etwas mit sportlicher Aktivität zu tun. Die Wetterapp wird unser bester Freund: Wenn kein Regen angekündigt ist, legen wir am Abend vorher fest, wohin und vor allem wann wir fahren wollen. Das funktioniert sehr gut.
In unserem gut zweiwöchigen Heimaturlaub wandern wir am Rursee entlang und wären dabei fast von Fahrradfahrern über den Haufen gefahren worden. Wir klettern am Kermeter und fühlen uns auf 500 Höhenmetern fast wie bei einer Wanderung in Slowenien. Wir verbringen einen Tag mit hochgelegten Beinen auf dem Balkon und lesen. Wir wandern durch die Wahner Heide und sind überrascht, wie abwechslungsreich die Natur dort ist. Wir fahren mit dem Fahrrad von Weidenpesch aus am Rhein entlang Richtung Süden und genießen den weichen Sand an der Rodenkirchener Riviera. Wir umrunden einige der Ville-Seen im Rhein-Erft-Kreis und besuchen danach die Familie im Garten.
Mikro-Abenteuer auf dem Fühlinger See: Stand Up Paddling
Und dann gibt es diese Augenblicke, die sich wirklich wie Urlaub anfühlen. Den Tag etwa, an dem wir verschwitzt von unserer Rhein-Fahrradtour zurückkommen und nach dem Duschen nicht direkt aufs Sofa fallen, sondern uns schick machen und zum ersten Mal wieder essen gehen. In einem schönen kleinen Restaurant mit Außen-Gastronomie ganz bei uns in der Nähe. Oder dieser Tag, an dem wir mit Thorsten von der „SUP Station“ in Köln einen Kurs im Stand Up Paddling machen und mit dem Brett über den Fühlinger See schippern. Natürlich plumpse ich zwei Mal ins Wasser. Natürlich fühle ich mich anfangs total unsicher. Natürlich erinnert mich das alles an die desaströse Kajak-Erfahrung in Schweden im vergangenen Jahr. Doch das gehört wohl zu so einem Mikro-Abenteuer dazu. Und am Ende paddele ich eine entspannte Runde über den Fühlinger See. Und bin ganz schön stolz.
Stand Up Paddling
Stand Up Paddling kommt ursprünglich – ist ja klar – aus dem sonnigen Hawaii. Angeblich stellten sich Surflehrer auf ihre Bretter, um die Schüler besser im Blick behalten zu können – und schneller zu den guten Wellen zu kommen. Andere sagen, dass polynesische Fischer sich schon ewig so fortbewegt hätten. Klar ist: Seit einigen Jahren wird die Wassersportart auch in Deutschland immer populärer. Ihr größter Vorteil: „Es ist total leicht zu lernen. Man muss nämlich nur zwei Dinge können: Schwimmen und Gleichgewicht halten“, sagt Thorsten Kegler.
Er unterrichtet die Sportart und betreibt in Köln-Merkenich die SUP-Station, wo man sich die Boards ausleihen kann. Als erste sportliche Herausforderung muss man das zusammengefaltete Board aufpumpen. Auf dem Wasser braucht es einen Moment, um sich an das Handling des langen Stehpaddels zu gewöhnen und zu üben, mit dem Board zu drehen, zu bremsen und die Richtung zu wechseln. Deswegen kann ein Einführungskurs sinnvoll sein.
Paddeln darf man auf den meisten Badeseen, in Köln ist etwa der Fühlinger See besonders beliebt dafür. Vorab sollte man sich aber auf jeden Fall über die Gegebenheiten vor Ort informieren. Fortgeschrittene paddeln oft auch in Fließgewässern, etwa auf der Mosel. Günstige Boards kosten um die 400 Euro, wer länger etwas davon haben will, sollte aber ab 800 Euro investieren, empfiehlt Thorsten Kegler. Und was trägt man auf dem Brett? Leichte Sportkleidung, Bikini oder Badehose. „Und jede Menge Sonnencreme“, sagt Kegler und lacht.Thorsten Kegler verleiht SUP-Boards für vier Stunden (Kosten 20 Euro) oder einen ganzen Tag (35 Euro). Auch Schnupperkurse, Einzelstunden oder Kindergeburtstage kann man bei ihm buchen. Mehr Infos:www.supstationkoeln.de
Überhaupt zieht es uns immer wieder ans Wasser. Was irgendwie auch nicht verwunderlich ist. Psychologen wissen schon lange, dass Naturerlebnisse uns beruhigen – und zwar in ganz besonderem Maße, wenn es sich dabei um das Element Wasser handelt. Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt am Meer – das es aber ja leider in Köln nicht gibt –, aber auch ein See oder gar ein Teich in der Stadt lösen bereits Entspannung aus. Und Wasser gibt es überraschend viel in der Umgebung. Angefangen beim mächtigen Rhein über aufgeforstete Braunkohlegebiete und mit Wasser gefüllte Baggerlöcher über die Maare in der Eifel bis hin zu verwunschenen Talsperren im Bergischen Land.
Der Wehmutstropfen am Heimaturlaub: der Alltag
Tatsache: Das Wasser macht mich glücklich. Bei einer Wanderung am Ufer zu sitzen und darauf zu starren, entspannt einfach. Doch leider wartet nach dem Ausflug der Alltag hinter der Wohnungstür. Die Mini-Spülmaschine, die einmal täglich geleert, der Kühlschrank, der mit neuen Lebensmitteln gefüllt, und die Wäsche, die gewaschen werden möchte. Doch es ist nicht nur der Haushalt. Die Meerschweinchen werden krank, erst hat das eine einen kaputten Fuß, dann das andere ein entzündetes Auge. Also ab zum Tierarzt. Ein Kumpel, der uns immer unterstützt hat, zieht um und bittet um Hilfe. Da sagt man nicht Nein. Die Freunde wollen, dass wir nach der Wanderung bei ihnen in der Nähe doch auf einen Kaffee vorbeikommen. Die Mutter ruft an. Fast täglich. Der Vater hat Geburtstag. Der eine Artikel, der muss noch schnell geschrieben werden. Und eine neue Brille brauche ich auch.
Diese Dinge sind irgendwie wichtig. Aber sie sind eben auch ständige Erinnerungen an den Treibsand, wie Casper es nennt. Klar schleppt man sonst im Koffer neben Bikini und Wanderschuhen auch Gedanken an die Arbeit oder zu Hause mit in den Urlaub. Sich davon abzugrenzen, kann auch in hunderten Kilometern Entfernung schwerfallen. Doch viele der Dinge, die wir dieses Mal gemacht haben, wären nicht möglich gewesen, wenn hunderte Kilometer und ein Meer dazwischen gelegen hätten. Wir haben versäumt, eine Grenze zu ziehen, uns selbst und unserer Umgebung vorher klarzumachen, wie wir neben den Tagesausflügen unseren Urlaub gestalten wollen. Anfängerfehler.
Das Fernweh ist noch da - doch die Heimat sieht man mit anderen Augen
All das hat zur Folge, dass sich diese zwei Wochen nicht so richtig wie ein Urlaub, sondern eher wie ein seeehr langes Wochenende anfühlen. Mir fehlt das Meer. Die Landschaft, die ganz anders aussieht als zu Hause. Die ausländischen Supermärkte. Die fremde Sprache. Mir fehlt es, an fremden Orten zu schlafen und einfach ganz weit weg zu sein. Das Fernweh ist auch nach diesem Urlaub noch da. Und gleichzeitig ist es ein klein wenig zur Seite gerückt und hat Platz gemacht für ein Nah-Weh. Ich will nämlich auch zurück an den Strand in Rodenkirchen. An die Talsperre im Bergischen. Auf das Board am Fühlinger See. Ich sehe meine Heimat jetzt mit anderen Augen.
„Und heute bin ich aufgewacht // Augen aufgemacht // Sonnenstrahlen im Gesicht, halte die Welt an // Und bin auf und davon.“ Ich denke, dass ich vielleicht auch Caspers Refrain anders interpretieren sollte. Dass „Auf und Davon“-Sein nicht immer bedeuten muss, tausende Kilometer weit weg zu sein. Dass manchmal auch 50 Kilometer und ein abgeschaltetes Handy reichen können. Um nicht allzu tief in diesem Treibsand zu versinken.